Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera gegen das "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) - sind Staatsanwälte unabhängig?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 06.04.2019

Durch eine Anfrage im Thüringer Landtag wurde bekannt, dass gegen das „Zentrum für politische Schönheit“, ein Verein von Aktionskünstlern, seit 16 Monaten ein Ermittlungsverfahren wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB) geführt wird (Bericht der FAZ vom 3. April 2019).

Der die Ermittlungen führende Staatsanwalt Z. ist zugleich Pressesprecher seiner Behörde. Auslöser für die Ermittlungen sei die Selbstbezichtigung der ZPS gewesen, bei ihrer Aktion in der Nachbarschaft des Hauses des AfD-Politikers Höcke (Stichwort: Holocaust-Mahnmal) zugleich diesen observiert bzw. überwacht zu haben bzw. damit beginnen zu wollen. Diese Selbstbezichtigung hatte das ZPS zwar alsbald wieder als ebenfalls satirisch gemeint bezeichnet, soll aber als tatsächlicher Anhaltspunkt für die Einleitung und 16 Monate lang aufrecht erhaltene Ermittlungen wegen § 129 StGB dennoch tauglich gewesen sein. Höcke selbst hatte wenige Tage vor Beginn der Ermittlungen das ZPS als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet.

Nun erscheint mir (und vielen meiner Gesprächspartner) schon der Vorwurf § 129 StGB gegenüber dem Verein ZPS recht fernliegend (ebenso dem thüringischen Kulturminister lt. Bericht des MDR), aber zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genügt immerhin ein Anfangsverdacht, also eine recht geringe Hürde. Dass die Ermittlungen seit 16 Monaten andauern, ist allerdings befremdlich, zumal § 129 StGB kein ganz unerheblicher Vorwurf ist und im Katalog diverser Normen erhebliche strafprozessuale Überwachungsmaßnahmen legitimiert.

Die vorgestern begonnene Diskussion um diesen Fall dreht sich auch zentral um die Unabhängigkeit bzw. Weisungs(un)gebundenheit der Staatsanwaltschaft. ZPS hat über seinen Twitter-Account gefordert, der thüringische Justizminister Lauinger solle eingreifen.

Diese Forderung verweist auf eine Problematik, mit der ich mich schon öfter auseinandergesetzt habe, auch etwa im Fall Mollath, in dem durch politische Intervention (Ministerpräsident Seehofer und Justizministerin Merk) die Staatsanwaltschaft Regensburg angewiesen wurde, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen.

Inwieweit sind Staatsanwälte bzw. Staatsanwaltschaften unabhängig oder sollten dies sein? Geltendes Recht ist § 147 GVG, wonach Staatsanwälte in ihrer Behörde NICHT unabhängig agieren/entscheiden und die Behördenhierarchie über die Generalstaatsanwälte bis hinauf in die jeweilige Landesregierung (Justizministerium) reicht. Dieser gesetzliche Zustand wird einerseits beklagt, und dies über das ganze Parteienspektrum hinweg, und es wird gefordert, die Staatsanwälte müssten (ähnlich wie Richter) unabhängig ermitteln und entscheiden dürfen, die gesamte „Justiz“ müsse unabhängig sein.   

Andererseits (und zu dieser Ansicht bekenne ich mich) wird eher eine stärkere Trennung zwischen Staatsanwaltschaften und Gerichten angestrebt. Eine Zusammenführung in einer einzigen Behörde/Institution namens Justiz vermischt nämlich die ganz unterschiedlichen Prozessrollen im Strafrecht und damit auch den Unterschied zwischen Judikative und Exekutive (zu letzterer gehören auch die Staatsanwaltschaften). Die Weisungsbefugnis bringt auch automatisch politische Verantwortung für das Agieren der Staatsanwaltschaften mit sich und diese Verantwortung führt auch zu einer demokratischen Anbindung – die Regierenden sind als Spitzen der Exekutive ja letztlich dem gewählten Parlament verantwortlich.

