OWi-Verfahrensrecht: Keine Abwesenheitsverhandlung allein auf Wunsch des Gerichtes!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.10.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2527 Aufrufe

Manchmal glaubt man gar nicht, was man so liest. Da sind weder Betroffener, noch Verteidiger erschienen. Und einen Entbindungsantrag haben sie auch nicht gestellt. Nur dann ist nämlich eine Verhandlung ohne den Betroffenen möglich. Ansonsten wird verworfen. Jeder OWi-Richter nutzt hierfür Formulare. Beim AG Brandenburg jedoch wurde einfach in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt und verurteilt. Praktisch eigentlich! Aber eben auch falsch - wahrscheinlich war es dem OLG deshalb auch zu unheimlich, an dieselbe Abteilung zurückzuverweisen:

 

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 9. Mai 2019 aufgehoben.

 Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 6. September 2018 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 41 km/h (nach Toleranzabzug), was am … . April 2018 um … Uhr auf der Bundesautobahn 2 bei km … Fahrtrichtung Autobahndreieck W…, mit dem Pkw amtliches Kennzeichen … begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 160,00 € festgesetzt und gemäß § 4 Abs. 1 BKatV, Ziff. 11.3.7 BKat ein Fahrverbot von einem Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

 Nachdem der Betroffene gegen den Bescheid form- und fristgerecht Einspruch erhoben hatte, hat die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel mit Verfügung zuletzt vom 21. Februar 2019 Termin zur Hauptverhandlung auf den 9. Mai 2019, 13:00 Uhr, anberaumt und den Betroffenen sowie seinen Verteidiger förmlich geladen.

 Zur Hauptverhandlung waren weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen. Das Amtsgericht hat dennoch in Abwesenheit des Betroffenen die Hauptverhandlung durchgeführt und den Betroffenen „wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 € verurteilt“ und zugleich „dem Betroffenen für die Dauer von einem Monat verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen“. Die noch im Bußgeldbescheid gewährte Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG bleibt im Urteilstenor unerwähnt.

 Das Urteil wurde Verteidiger des Betroffenen am 3. Juni 2019 förmlich zugestellt. Mit ebenfalls am 3. Juni 2019 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsatz vom selben Tag hat der Betroffene Rechtsbeschwerde erhoben und diese mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, dabei insbesondere hervorgehoben, dass das Bußgeldgericht keine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen hätte durchführen und kein Sachurteil hätte erlassen dürfen.

 Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 21. August 2019 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zurückzuverweisen.

 II.

 Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg; das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.

 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO iVm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

 2. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die von dem Betroffenen erhobene Verfahrensrüge des Verstoßes gegen §§ 73, 74 Abs. 1, 2 OWiG greift durch.

 a) Die Rüge, das Amtsgericht hätte nicht durch Sachurteil entscheiden dürfen, da das Amtsgericht zu Unrecht in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt habe, genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG.

 b) Das angefochtene Urteil unterliegt auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge schon deswegen der Aufhebung, weil den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten überhaupt vorlagen. Auch für die Hauptverhandlung bei Ordnungswidrigkeiten gilt die grundsätzliche Anwesenheitspflicht des Angeklagten (§ 73 Abs. 1 OWiG), von der nur im geregelten Ausnahmefall abgewichen werden kann (vgl. 73 Abs. 2 OWiG; für das Strafverfahrens siehe auch §§ 231 Abs. 2, 231a, 231b, 231c 232, 233, 247, 329 Abs. 2, 350 Abs. 2, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ebenso wie bei einem Verfahren nach 74 Abs. 2 OWiG müssen bei einem Verfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG die Urteilsgründe die Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten dartun, woran es hier fehlt. Da sich die Urteilsgründe zu den Voraussetzungen eines Sachurteils bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht verhalten, leidet das Urteil an einem erheblichem Darstellungsmangel, da dem Senat eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Bußgeldgerichts nicht möglich ist.

 c) Als Besonderheit des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gilt eine Ausnahme vom Anwesenheitsgrundsatz dann, wenn der Betroffene von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden ist (§ 73 Abs. 2 OWiG). Ist dies nicht der Fall, kann in seiner Abwesenheit kein Sachurteil ergehen, sondern es muss entweder die Verhandlung vertagt werden oder eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG erfolgen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. September 2004, 3 Ss 565/04, zit. n. juris). Das Amtsgericht hätte den Einspruch des nicht von der Pflicht zum Erscheinen entbundenen und ohne genügende Entschuldigung ausgebliebenen Betroffenen deshalb nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen müssen, auch um den Weg eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung zu ermöglichen.

 d) Der Senat verkennt nicht, dass das Bußgeldgericht bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG hätte erlassen müssen. Sollten diese Voraussetzungen vorgelegen haben, hätte das Berufungsgericht mit der Durchführung der Hauptverhandlung ein „Mehr“ geleistet und das angefochtene Urteil auf eine breitere Grundlage gestellt als dies naturgemäß bei einem Prozessurteil der Fall sein kann. Gleichwohl kann der Senat weder das angefochtene Urteil durch ein Verwerfungsurteil ersetzen noch ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Denn ein aufgrund einer Hauptverhandlung erlassenes Sachurteil ist kein „Mehr“, sondern ein „aliud“ im Verhältnis zum formalen Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG.

 e) Der Senat hat die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brandenburg für erforderlich erachtet (arg. aus § 79 Abs. 6 OWiG).

OLG Brandenburg Beschl. v. 19.9.2019 – (1 B) 53 Ss OWi 529/19 (314/19), BeckRS 2019, 22216

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