Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz für Arbeitgeber?

von Martin Biebl, veröffentlicht am 24.03.2020
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtCorona2|4590 Aufrufe

Die Corona-Pandemie bringt bereits jetzt zahlreiche große und kleine Unternehmen an den Rand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und in ihrer Not greifen die Unternehmen nach dem kleinsten Strohhalm. Umso verständlicher ist dies, wenn teilweise der Eindruck erweckt wird, dass eine gesetzliche Bestimmung wie z.B. das Infektionsschutzgesetz in der aktuellen Situation enorme Entschädigungszahlungen verspricht.

Das bisher eher unbekannte Infektionsschutzgesetz (IfSG) scheidet nach seiner Systematik als Rechtsgrundlage für Entschädigungsansprüche für juristische Personen jedoch aus. Auch wenn die wenigsten von uns mit dem Gesetz bisher regelmäßig in Berührung gekommen sein dürften, so ist der Sinn und Zweck der darin enthaltenen Entschädigungsregelungen schnell klar: Sie regeln Entschädigungen für behördliches Handeln gegenüber natürlichen Personen. Aktuell betrifft dies vor allem die Quarantäneanordnung oder die Verhängung eines Tätigkeitsverbots gegenüber einer konkret bezeichneten Person (insbesondere Arbeitnehmer). In diesen Fällen gibt es Entschädigungszahlungen für die betroffene Person. Die Abwicklung verläuft zweistufig: Zunächst geht der Arbeitgeber in Vorleistung und zahlt den Lohn für die Dauer von bis zu sechs Wochen fort. § 56 Abs. 5 IfSG regelt dann einen Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen die Behörde in Höhe der Gehaltsfortzahlung an den Arbeitnehmer (der Streit um die Anwendung des § 616 BGB in diesen Fällen soll hier nicht weiter vertieft werden).

Davon zu unterscheiden ist der Fall, in dem ein ganzer Betrieb wegen des behördlich angeordneten Shut-Down schließen muss. Die dafür jeweils maßgebliche behördliche Allgemeinverfügung richtet sich – anders als eine individualisierte Quarantäneanordnung – schließlich gegen alle Betriebe bestimmter Wirtschaftszweige und betrifft die in diesen Bereichen tätigen Arbeitnehmer nur mittelbar. Der betroffene Arbeitgeber sieht sich in diesem Fall in der schwierigen Situation, dass er seinen Betrieb zwar nicht öffnen darf, die Vergütungen der Mitarbeiter aber wegen der Betriebsrisikolehre des Bundesarbeitsgerichts fast ausnahmslos weiterzuzahlen sind.

Genau dafür sieht das das Infektionsschutzgesetz aber keine Entschädigungen vor. Die Entschädigungen richten sich an natürliche Personen, die von behördlichem Handeln unmittelbar betroffen sind und nicht an juristische Personen, bei denen sich das Betriebsrisiko des Arbeitgebers verwirklicht. Dieses Ergebnis ist auch systematisch zu begründen: Wieso sollte ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter zur Abwendung des angesprochenen Betriebsrisikos in die Kurzarbeit schicken, in der sie – ohne Aufstockungsleistungen – nur 60 bzw. 67 % der Nettoentgeltdifferenz erhalten, wenn er stattdessen die ungekürzte Vergütung fortzahlen und von der Behörde einen 100 %-Ausgleich erhalten könnte. Dann wäre die Kurzarbeit sinnlos.

In der aktuellen Krise gibt es für Unternehmen zur Abwendung bzw. Abmilderung der finanziellen Belastung bereits jetzt verschiedene Instrumente: Die Einführung von Kurzarbeit, Kredite der KfW, Steuerstundungen und die angekündigten Soforthilfen des Bundes oder der Länder. Der Gesetzgeber arbeitet an weiteren Instrumenten und wird zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Mit Entschädigungen für Umsatzeinbußen oder laufende Kosten auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes können juristische Personen aber nicht rechnen.

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2 Kommentare

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Wer sich das IfSG ansieht, erkennt, dass es für eine solche Situation wie jetzt eher nicht geschrieben wurde. Da ging es wohl eher um einzelne Menschen, die sich bei der Murmeltierjagd im Ausland die Pest eingefangen haben und entweder auf dem Heimflug oder zuhause erkennbar erkranken und man alle Kontaktpersonen recht schnell ausfindig macht und vor allem die Orte, an denen sie sich aufgehalten haben, erst einmal desinfizieren muss (und zuvor sperrt, weil man sie kennt).

Der Gedanke, dass man - wie derzeit - Betriebe, in denen bisher kein Keim gefunden wurde, aus reinen Vorsorgegründen (d.h. auch ohne Suche nach den Keimen, die vermutlich sowieso schon unschädlich wären) für Menschen, die sich nicht Quarantäne befinden, weil man keinen Hinweis auf eine bestehende Infektion hat und die mit 99,9% Wahrscheinlichkeit vollkommen gesund sind, sperrt, ist recht in­no­va­tiv, und kann mit dem IfSG eigentlich nicht gut begründet werden.

Wie innovativ die derzeitigen Maßnahmen sind, kann man in der Bundestagsdrucksache 17/12051 Anlage 4 (Risikoanalyse Bevölkerungsschutz Bund: Pandemie durch Virus „Modi-SARS“) entnehmen (ersetzen Sie „Modi-SARS“ einfach durch „COVID-19“). Auf Seite 68 sind die Maßnahmen aufgezählt. Aber die derzeit umgesetzten Maßnahmen sind da nicht beschrieben.

Aber wie im Szenario es geht überhaupt nicht mehr um Verhinderung weiterer Ansteckungen, sondern ganz einfach um eine Verlangsamung der Ausbreitung, um die als unausweichlich angesehene Infektion eines Großteils der Bevölkerung zeitlich zu strecken, aber mit den besten heute(!) bekannten Mitteln. Wenn der Staat etwas neben dem Gesetz arbeitet, kann er Betroffenen aber die Entschädigung eigentlich nicht unter Hinweis auf den genauen Gesetzeswortlaut verweigern. Fordern könnten die Betroffenen eine Entschädigung dann aber nur, wenn sie sich zuvor gegen die Anordnung gewehrt haben, was meines Wissens bisher nicht so oft vorkommt (bisher sind nur Eilentscheidungen zu einem "Late-Night-Shopping" am 14. März 2020 des VG Stuttgart vom 14. März 2020, ECLI:DE:VGSTUTT:2020:0314.16K1466.20.00 und zur untersagten Nutzung von Nebenwohnungen des VG Schleswig vom 22. März 2020, Aktenzeichen 1 B 10/20, 1 B 11/20, 1 B 12/20, 1 B 13/20, 1 B 14/20 durch Pressemitteilung), in der derzeitigen Situation keine Erfolgsaussicht hat (die Eilentscheidungen sind eindeutig zuungunsten der Antragsteller ausgegangen) und - das ist besonders wichtig - vermutlich auch erhebliche gesellschaftlichen Nebenwirkungen für die Antragsteller hätte. Vermutlich wird aber der Staat seine Pflichten ggü. den Betroffenen sowohl erkennen als auch erfüllen.

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Zur Frage, inwiefern die von einer allgemeinen Untersagungsverfügung betroffenen Arbeitnehmer (AN) einen Entschädigungsanspruch - und damit der Arbeitgeber (AG) einen Erstattungsanspruch - gegen die zuständige Behörde nach § 56 InfSG  haben könnten:

Vertretbar wäre aus meiner Sicht, den Anspruch aus § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 iVm § 31 Satz 2 iVm § 56 Abs. 1 InfSG herzuleiten. Die potentiellen Weiterverbreiter iS von § 31 Satz 2 InfSG („sonstige Träger von Krankheitserregern“) werden durch eine allgemeine Untersagung/Betriebsschließung einem Verbot der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit unterworfen und erleiden dadurch einen Verdienstausfall. Die allgemeine Untersagung beinhaltet dabei die Vielzahl von individuellen Tätigkeitsverboten.

Folge danach wäre: Auszahlung der Entschädigung an die AN durch den AG nach § 56 Abs. 5 InfSG und Erstattung des gezahlten Betrages auf Antrag des AG durch die Behörde an diesen.

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