Die Politik versucht derzeit einen Mittelweg zu gehen und bekennt sich damit zu einer Art „relativen Unabhängigkeit“ der Staatsanwaltschaften: Man ist sich weitgehend einig, dass eine Intervention in einzelne Ermittlungsverfahren von politischer (ministerieller) Seite nicht opportun ist und will sich hier auf Extremfälle beschränken. Wie dies konkret in Thüringen verstanden wird, ergibt sich aus der Koalitionsvereinbarung der dortigen rot-rot-grünen Koalition:(S. 86)

Die Koalition ist sich einig, die Unabhängigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaft zu stärken. Hierzu sollen neue Regelungen der Selbstverwaltung der Judikative geprüft werden. Wir wollen die Eigenverantwortlichkeit der Justiz durch die Ausweitung eigenverantwortlicher personal- und budgetrechtlicher sowie haushaltswirtschaftlicher Handlungsspielräume der Gerichte und Staatsanwaltschaften stärken. Eine unabhängige Justiz umfasst auch eine objektiv und konsequent ermittelnde Staatsanwaltschaft.

Abgesehen davon, dass hier die Begriffe Justiz, Judikative und unabhängige Staatsanwaltschaft völlig ohne Problembewusstsein (und § 147 GVG ignorierend) durcheinander gewürfelt werden, verzichten die Parlamentarier mit solchen Absichtserklärungen aus meiner Sicht ohne Not auf eine demokratietheoretisch völlig legitime Kontrolle eines wichtigen Teils der Exekutive. Sie fördern damit zugleich ein aus meiner Sicht unangemessenes und auch rechtsstaatlich fragwürdiges Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Staatsanwälten und Richtern, die sich dann gemeinsam vom Volk abheben. Konsequent wird in der aktuellen Situation auch von linken Politikern argumentiert:

Herr Movassat‏ (MdB  Die Linke) schrieb auf Twitter:

„In der Staatspraxis ist es üblich, dass Justizminister von ihrem Weisungsrecht nicht Gebrauch machen. In unserem Wahlprogramm fordern wir sogar die Abschaffung des Weisungsrechts. Also: volle Kritik an den Ermittlungen notwendig. Aber die Landesregierung kann da nichts tun.“

Ich habe darauf geantwortet (Twitter)

„Entgegen weit verbreiteter Meinung ist die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft keineswegs undemokratisch oder rechtsstaatswidrig. StA ist Exekutive und grds. der pol. Leitung verantwortlich! Auch Nichtstun der Regierung ist politisches Verhalten.“

In dieser Twitter-Diskussion haben auch der thüringische Minister für Kultur und europäische Angelegenheiten (Hoff)  und auch der Ministerpräsident Ramelow Stellung genommen:

Herr Ramelow schrieb:

 „Ein Rechtsstaat zeichnet sich aber gerade dadurch aus, genau keine politischen Weisungen zu erteilen. Auch wenn ich wenig Verständnis für dieses 129er Verfahren habe. Alle Zivilen Verfahren gegen das ZPS blieben erfolglos und nun Strafrecht als kriminelle Vereinigung? Seltsam!“

Ich stimmte Herrn Ramelow zu, dass eine (politische) Intervention sicherlich grundsätzlich nicht angezeigt wäre, aber dass es möglicherweise anders ist, wenn staatsanwaltliche Ermittlungen selbst den Eindruck erzeugen, politisch motiviert zu sein. Hier der Bericht im Tagesspiegel, der auf diesen Austausch Bezug nimmt.

Entscheidend in diesem Streit ist insoweit (vorerst) die Äußerung des thüringischen Justizministers Lauinger (Grüne) lt. Bericht der OTZ von heute früh:

Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Bündnis 90/Die Grünen) weist den Vorwurf, es gebe politisch motivierte Ermittlungen, zurück. „Die eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera beruhen einzig und allein auf der Tatsache, dass sich das Zentrum für politische Schönheit selbst der Begehung von Straftaten bezichtigt hat“, sagt der Minister. „Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens war unter diesen Umständen rechtsstaatlich konsequent und nicht politisch motiviert.“

Lauinger betont, die Landesregierung habe Einzelfallweisungen an die Staatsanwaltschaft grundsätzlich eine Absage erteilt, was auch in diesem Fall gelte. „Ich bin sicher, die Staats­anwaltschaft Gera wird das Verfahren mit einem rechtlich korrekten Ergebnis zum Abschluss bringen.“

Ein Landesjustizminister kann sich zwar bewusst zurückhalten bei der Intervention in staatsanwaltliche Tätigkeit. So lange § 147 GVG (Bundesgesetz) existiert, kann aber auch der bewusste Verzicht auf die Weisung selbst ein politisches Signal sein, man kann sich dann nicht "nicht verhalten", ohne sich politischer Kritik auszusetzen. Im vorliegenden Fall hängt es an der Bewertung, ob die Ermittlungen (auch) politisch motiviert sind.

