Coronapandemie: Die neuen Regelungen zur Miete

von Dr. Oliver Elzer, veröffentlicht am 26.03.2020
Rechtsgebiete: Miet- und WEG-RechtCoronaRechtspolitik12|11058 Aufrufe

Michael Selk hat an dieser Stelle bereits am 18.3.2020 Überlegungen angestellt, was in der Miete angesichts des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 gelten sollte. Ferner hat er an anderer Stelle bereits erste Überlegungen angestellt, was die Neuregelung leistet und was ihr Inhalt ist.

Diese Überlegungen sollen hier vertieft und erweitert werden. Zu Beginn ist zu erinnern, was neu ist. In Art. 240 § 2 EGBGB heißt es wie folgt:

(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.

(2) Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Pachtverhältnisse entsprechend anzuwenden.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nur bis zum 30. Juni 2022 anzuwenden.

Nach ihrem Sinn und Zweck will diese Norm Mieter von Grundstücken sowie von zu privaten oder gewerblichen Zwecken angemieteten Räumen (zunächst) bis zum 30. Juni 2020 gegenüber den Folgen der COVID-19-Pandemie absichern. Ihr Wortlaut ist auf diesen Sinn und Zweck abzuklopfen und zu überprüfen. Dies soll hier in einem „Frage-ABC“ versucht werden. Dieses ABC beruht vor allem auf meinen Gesprächen und einem E-Mail-Kontakt mit Dr. Kai Zehelein. Ferner habe ich eine E-Mail von Prof. Dr. Artz verarbeitet, in der dieser gemeinsame Überlegungen mit Prof. Beate Gsell dargestellt hatte.

Mir ist bewusst, dass wir alle noch Boden gewinnen müssen. Diese Auflistung ist ein erster Versuch für die Praxis:

  • Wie wirkt Art. 240 § 2 EGBGB? Die Bestimmung gibt dem Mieter kein Leistungsverweigerungsrecht und auch kein Stundungsrecht. Sie schließt vielmehr eine Kündigung nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, aber auch eine nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen nicht gezahlter Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020 aus. Diese Vorschriften sind, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 240 § 2 EGBGB erfüllt sind, bis zum Ablauf des 30.6.2022 vollständig suspendiert. Der Vermieter kann wegen der Nichtzahlung der Mieten für die Monate April 2020 bis Juni 2020 erstmals am 1.7.2022 eine Kündigung aussprechen. Diese Mieten spielen auch für § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB keine Rolle und sind fiktiv so behandeln, als wären sie erfüllt. Auf § 543 Abs. 2 Satz 2 oder Satz 3 BGB kommt es erstmals am 1.7.2022 an.
  • Was meint „trotz Fälligkeit“? Gemeint sind die Mieten, die vom Mieter für die Monate April 2020 bis Juni 2020 zu leisten sind. Ob der Mieter keine Miete oder anteilig Miete zahlt, ist unerheblich.
  • Was meint der Begriff „allein“? Auch er will beschreiben, dass es nur um die vom Mieter für die Monate April 2020 bis Juni 2020 geschuldeten Mieten geht. Art. 240 § 2 EGBGB erfasst nach Sinn und Zweck aber auch den Fall, dass der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB beschriebene Rückstand seine Ursache auch in Mieten hat, die vor dem 1. April 2020 geschuldet waren.
  • Warum heißt es in Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB glaubhaft zu machen? Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB geht davon aus, dass den Mieter bei einem Streit, ob die Voraussetzungen des Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBGB vorliegen, die Beweislast trifft. Insoweit senkt das Gesetz, wie z.B. im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, das nach § 286 ZPO zu erreichende Maß auf eine Glaubhaftmachung ab. Dieses Beweismaß ist im normalen Zivilprozess, wie Selk zu Recht ausführt, ein Fremdkörper. Es ist aber hinzunehmen und führt wohl auch zu überzeugenden Ergebnissen: Gelingt dem Mieter keine Glaubhaftmachung, verdient er keinen Schutz. Problematisch könnten sich Hilfsprogramme erweisen. Was gilt, wenn der Mieter davon Gebrauch machen konnte, aber es nicht tat? Fällt ihm das auf die Füße? Und soll es wie bei der PKH die Frage geben, ob man sich die Mittel irgendwo beschaffen konnte, etwa durch Verkauf des eigenen Autos? