Individuelles Klagerecht wegen Nitratbelastung – ein wichtiger Anstoß zu einem naturverträglichen Düngerrecht EuGH, Urt. v. 03.10.2019 - C-197/18

von Prof. Dr. Jose Martinez, veröffentlicht am 17.10.2019

Die Nitratbelastung im Grundwasser wird vorrangig durch unsachgemäße Düngung landwirtschaftlicher Flächen verursacht. Die Bundesrepublik ist daher vom EuGH mit Urteil vom 21. Juni 2018 (C-543/16) bereits im Hinblick auf das frühere Düngerrecht wegen Verstoßes gegen die Nitratrichtlinie 91/676/EWG verurteilt worden. Geschehen ist seitdem zu wenig. Auch die aktuelle DüngeV widerspricht den Vorgaben des europäischen Umweltrechts (unzureichender Maßnahmenkatalog in § 13 Abs. 2 Satz 4 DüV; Anwendungsbereich Hoftorbilanz).

Mit Urteil des EuGH vom 3.10. 2019  (C-197/18) zu einer parallelen Problematik in Österreich eröffnet nunmehr Betroffenen umfassende Klagemöglichkeiten, wenn die Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser überschritten werden oder die Gefahr einer Überschreitung besteht.

Kurz zum Sachverhalt und den Entscheidungsgründen:

Der Wasserleitungsverband, der viertgrößte Wasserversorger Österreichs, Robert Prandl, der Besitzer eines Brunnens ist, und die Gemeinde Zillingdorf, die einen Brunnen für kommunale Zwecke betreibt, wandten sich vor dem VG Wien gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus, mit dem ihre Anträge auf Änderung der VO Aktionsprogramm Nitrat 2012 als unzulässig abgewiesen wurden. Die Brunnen der Kläger überschritten im Rahmen mehrerer Messungen den für Trinkwasser festgesetzten Nitrat-Grenzwert von 50mg/l, sodass das Wasser als Trinkwasser nicht mehr nutzbar war.

Das Ministerium wies den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Verfahrens-, Klage- oder Beschwerdebefugnis nur aus einer Verletzung subjektiver materieller Rechte des Antragstellers resultieren kann, die für den Fall der Beschwerdeführer im nationalen Recht  nicht zu finden seien.

In einer Vorlage fragte das VG Wien, ob sich die Beschwerdeführer bei ihrem Anliegen direkt auf die Nitratrichtlinie 91/676 berufen können, da der Gerichtshof eine Berufung insb. in Fällen möglicher Gesundheitsgefährdung bejaht hat. Gegen eine Berufung auf die Richtlinie spräche, dass die Verbindlichkeit der in der Richtlinie festgehaltenen Grenzwerte nicht abschließend geklärt sei, die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Umsetzung und der Wahl der  Mittel einräume, und dass andere Richtlinien, u.a. RL 98/83/EG über das Trinkwasser, die Wasserqualität kontrollierten und eine konkrete Gesundheitsgefahr verhinderten.

 

Aus Art. 288 AEUV folgt, dass die Berufung auf eine Richtlinie nicht grundlegend ausgeschlossen sein darf. Anderenfalls würde die Wirksamkeit der Richtlinien geschwächt. Insofern müssen Bürger die Einhaltung von Richtlinienvorgaben vor Behörden und Gerichten einfordern können. Gem. Art. 9 III der Aarhus-Konvention sind Mitglieder der Öffentlichkeit grundsätzlich Träger von Rechten, sodass ein völliger Ausschluss eines Teils der Mitglieder der Öffentlichkeit vom Zugang zum Rechtsweg einen Verstoß gegen Art. 9 III darstellen würde. Den Beschwerdeführern steht eine Grundwasserentnahme- und Nutzungsrecht zu, sodass ihre Rechte bei einer unmittelbaren Betroffenheit durch die Nichteinhaltung der Grenzwerte, die eine rechtmäßige Nutzung der Gewässer verhindert, verletzt sein können. Eine konkrete Gesundheitsgefährdung ist hierfür nicht erforderlich. Unmittelbar betroffen sind nach Auffassung des Gerichtshofs Personen, wenn das Hauptziel der für ihr Recht relevanten Richtlinie nicht umgesetzt wird, sodass für sie Nachteile (z.B. Säuberungskosten) entstehen. Die Beschwerdeführer sind hier demnach verfahrensbefugt.

Die Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten und deren Behörden, die in der Richtlinie 91/676 festgehalten sind, sieht der Gerichtshof als bindend an. Bei der Überschreitung oder einer Gefahr der Überschreitung des Grenzwertes von 50mg/l im Wasser sind die zuständigen Behörden verpflichtet, die in Art. 5 IV, V der Richtlinie 91/676 vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen.

Auf die Verpflichtungen aus Art. 5 IV, V der Richtlinie 91/676 kann sich jeder Einzelne gegenüber dem Staat berufen. Die von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Ermessens gewählten Mittel müssen geeignet sein, das Ziel der Richtlinie zu erfüllen. Der Ermessensgebrauch durch die Mitgliedstaaten ist gerichtlich überprüfbar.

 

Das Urteil ist mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, insbesondere im Umweltrecht, konsistent. Das Urteil kann helfen, die legislative „Zurückhaltung“ zu durchbrechen, unter der das Agrarumweltrecht seit Jahrzehnten leidet. Durch die Urteile können diese Defizite aufgezeigt und verbindlich Handlungspflichten des Gesetzgebers begründet werden. Hier sind nun potentielle Kläger/innen und sodann die Gerichte gefragt, diese europäische Dimension zu nutzen. Vorrangig ist aber der Gesetzgeber aufgefordert, ein Düngerecht zu entwickeln, das die für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung zwingende Düngung mit einem nachhaltigen Gewässerschutz in Einklang zu bringen.

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