Neben dem schon erwähnten Fall Mollath zeigt meines Erachtens auch der Fall Netzpolitik/Generalbundesanwalt Range das Dilemma auf, wenn man sich über den Begriff „Unabhängigkeit der Justiz“ (auf den sich Herr Range öffentlich, aber offenbar unter Verkennung der Rechtslage, stützte, vgl. damalige Presserklärung/YouTube) nicht im Klaren ist.

Die Diskussion bleibt sicherlich spannend, nicht nur im konkreten Fall ZPS.

[Fehlerkorrektur und kleinere Änderungen zuletzt am 9. April 2019]

 

Update 8.4.2019:

Soeben wird gemeldet (Tagesspiegel), das Verfahren sei eingestellt worden und Staatsanwalt Z. werde andere Aufgaben übernehmen. Die offizielle Erklärung dazu oben im Bild wurde eben vom Ministerpräsidenten getwittert.

 

PS: Ergänzend möchte ich auf einen Aufsatz von Sebastian Beining in der ZJS hinweisen (Beining, Die Weisung an den Staatsanwalt, ZJS 2015, S. 546 ff.) , der im Ergebnis weitgehend der hiesigen Ansicht entspricht, aber dies im Aufsatzformat noch viel eingehender begründet.

 

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108 Kommentare

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Mich würde interessieren, was die vereinigungsrelevanten Strafttaen mit Strafandrohung mit mindestens 2 Jahren sein sollen. Aus der seinerzeitigen Veröffentllchung istmir das nicht mehr so genu in Erinnerung. - Ein Fall, in dem sich selbst anmaßende eine Eigedefinition versuchen,was Kunst sei und dass mit dieser Selbstzuschreibung Rechts- und Verfassungsbrüche legimiertwerden sollen. - Andererseits - man sieht die unangenehm berührende Humorlosigkeit . Als observierter Grundstückseigentümer oder  - besitzer Höcke hätte ich in Richtung auf jenes Zentrum auf einer großen blicksperrenden Plakatwand das Götz-Zitat visualisiert - ebenso künstlerisch: ein riesiger  A., aus dem lesbare Bröckchen wie "EU-DSGVO", "Fahrverbote", "§ 130 StGB" herauskleckern, und dazu die kunstvoll ziselierten Buchstaben: "L.m.a.A-!" neben den A. Dem A.-tragenden Körper ein gewendetes Gesicht und figurativ-karikaturistisch eine Visage wie führende Träger des Zeitgeistes.

Meinen Sie sich selbst? Weil Sie nehmen ja auch ständig einen Anfangsverdacht in Ihren hunderttausenden Rechtsbeugungsfällen an, weil Ihr politischer Wille dazu besteht...

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Sie verkennen die unterschiedlichen Positionen: Ich bin nicht in der Position, meinen eigenen politischen Geschmack in irgendeiner Weise - "kraft eines Amtes" - unmittelbar in einen Akt staatlicher Gewalt umwandeln zu können. Vielmehr bin ich als Anwalt  in meinen Möglichkeiten darauf beschränkt, zu argumentieren. Davon mache ich Gebrauch. Also führt Ihr Einwurf an dieser Stelle nicht weiter.   

Was hier noch im besonderen beachtet werden sollte:

1. Der Verweis auf den Koalitionsvertrag ist gar nicht so sehr nötig, denn im Ausfluss dessen gibt es längst erlassene spezielle Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts, die das Weisungsrecht nochmal begrenzen, siehe hier: https://pbs.twimg.com/media/D3XelqkW4AAtLQS.jpg

2. Der Justizminister von Thüringen befindet sich seit Jahren im Dauerfeuer von AfD und CDU, die CDU versucht ihn mit einem Untersuchungsausschuss seit einer Weile aus dem Amt zu drängen. Der wird sicherlich unabhängig vom konkreten Fall äußerst zurückhaltend agieren, insbesondere wegen des laufenden Wahlkampfes.

3. In Thüringen wird Ende Oktober 2019 ein neuer Landtag gewählt. Schaut man sich die aktuellen Umfragen an, könnte auch ein AfD-Justizminister Björn Höcke das Justizressort dann leiten. Gerade für solche Fälle ist eine Weisungsbeschränkung sinnvoll, man will sich nicht ausmalen, in welcher Art, dieser wohl in das staatsanwaltschaftliche Agieren ist.

Nichts destotrotz wäre der Justizminister aber auch die StA Gera klug beraten, wenn sie den verantwortlichen Staatsanwalt Z. aus dem Staatsschutz-Dezernat der StA Gera und auch vom ZPS-Fall abziehen. Die Vorgesetzten in der StA Gera sollten dann schleunigst dieses unsinnige §129 Verfahren einstellen, andernfalls dürften auch sie als nächstes in den besonderen Fokus der Öffentlichkeit geraten und sich die unbequemen aFragen gefallen lassen müssen, warum sie das nicht verhindert haben. Und warum sie all die anderen irren Entscheidungen des Staatsanwalt Z. nicht verhindert und defacto mitgetragen haben.

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Sehr geehrter Otto,

danke für den Hinweis auf die Richtlinien. Allerdings kann man an dem Foto nicht erkennen, ob es authentisch ist.

Auch die politische Einschätzung zu Thüringen ist interessant.

Henning Ernst Müller

Ich habe beim Justizministerium angerufen, dort wurde mir bestätigt, dass diese echt sind.  Darüberhinaus habe ich noch eine zweite Quelle in der Lokalpresse gefunden, dort wird das ebenfalls bestätigt: https://www.tlz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Politischen-Einfluss-verhindern-Justizminister-staerkt-Unabhaengigkeit-der-Staa-1694120468

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Auch wenn die Staatsanwälte wie Richter personell unabhängig wären, dann wäre die Justiz institutionell immer noch nicht unabhängig. Hierfür erforderlich wäre die Einführung der Selbstverwaltung der Justiz, z.B. so wie sie von der am 30.09.2009 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates beschlossenen Resolution 1685 gefordert wird. Dies hätte jedoch zur Konsequenz, dass das Justizministerium entgegen der Verfassung obsolet wäre. Das Justizministerium ist neben dem Finanzministerium nach der Verfassung aber ein obligatorisches Ressort. Und dann wäre noch die Frage zu klären, wie sich die Staatsanwaltschaften und Gerichte ihre finanziellen Mitteln beschaffen sollten, wenn nicht über den Justizminister. Jedenfalls könnte man dann von Gewaltentrennung sprechen. Bei der heutigen Organisation der Justiz kann man das nicht. Deswegen spricht man von Gewaltenverschränkung. Neben dem Begriff "Unabhängigkeit der Justiz" wäre gut, wenn man sich auch über diesen Begriff im Klaren wäre.

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Hier ist LTO faktenaufklärend. Vereinigungsbeabsichtigte Straftat soll § 201 a StGB sein. Welche Variante, wird nicht gesagt. Kommt mir nicht realistisch vor. - Bei meinem Götz-Vorschlag bleibe ich. 

Im Idealfall ergibt sich eine faktische Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft insofern, als alles Ermittlungshandeln sich allein nach den Gesetzen richtet. Sprich: Die Staatsanwaltschaft darf z. B nur dann Anklage erheben, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Straftatbestand verwirklicht und verfolgbar ist (§ 170 Abs. 1 StPO, der allerdings auch klarer formuliert sein könnte…). Würde ein Vorgesetzter (auch der Minister) dies in einer Weisung ignorieren, ist diese rechtswidrig und nicht zu befolgen (keine Pflicht zur Befolgung – mE sogar Pflicht zur Verweigerung der Befolgung der Weisung – soweit diese auf rechtswidriges Verhalten gerichtet ist). In der Praxis werden sicher nur gefestigte Charaktere den Mut aufbringen, einer rechtswidrigen Weisung des Ministers zu widersprechen. Im Idealfall wird ein ausgebildeter Jurist sich als so ein gefestigter Charakter erweisen.

Wie gesagt: Im Idealfall… (wie gefestigt manche Vertreter in der Justiz mitunter tatsächlich sind/waren kann man sich ja nochmals anhand der NS-Zeit verdeutlichen… - es scheitert am Ende also dann doch oft am Menschen…)

Sehr geehrter Herr Engelmann,

im Prinzip haben Sie Recht, allerdings gibt es sowohl bei der Entscheidung, ob ein Tatverdacht hinreichend ist (die Verurteilungswahrscheinlichkeit lässt sich nunmal nicht exakt berechnen) als noch viel mehr, ob ein Anfangsverdacht besteht (dies wird ja nicht richterlich überprüft), erhebliche Spielräume eröffnet.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

vielen Dank für das feedback! Gerade da eine richterliche Kontrolle wegen des Spielraumes problematisch ist, kommt denke ich der „außerprozessualen“ Kontrolle durch die demokratische Gesellschaft als solches eine wichtige Funktion zu. Zur Kontrolle der Justiz (der Staatsanwaltschaft und im Übrigen auch der Gerichte) ist dabei mE insbesondere auch die Rechtswissenschaft gefordert, die durch Diskussionen – wie hier im Blog oder in Fachveröffentlichungen – einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Gesetzeseinhaltung leisten kann.

Beste Grüße,

Björn Engelmann

Das schreibt die LTO-Presseschau heute zu dieser Causa:

StA Gera – Ermittlungen gegen "Zentrum für politische Schönheit": Laut zeit.de (Christian Fuchs/Luisa Hommerich) führt bei der Staatsanwaltschaft Gera das Ermittlungsverfahren gegen die Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung ausgerechnet ein Staatsanwalt, der selbst der AfD nahe steht. Die Künstlergruppe hatte 2017 falsche Stelen eines nachgebauten Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Wohnhauses des thüringischen AfD-Landeschefs Björn Höcke enthüllt.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) wundert sich über den Aktionismus des Staatsanwaltes ausgerechnet nach §129 StGB zu ermitteln – einer Norm, von der der Bundesgerichtshof mehrfach bekundet hat, dass dieses Delikt nur in Betracht kommt, wenn begangene oder geplante Straftaten der "kriminellen Vereinigung" eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Heribert Prantl (sueddeutsche.de) fordert, dass der Staatsanwalt vom Fall abgezogen werden sollte. Die Künstlergruppe als Vereinigung zur Begehung von Straftaten zu betrachten – dazu gehöre entweder ein geringes Maß an Rechtskenntnis oder aber ein großes Maß an Sympathie für die AfD.

Ich habe kein Twitter-Account, ich werde mir in absehbarer Zeit auch keines zulegen, deswegen mein Diskussionsbeitrag auf diesem altmodischen Wege:

Dass sich das Justizministerium, trotz § 147 GVG, "raushält" ist - im Ergebnis - eben kein Sich-Raushalten, sondern im Gegenteil eine Parteinahme zugunsten einer juristisch absurden, in keiner Weise vertretbaren, Einleitung und Fortführung eines Ermittlungsverfahrens. Das betrifftr den konkreten Sachverhalt. Darüber hinaus - da schließe ich mich der Kritik von Prof. Müller an - ist diese Art des Aushebelns des § 147 GVG auch bei abstrakter Betrachtung alles andere als (politisch) wünschenswert. 

 

 

vor 3 Stunden

Mehr

Der Charakter der thüringischen Landesregierung um wird sich nun bemessen lassen in den Stunden, die es dauert, bis Justizminister Lauinger von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht und Staatsanwalt Martin Zschächner von seinen Aufgaben entbindet.

 

Ich schließe mich an.

Ja, in der Tat. Aber so lief das 1933 auch - die missliebigen   Richter wurden angehalten , selbst um Urlaub oder Versetzung zu bitten. Vgl. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, Teil 1, S. 125 - 127 . Ähnliche Berichte auch in "Anwalt ohne Recht", etwa über die Behandlung an den preußischen Landgerichten.

Thema ist hier gerade die Unterscheidung zwischen Richtern und Staatsanwälten. Der betr. Staatsanwalt Z. ist kein Richter. Davon abgesehen muss jeder Beamte der Exekutive, der sich mehrfach grobe Schnitzer erlaubt, damit rechnen, dass er versetzt wird, das gilt für jeden Staat. Zudem lässt sich auch hier (diese Differenzierung fällt Ihnen nicht leicht, ich weiß) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem NS-Staat ein wesentlicher Unterschied feststellen, da die NS-Regierung nach 1933 nicht demokratisch legitimiert war.

 

Um so misslicher, wenn man bei der von Frau Dr. Barley anempfohlenen Prüfung feststellen muss, dass Methoden von 1933 neuerdings wieder angewendet werden. Allein in Sachsen sind in jüngerer Zeit zwei Richter durch Geschäftsplanänderungen "abserviert" worden. Zur Handhabung gegenber StA vgl. Gruchmann Justiz im Dritten Reich, Teil 1, zB S.340, 347.

Was ausgerechnet die "demokratische" Legitimation angeht, so sind 44 + 8 % = 52 % nach einer Reichstagswahl nach bisher üblichen Begrifflichkeiten von "Demokratie" wohl demokratisch. Die Masche, alles Übel dem Präsidenten Hindenburg in die Schuhe zu schieben, überzeugt mich nicht so recht. Ehe beachtenswert ist, dass am 8.7.1930 der "für seine Lebensleistung" bundestäglich hochgefeierte Otto Wels als SPD zusammen mit den NSDAP-Abgeordneten sehenden Auges auf Reichstagsauflösung und die katastrophale Neuwahl Sept. 1930 hinwirkte. ( NSDAP von 12 auf 107 Sitze). Man lese die RT-Protokolle. Für mich liegt die - gerade auch demokratietheoretische - Katastrophe in 1930. Auch ein scharfes differenzenwahrnehmendes Auge kann die leider wahrzunehmenden Parallelen wahrnehmen. Allerdings lüge ich nicht gern darüber hinweg. Natrlich gibt es Unterschiede. Die Nazs machten das Wegmanövrieren von ungebliebten Richtern 1933 noch diskret, unter vier Augen usw. Heutige Justizeinflussnehmende politische Stellen wagen es und können es wagen, das kackfrech öffentlich zu tun.

Vor 17 Minuten

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Ermittlungen nach §129 gegen uns eingestellt? Zeit für Ermittlungen gegen Staatsannwalt Zschächner, Oberstaatsanwalt Flieger, Generalstaatsanwalt Becker und Minister Lauinger ( ). Zeit für alle Einstellungsbescheide von Zschächner auf Rassismus zu prüfen.

 

Ich schließe mich an.

Man kann bei https://twitter.com/bodoramelow/status/1115222615851823104 die weiteren Reaktionen sehr schön nachlesen: Die einen halten die Causa für abgeschlossen und sind zufrieden, die anderen fragen u.a. nach, wieso die StA erst so spät und erst auf offentlichen Druck hin gestoppt worden ist.  

Sie wissen auch nicht, was Sie wollen. Einmal ermittelt Ihnen die Staatsanwaltschaft zu wenig, das andere Mal ermittelt Ihnen die Staatsanwaltschaft zu viel, je nach dem, woher der Wind weht. Wollen Sie sich nicht vielleicht einmal zu einer einheitlichen Sicht der Dinge durchringen und Ihr Windfähnchen aus dem Wind nehmen?

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Es kommt immer auf den jeweiligen konkreten Sachverhalt an. Da verbietet sich eine pauschalisierende Sicht der Dinge. Habe ich damit Ihre Frage beantwortet?

Ja, so lief das auch 1933: Wenn gegen SA-Leute wegen Totschlags - einstellen, Wenn gegen SPD oder Kommunisten wegen ungenehmigten Aufmärschen - die "ganze Härte des Gesetzes". Feine Relativität des Rechts!

