Augenblicksversagen - oder jedenfalls so ähnlich: Noch nicht tot!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.11.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht4|2787 Aufrufe

Das so genannte Augenblicksversagen ist noch nicht tot - auch wenn in den letzten Jahren Entscheidungen, in denen ein solches angenommen wurde deutlich seltener geworden sind. Im nachfolgenden Fall ging es nicht wirklich um Augenblicksversagen oder jedenfalls eine ganz ähnliche Situation. Das OLG Brandenburg stellte fest: Das AG durfte das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes ablehnen!  Mich freut so eine Entscheidung!

 

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 3. Juni 2019 wird als unbegründet verworfen.

 Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die der Betroffenen darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 31 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 € verurteilt und mangels grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kein Fahrverbot verhängt.

 Nach den getroffenen Feststellungen befuhr die Betroffene mit dem PKW mit amtlichem Kennzeichen … in S… OT G… die R… in Fahrtrichtung B…, 590m vor der Beschilderung des Ortausgangs, mit einer Geschwindigkeit von 81 km/h, wobei sie „in der Annahme, die Ortschaft bereits verlassen zu haben,“ die innerorts geltende Höchstgeschwindigkeit überschritt, was sie unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Örtlichkeit der Messstelle, an der die ortsunkundige Betroffene die bebaute Ortslage bereits mehrere 100 m verlassen habe, hat das Amtsgericht in subjektiver Hinsicht einen groben Pflichtverstoß verneint.

 Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Cottbus Rechtsbeschwerde eingelegt, die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist dem Rechtsmittel beigetreten.

 II.

 Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

 Das Amtsgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei eine grobe Pflichtverletzung verneint und deshalb folgerichtig von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen.

 Zwar kommt angesichts des festgestellten Verkehrsverstoßes der Betroffenen die Anordnung eines Fahrverbotes wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, weil die Zuwiderhandlung eine grobe Pflichtverletzung indiziert, bei der nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ein Fahrverbot zu verhängen ist. Darüber hinaus liegt nach der Rechtsprechung des Senats ein Ausnahmefall, der ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, nicht ohne weiteres bereits dann vor, wenn ein Fahrzeugführer nach Verlassen des Ortskerns aufgrund dünner werdender Besiedelung und weitgehend fehlender Bebauung angenommen hat, sich bereits außerhalb der Ortschaft zu befinden (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2016 - [2 B] 53 Ss-OWi 116/16 [57/16]; Beschluss vom 2. November 2017 [2 B] 53 Ss-OWi 576/17 [267/17]; vgl. auch BayObLG NZV 1997, 89, 90; OLG Hamm DAR 2001, 322, 323). Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung steht dieser Fall dem bloßen Übersehen eines Verkehrszeichens nicht gleich: Im Gegensatz zu demjenigen, der infolge eines auf einfacher Fahrlässigkeit beruhenden Augenblicksversagens eine die Höchstgeschwindigkeit regelnde Beschilderung nicht wahrnimmt und deshalb über die Geschwindigkeitsbeschränkung irrt, begeht derjenige, der kein Verkehrsschild übersehen hat, sondern dies lediglich glaubt und aufgrund äußerer Umstände irrig eine Aufhebung der zunächst wahrgenommenen Geschwindigkeitsbeschränkung annimmt und seine Fahrgeschwindigkeit daraufhin erhöht, einen grundlegend anders gelagerten und regelmäßig gravierenderen Pflichtenverstoß. Ursächlich für den Irrtum über die geltende Höchstgeschwindigkeit ist in diesem Fall nicht eine bloß flüchtige Unaufmerksamkeit, sondern im Regelfall entweder ein gänzlich unaufmerksames, die Geschwindigkeitsregelungen ignorierendes Fahrverhalten oder aber ein aktiver gedanklicher Prozess, bei dem der Betroffene Vermutungen über die Fortgeltung der Geschwindigkeitsbeschränkung anstellen und dabei besorgen muss, mit der Annahme, das Ortsausgangsschild übersehen zu haben, falsch zu liegen (Senat, Beschluss vom 2. November 2017 [2 B] 53 Ss-OWi 576/17 [267/17]).

 Die angefochtene Entscheidung kann gleichwohl Bestand haben, weil im Hinblick auf die Lage der Messstelle, die nach den zugrunde liegenden tatgerichtlichen Feststellungen mehrere 100 m außerhalb der bebauten Ortslage, an einem vereinzelten rechtzeitigen Gehöft, in einem Bereich rechts und links befindlicher Felder und einer alleeartig mit Bäumen gesäumten Straße gelegen ist, außergewöhnliche Besonderheiten gegeben sind, aufgrund derer das Amtsgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgehen durfte, dass die ortsunkundige Betroffene bei ihrer Annahme, sich bereits außerorts zu befinden, einen in subjektiver Hinsicht weniger schwerwiegenden, auf flüchtiger Unaufmerksamkeit beruhenden und nicht als grob zu bewertenden Pflichtenverstoß begangen hat.

 Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.

OLG Brandenburg Beschl. v. 19.9.2019 – (2 B) 53 Ss-OWi 534/19 (207/19), BeckRS 2019, 23700

 

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4 Kommentare

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Sehr vernünftige Entscheidung. Ergänzend käme ein Widerspruch gegen die Positionierung der Ortsendetafel in Betracht? Interessante Konstellation Gegen ein Verbotsschild kann Widerspruch erhoben werden. Hier: gegen das Fehlen am Ende der effektiven zusammenhängenden Ortsteilbebauung? 

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Da fragt man sich in der Tat, wer die Ortstafel dahin gestellt hat und warum?

Für einen wirklich runden Sachverhalt hat mir allerdings noch ein Hinweis darauf gefehlt, ob zwischen dem angenommenen Ortsausgang und der Messstelle noch Zeichen 306 StVO an der Straße standen. Denn daran erkennt man immer, ob man außerorts (Z 306 hinter der Einmündung, weil auch ein Parkverbot enthaltend) oder innerorts (Z 306 vor der Einmündung) fährt.

Ich kenne eine ähnliche (nicht ganz so krasse) Situation hier, wo die Polizei sich einfach an die Einmündung stellt und fleißig blitzt. Mit dem Hinweis auf diese Einmündung erledigen sich die Einsprüche gegen die Knöllchen ganz schnell.

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Bei dieser Entscheidung, sowie den Beitraegen, kommen mir Erinnerungen ueber die recht irritierenden aufgestellten Verkehrsschilder in meinen ehemaligen Bundesland.

1. So wurde innerorts 50m vor!! dem Halteschild, die Ortsgeschwindigkeit durch ein entsprechendes Schild aufgehoben.

2. Am Anfang!! einer langezogenen Kurve einer Bundesstrasse mit durchgehender Mittellinie, befand sich ein Schild mit Ende  des Ueberholverbots!!

3. Strafzettel fuer Parken im Halteverbot, wobei anzumerken ist, dass das bezeichnete Schild total eingewachsen war!!

Und Blitzen erscheint mir als eine Paparazzi Methode. An meinen Wohnort werden die sehr wenigen Anlagen, entsprechend fuer die Verkehrsteilnehmer, angekuendigt. In anderen Landesteilen werden diese wieder entfernt, denn sie dienen nicht der Verkehrssicherheit.

GS

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