Die Konsequenz der "Vollmachtstricks"? Zustellungen an Betroffene - nur Nachricht an Verteidiger....Einlegungsfrist für Rechtsbeschwerde versäumt...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.04.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|3220 Aufrufe

Es geistern ja noch immer so genannte Vollmachtstricks durch die Blogosphäre. So ganz trickreich sind die gar nicht. Wer als Richterin und Richter die Akte vernünftig liest, kann etwa ganz einfach feststellen, ob der Verteidiger eine (ggf. beschränkte) Vollmacht vorgelegt hat. Also ist der Begriff des Tricks eigentlich nicht ganz richtig. Egal. Die Konsequenz vorsichtiger Gerichte wird natürlich sein: Alles außer Ladungen nicht mehr an den Verteidiger zustellen - Zustellungen nur noch an den Betroffenen selbst...und nur eine Nachricht hiervon an den Verteidiger. Das geht. Und kann dazu führen, dass etwa - wie im nachfolgenden Fall - die Rechtsbeschwerdefrist verpasst wird:

 

Der Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 7. Januar 2019 wird als unbegründet verworfen.

 Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

 Die Entscheidung des Senats ist nicht anfechtbar.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Oranienburg hat auf die Hauptverhandlung vom 4. Juli 2018 gegen den Betroffenen, der nach Einräumung der Fahrereigenschaft von dem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden war, wegen Überschreitens der zulässigen Geschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h, begangen am … 2017 gegen … Uhr auf der Bundesautobahn … bei Kilometer …, eine Geldbuße in Höhe von 120,00 € festgesetzt. Zur Hauptverhandlung war auch der ordnungsgemäß geladene Verteidiger des Betroffenen, dessen Vollmachtsurkunde sich bei den Akten befindet, nicht erschienen. Ein am 4. Juli 2018 um 8:38 Uhr bei Gericht eingegangener Antrag auf Terminverlegung wegen Erkrankung des Verteidigers wurde noch vor der Hauptverhandlung zurückgewiesen. Ebenfalls unter dem Datum des 4. Juli 2018 vermerkte die Bußgeldrichterin, dass Sie den Verteidiger um 8:45 Uhr über Mobiltelefon im Auto fahrend erreicht habe, hierbei habe der Verteidiger erklärt: „… heute passe es ihm nicht, er nehme auch demnächst auf entsprechenden Hinweis im Termin den Einspruch zurück.“

 Das Urteil mit schriftlichen Gründen ist auf richterliche Verfügung vom 17. Juli 2018 dem Betroffenen förmlich mit Zustellungsurkunde am 21. Juli 2018 und dem Verteidiger zusammen mit einer Abschrift des Protokolls der Hauptverhandlung sowie unter Hinweis auf die förmliche Zustellung an den Betroffenen formlos übersandt worden.

 Mit dem bei Gericht am 1. August 2018 angebrachten Anwaltsschriftsatz hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. in die Hauptverhandlung beantragt und eine „ärztliche Bescheinigung“ des Dr. med. Spiekermann beigefügt, wonach der Verteidiger wegen „einer akuten Gastroenteritis“ den Gerichtstermin nicht wahrnehmen könne.

 Mit weiterem bei Gericht am 2. August 2019 eingegangenen Anwaltsschriftsatz legte der Betroffenen „über den Wiedereinsetzungsantrag hinaus“ gegen das Urteil vom 4. Juli 2018 „Rechtsbeschwerde“ ein. Mit dem bei Gericht am 19. Oktober 2018 angebrachten Anwaltsschriftsatz hat der Betroffene sein Rechtsmittel begründet.

 Mit Beschluss vom 12. September 2018 hat das Amtsgericht Oranienburg den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Hauptverhandlung vom 4. Juli 2018 als unbegründet verworfen. Die gegen diese Entscheidung unter dem Datum des 21. September 2018 erhobene sofortige Beschwerde hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als Beschwerdekammer, nach Befragung des behandelnden Arztes im Freibeweisverfahren, am 16. November 2018 (11 Qs 133/18) als unbegründet verworfen.

