Was ist eigentlich die "konkrete Gefahr" i.S.d. § 1 Abs. 2 StVO???

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.09.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|4171 Aufrufe

...damit hat sich das KG angesichts eines Rotlichtverstoßes auseinandersetzen müssen:

 

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. April 2019 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

 Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 Ergänzend merkt der Senat lediglich an:

 1. Der Betroffene rügt zu Unrecht, der Tenor des angefochtenen Urteils sei nicht hinreichend bestimmt. Die Urteilsgründe müssen in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zum Ausdruck bringen, welchen gesetzlichen Tatbestand das Gericht als erfüllt ansieht und welche Vorschriften für die Bemessung von Rechtsfolgen maßgeblich waren. Urteilstenor (§ 260 Abs. 4 StPO) und Urteilsgründe (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) müssen erkennen lassen, gegen welche Tatbestände ein Betroffener verstoßen hat. Genügt das Urteil diesen Anforderungen, leidet es, wenn die Tat in der Urteilsformel nicht näher bezeichnet ist, aufgrund dessen nicht an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Das Urteil kann nur dann auf einem Mangel des § 267 Abs. 3 StPO beruhen, wenn auch nach Heranziehung der Urteilsformel und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Urteilsgründe zweifelhaft bleibt, welchen Ordnungswidrigkeitentatbestand das Gericht als erfüllt ansieht (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 3 Ws (B) 10/18 -; OLG Düsseldorf NZV 2000, 382; OLG Hamm NZV 2000, 95).

 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht, dem unzweifelhaft zu entnehmen ist, dass der Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes nach § 37 Abs. 2 StVO in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nach § 1 Abs. 2 StVO verurteilt worden ist.

 2. Soweit der Betroffene der Auffassung ist, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer sei tatbestandlich nicht erfasst, übersieht er, dass die Schädigung, Gefährdung oder vermeidbare Behinderung oder Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer nach §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO eigenständig tatbestandlich erfasst und bußgeldbewehrt ist.

 Zudem verkennt er, dass es sich bei dem von ihm nach den getroffenen Feststellungen unzweifelhaft verwirklichten qualifizierten Rotlichtverstoß (Rotlichtphase länger als eine Sekunde) um keinen Qualifikationstatbestand handelt. Wie sich aus §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 Abs. 1 Satz 1 StVG ergibt, erfüllt den Tatbestand dieser Vorschriften, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Vorschrift des § 37 StVO über das Verhalten an Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen oder beim Rechtsabbiegen mit Grünpfeil zuwiderhandelt. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist die Dauer der für einen Verkehrsteilnehmer geltenden Rotlichtphase mithin unmaßgeblich. Diese wirkt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BkatV in Verbindung mit Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BkatV erst auf der Rechtsfolgenseite aus.

 3. Mit seinem Angriff, die getroffenen Feststellungen rechtfertigten nicht die Annahme einer Gefahr - hier gemäß § 1 Abs. 2 StVO -, dringt er ebenso wenig durch. Eine Gefährdung im Sinne dieser Vorschrift ist nicht als bloß abstrakte Gefahr zu verstehen. § 1 Abs. 2 StVO ist vielmehr im Hinblick auf die mit §§ 315b, 315c StGB vergleichbare Interessenlage ein konkretes Gefährdungsdelikt (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 1 StVO Rdn. 35). Eine konkrete Gefahr im straßenverkehrsrechtlichen Sinne ist nur dann gegeben, wenn der Täter eine Lage herbeiführt, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutet. Dabei muss die Sicherheit eines bestimmten Rechtsgutes so stark beeinträchtigt sein, dass es vom Zufall abhängt, ob es verletzt wird oder nicht (std. Rspr., vgl. BGHSt 22, 341; NJW 1995, 3131; Senat NZV 2010, 584 und Beschluss vom 15. Januar 1999 - 3 Ws (B) 654/98 - juris; OLG Hamm NStZ-RR 2018, 26; OLG Köln, DAR 1996, 507; König a.a.O., § 315c StGB Rdn. 30 f. m.w.N.; Fischer, StGB 66. Aufl., § 315c Rdn. 15a m.w.N.; Hecker in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., § 315c Rdn. 32 m.w.N.).

 Auf der Grundlage dieses Maßstabs tragen die durch das Amtsgericht getroffenen Feststellungen eine konkrete Gefahr für den unbekannten Fußgänger. Danach bewegte sich dieser in der Fußgängerfurt in Richtung des vom Betroffenen befahrenen Fahrstreifens, stoppte und sprang zurück, um eine Kollision zu verhindern. Sodann passierte das vom Betroffenen geführte Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h den unbekannten Fußgänger in einem Abstand von etwa einem Meter. Das in den Urteilsgründen mitgeteilte Zurückspringen des unbekannten Fußgängers und der geringe Passierabstand zwischen Kfz und Fußgänger belegen, dass dieser reaktionsschnell handeln musste, um einer unmittelbar bevorstehenden Kollision auszuweichen. Dadurch ist das Tatgeschehen als Beinahe-Unfall zu charakterisieren.

 Die vom Betroffenen verwirklichten Tatbestände stehen in Tateinheit nach § 19 Abs. 1 OWiG zueinander.

KG Beschl. v. 24.7.2019 – 3 Ws (B) 229/19, BeckRS 2019, 18050

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