Interessante Entscheidung des BGH zur Zugriffsnähe beim bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 11.01.2020

Probleme bereitet in der Praxis immer wieder die Frage, wann sich bei einem bewaffneten Handeltreiben eine Schusswaffe oder ein sonstiger gefährlicher Gegenstand in Zugriffsnähe befindet. Die Bejahung der Frage kann weitreichende Auswirkungen haben, da das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren bedroht ist (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).

Denn nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG wird bestraft, wer beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Das Merkmal des Mitsichführens liegt dann vor, wenn der Täter die Waffe bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann (Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 30a Rn. 78a). Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Waffe in der Hand hält, in der Hosentasche oder wenigstens am Körper trägt. Ein Mitsichführen liegt bereits dann vor, wenn die Waffe dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung steht, d. h. sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten, bedienen kann (ständige Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 15.11.2017, 2 StR 74/17 = BeckRS 2017, 139279). Bejaht wurde die Zugriffsnähe, wenn der Täter die Waffe bei einer Drogenverkaufsfahrt im Pkw griffbereit z. B. im Handschuhfach, im leeren Airbag-Fach oder unter dem Fahrersitz mit sich führt.

Im konkreten Fall bewahrte die Angeklagte, während sie anlässlich einer Drogenbeschaffungsfahrt einen PKW steuerte, in ihrer Handtasche ein Elektroschockgerät auf. Die Handtasche hatte ein auf dem Beifahrersitz sitzender Mittäter bei der Einfuhr „umgehängt“. Das reichte dem BGH aus (BGH, Beschl. v. 11.12.2019, 5 StR 610/19 = BeckRS 2019, 33502):

„Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Namentlich weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass den Urteilsgründen eine jederzeit zu realisierende Herrschaftsmöglichkeit der das Auto lenkenden Angeklagten über das in ihrer Handtasche befindliche Elektroschockgerät entnommen werden kann. Dass sich ihr auf dem Beifahrersitz sitzender Mittäter bei der Einfuhr diese Handtasche „umgehängt“ hatte, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30a Rn. 144, 146, 149; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30a Rn. 108, jeweils mwN). Hierdurch standen dem Zugriff der Angeklagten keine größeren Hindernisse entgegen als etwa bei einer Lagerung einer Waffe im Handschuhfach (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2002 - 1 ARs 14/02, NJW 2002, 3116, 3117 mwN) oder in einer Sporttasche auf der Rückbank eines Autos (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2013 - 4 StR 187/13, NStZ-RR 2013, 320). Mit dem Generalbundesanwalt schließt der Senat aus, dass sich der von der Waffe nicht wissende Mittäter einem Griff der Angeklagten nach ihrer Handtasche und des darin befindlichen Elektroschockgeräts widersetzt hätte.“

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