 Hieraufhin hat das Amtsgericht Oranienburg mit Beschluss vom 7. Januar 2019 das als „Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde“ ausgelegte Rechtsmittel des Betroffenen wegen Fristversäumung gemäß § 346 Abs. 1 StPO iVm. 80 Abs. 4 OWiG als unzulässig verworfen. Der Beschluss wurde dem Betroffenen mit Zustellungsurkunde am 11. Januar 2019 förmlich zugestellt, der Verteidiger wurde formlos davon unterrichtet.

 Mit dem bei Gericht am 16. Januar 2019 eingegangenen Anwaltsschriftsatz beantragt der Betroffene Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

 Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 12. März 2019 beantragt, den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zurückzuweisen.

 II.

 Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

 1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG statthaft, innerhalb der Wochenfrist bei Gericht angebracht worden und auch im Übrigen zulässig.

 2. In der Sache ist der Rechtsbehelf unbegründet.

 a) Zutreffend hat das Amtsgericht die erhobene „Rechtsbeschwerde“ als „Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde“ als statthaftes Rechtsmittel ausgelegt und dieses wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen.

 aa) Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtbeschwerde beträgt bei einem Abwesenheitsurteil wie im vorliegenden Fall gemäß § 341 Abs. 1, 2 iVm. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG eine Woche ab Zustellung der Entscheidung. Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 4. Juli 2018 dem Betroffenen am 21. Juli 2018 (Samstag) wirksam förmlich zugestellt. Die Zustellungsurkunde weist dies gem. § 1 Brb VwZG iVm. §§ 2, 3 VwZG und § 182 ZPO nach. Sie ist eine öffentliche Urkunde gem. § 415 ZPO, die volle Beweiskraft gem. § 418 ZPO entfaltet. Soweit nach § 415 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Unrichtigkeit der durch zu Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen möglich ist, ist ein solcher Nachweis nicht geführt worden. Auch erfolgte die Zustellung auf Anordnung der Gerichtsvorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO iVm. § 71 OWiG).

 Die Antragsfrist endete gemäß § 43 Abs. 1, 2 StPO iVm. 71 OWiG, da das eigentliche Fristende auf einen Sonnabend fiel, mit Ablauf den 30. Juli 2018 (Montag). Damit war der dem 2. August 2018 bei Gericht eingegangene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verspätet erfolgt.

 bb) Die förmliche Zustellung an den Betroffenen ist - entgegen der im Anwaltsschriftsatz vom 18. Oktober 2018 vertretenen Auffassung - auch wirksam. Zwar hatte der Verteidiger des Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren die Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht (Bl. 28 Beiakte), so dass er gemäß § 145a Abs. 1 StPO iVm. § 71 OWiG als ermächtigt gilt, Zustellungen im Empfang zu nehmen. Von daher wäre das Bußgeldgericht gehalten gewesen, das Urteil dem Verteidiger zuzustellen und den Betroffenen davon formlos zu unterrichten (vgl. Nr. 154 Abs. 1 RiStBV). Die Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO ist jedoch eine bloße Ordnungsvorschrift und begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für den Betroffenen an dessen Verteidiger zu bewirken (allgemeine Ansicht, statt vieler: vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2007, 4 Ws 210/07). Daher sind auch an den Betroffenen vorgenommene Zustellungen wirksam und setzen Rechtsmittelfristen in Gang (vgl. BVerfG NJW 2001, 2532; BGHSt 18, 352, 354; BayObLG VRS 76, 307; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 88; OLG Frankfurt StV 1986, 288; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; OLG Köln VRS 101, 373; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 145a Rn 6).