Auch wenn Ihre Antwort nicht an mich gerichtet war, fühle ich mich auch angesprochen. Auch ich kritisiere es oft, wenn Staatsanwälte m.E. zu wenig tun und ebenso oft, wenn sie m.E. zu viel tun. Ich kann nur sagen: Ich stehe auf dem Standpunkt, Staatsanwälte (wie wir alle) sollten v.a. richtig handeln, also dann ermitteln, wenn es gesetzlich geboten ist und dann nicht, wenn es das Gesetz nicht vorsieht. Natürlich sind Irrtümer jedem zuzugestehen. Und auch ein Jurablogger kann irren. Aber hier (Beck-Blog)  ist eben der Raum für Kritik an juristischen Verfahrensweisen und Entscheidungen. Und es wäre doch absurd, wenn man sich mit einer kritischen Äußerung z.B. zu einer Entscheidung des BGH festlegen würde und keiner weiteren Entscheidung des BGH mehr zustimmen dürfte.

Ich halte die Einstellung des Verfahrens für konsequent, da in der Tat (auch wenn die Selbstbezichtigung der ZPS, man wolle bzw. werde Höcke observieren alsbald als satirisch gemeint erkennbar war) ein Anfangsverdacht gem. § 129 StGB kaum bestanden hat, schon gar nicht immer noch nach 16 Monaten Ermittlungszeit. Ein Verfahren wg. des Vorwurfs der Nötigung war ja bereits eingestellt worden und nur mittels Annahme eines fernliegenden Organisationsdelikts hat sich der betr. Staatsanwalt eine Zuständigkeit anmaßen können.

Allerdings ändert die Einstellung nichts an der hier aufgeworfenen Frage, ob Staatsanwälte Unabhängigkeit genießen. Dass nun auf informellem Wege eben doch Einfluss genommen wurde, nachdem es vorgestern noch hieß, man dürfe nicht in die Unabhängigkeit "der Justiz" eingreifen und es sei auch inhaltlich (bis auf die Dauer der Ermittlungen) alles in Ordnung, deutet darauf hin, dass man sich in der Landesregierung noch einmal grds. Gedanken dazu machen sollte, wie man es mit der Weisungsbefugnis künftig zu halten gedenkt. 

Noch einmal: In eine gerichtliche Entscheidung hätte NICHT eingegriffen werden dürfen. Es ist aber immer Aufmerksamkeit geboten, wenn jemand von "Unabhängigkeit der Justiz" spricht und die Staatsanwaltschaft darin einbeziehen will.

Naja, ich finde es eigentlich schon noch spannend, wie es jetzt weitergeht. Nach dem, was sich die StA alles geleistet hat, halte ich die Sache ganz und gar nicht für abgeschlossen. 

Die LTO-Presseschau:

 

StA Gera – Ermittlungen gegen "Zentrum für politische Schönheit": Die Ermittlungen gegen den Aktionskünstler der Gruppe "Zentrum für politische Schönheit" Philipp Ruch, wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch, sind mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt worden. Dies berichten u.a. lto.de (Markus Sehl), netzpolitik.org (Markus Reuter), SZ (Cornelius Pollmer), taz (Dominik Baur) und Welt (Claus Christian Malzahn).  Anlass für die seit 16 Monaten laufenden Ermittlungen war eine Aktion der Gruppe gewesen, bei der sie in der Nachbarschaft des AfD-Politikers Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals eröffnet und behauptet hatte, den Politiker auszuspähen. Dieser hatte zuvor seinerseits das Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet. In der letzten Woche war bekannt geworden, dass der leitende Staatsanwalt Martin Zschächner selbst der AfD nahesteht und der Partei Geld gespendet hatte. Der Mann werde nun auf eigenen Wunsch mit anderen Aufgaben in der Staatsanwaltschaft betraut und auch nicht weiter als deren Pressesprecher tätig sein, so eine Pressemitteilung des Justizministeriums. 

Die FAZ (Marlene Grunert) verweist auch auf eine Reihe anderer fragwürdiger Entscheidungen Zschächners in früheren Verfahren. So habe er Volksverhetzungs-Verfahren zu rassistischen und antisemitischen Äußerungen aus fadenscheinigen Gründen eingestellt, gleichzeitig aber aggressiv Verfahren gegen linke Aktivisten geführt. Ein ehemaliger Kommilitone des Mannes, selbst Richter in Baden-Württemberg, wird mit den Worten zitiert, der Staatsanwalt sei bereits zu Studienzeiten "rechtsaußen" gewesen und "mit Staatsmacht ausgestattet eine Gefahr."