 Soweit der Betroffene für seine irrige Rechtsansicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 2018 (2 BvR 1614/14) zitiert (Schriftsatz vom 18. Oktober 2018), betrifft dies einen völlig anderen Fall in einem völlig anderen Verfahren, nämlich die Zustellung in einem Zivilverfahren nach § 172 ZPO nach voraufgegangenem Mahnbescheid. Mithin ist diese Entscheidung für den vorliegenden Fall irrelevant.

 cc) Der Senat bemerkt ergänzend, dass der Betroffene auch die Frist zur Begründung seines Rechtsmittels nach § 345 Abs. 1 StPO iVm. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG versäumt hat und auch aus diesem Grunde der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen gewesen wäre. Die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO schließt sich bei einem Abwesenheitsurteil an die Einlegungsfrist des § 341 StPO an. Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtbeschwerde endete - wie oben dargelegt - am 30. August 2018, so dass die sich daran anschließende Begründungsfrist mit Ablauf des 30. September 2018 endete. Damit ist auch die am 19. Oktober 2018 bei Gericht angebrachte Rechtsmittelbegründung verfristet erfolgt.

 b) Da mit der Entscheidung des Landgerichts Neuruppin das Wiedereinsetzungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, ist hier nur noch über den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts und damit inzident über die Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu entscheiden.

 Auf den Vorwurf des Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 18. Oktober 2018, dass ihm „jedes rechtliche Gehör“ abgeschnitten worden sei, ist jedoch ergänzend anzumerken, dass eine Verletzung des Anspruches des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Ablehnung eines auf die Verhinderung des Verteidigers gestützten Terminsaufhebungs- oder -verlegungsantrages nicht liegen kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2012, 2 RBs 253/12; BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994 - 2 ObOWi 194/94 - jew. zitiert nach juris). Die Erkrankung oder Verhinderung seines Verteidigers nimmt dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliches Gehör als solches, nicht rechtliches Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (BVerfG, NJW 1984, 862; OLG Hamm aaO., BayObLG aaO.; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Düsseldorf VRS 95, 104). Mithin hätte der Betroffene mit seinen Einwendungen gehört werden können.

OLG Brandenburg Beschl. v. 1.4.2019 – (1 Z) 53 Ss-OWi 104/19 (76/19), BeckRS 2019, 5995

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2 Kommentare

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Nur was hat dieser Fall mit "Vollmachtstricks" zu tun? Zudem hat hier das Beschwerdegericht schon das Verkündungsdatum der BVerfGE falsch angegeben (richtig: 2016) und sich inhaltlich ganz klar nicht mit selbiger auseinandergesetzt; hätte es das getan, hätte es festgestellt, dass beide Streitfälle deckungsgleich sind. Man kann nur hoffen, dass sich der Beschwerte seinerseits an das BVerfG wendet.

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Gast schrieb:

Nur was hat dieser Fall mit "Vollmachtstricks" zu tun? Zudem hat hier das Beschwerdegericht schon das Verkündungsdatum der BVerfGE falsch angegeben (richtig: 2016) und sich inhaltlich ganz klar nicht mit selbiger auseinandergesetzt; hätte es das getan, hätte es festgestellt, dass beide Streitfälle deckungsgleich sind. Man kann nur hoffen, dass sich der Beschwerte seinerseits an das BVerfG wendet.

Nein, es ist schon deshalb nicht deckungsgleich, als im vom BVErfG entschiedenen Fall der Verteidiger gar nicht informiert wurde.

Zudem hat das BVErfG ausdrücklich gesagt:
"Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss."
 

Unterschiede zwischen der ZPO und der StPO sind also zulässig, und die gibt es auch:
172 ZPO: "
In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen."
-> Hier wird eine Pflicht zur Zustellung an den Verteidiger ausdrücklich normiert

145a StPO: "Der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger gelten als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen.[...]
Wird eine Entscheidung dem Beschuldigten zugestellt, so wird der Verteidiger hiervon zugleich unterrichtet, auch wenn eine Vollmacht bei den Akten nicht vorliegt; dabei erhält er formlos eine Abschrift der Entscheidung."
-> Verpflichtend ist nur die formlose Abschrift, nicht aber die Zustellung

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