Kia Vahland (SZ) sieht in der Verfahrenseinstellung einen Sieg für die Kunstfreiheit und die politische Vernunft. 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller!

Ich stimme Ihrer Analyse zu. Sähe man beim Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft überhaupt ein Problem, so lediglich, dass Weisungen nicht zwingend dokumentiert werden müssen.

Ich erlaube mir, auch auf den folgenden Beitrag hierzu zu verweisen:

http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2015_6_952.pdf

Sehr geehrter Herr Beining,

Ihren treffenden Aufsatz habe ich oben im Beitrag (unter "PS") verlinkt. Danke für Ihren Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Die LTO-Presseschau von heute:

StA Gera – "ZPS": Nach der nun erfolgten Einstellung der bei der Staatsanwaltschaft Gera geführten Ermittlungen gegen das "Zentrum für politische Schönheit" trägt zeit.de (Christian Fuchs/Luisa Hommerich) die gegen den federführenden Staatsanwalt Martin Zschächner in den vergangenen Tagen bekannt gewordenen Vorwürfe zusammen.

Der Artikel zeit.de (Christian Fuchs/Luisa Hommerich) hätte allerdings, nach meinem Geschmack, darauf verzichten sollen, irgendwelche Geschichten aus dem Privatleben des betreffenden Staatsanwalts ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren und hätte sich statt dessen lieber ausgefeilter mit den sachlichen Vorwürfen an seiner Arbeit auseinandersetzen sollen, nämlich mit dem Vorwurf, die Reichweite der Meinungsfreiheit nach seinem eigenen politischen Geschmack in tendenziöser Weise zu überziehen, das ist nämlich der Kern der sachlichen Vorwürfe. 

Der nordrhein-westfälische Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat, Obmann im Rechtsausschuss, erstattete wegen des Verfahrens gegen das ZPS am Mittwoch Strafanzeige gegen Zschächner wegen Rechtsbeugung. Ich bin gespannt, wie diese Strafanzeige behandelt werden wird.

 

Seltsam schweigsam - die Riege der Generaloberstdatenschützer über eine angebliche private Überweisung und Spende. 

Die Einstellungsmitteilung vom 8.04.2019 (Medieninformation 22/2019) ist inzwischen auf der offiziellen Homepage des Justizministeriums nachzulesen (und mit dem von Professor Müller oben eingestellten Entwurf identisch).

https://www.thueringen.de/th4/tmmjv/aktuelles/medieninformationen/109380/index.aspx

Die Einstellung war also tatsächlich das Ergebnis einer Besprechung von LOStA bzw. seinem Vertreter, dem GStA und dem JM. Der die Ermittlungen führende Staatsanwalt wird als Teilnehmer nicht genannt.

Drei Tage zuvor teilte der JM in der Medieninformation 21/2019 noch folgendes mit:

"Staatsanwaltschaften arbeiten politisch unabhängig

Aufgrund der Vorwürfe gegen Vertreter der Thüringer Staatsanwaltschaft, es gebe politisch motivierte Ermittlungen, sagt Justizminister Dieter Lauinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 'Die eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera beruhen einzig und allein auf der Tatsache, dass sich das Zentrum für politische Schönheit selbst der Begehung von Straftaten bezichtigt hat. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens war unter diesen Umständen rechtsstaatlich konsequent und nicht politisch motiviert. Diese Landesregierung hat die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt und Einzelfallweisungen an die Staatsanwaltschaft grundsätzlich eine Absage erteilt. Dies gilt auch in vorliegendem Fall. Ich bin sicher, die Staatsanwaltschaft Gera wird dieses Verfahren mit einem rechtlich korrekten Ergebnis zum Abschluss bringen.' "

https://www.thueringen.de/th4/tmmjv/aktuelles/medieninformationen/109367/index.aspx

Einzelfallweisung scheint es also auch nicht gegeben zu haben, lediglich eine Besprechung und ein rechtlich korrektes Ergebnis.

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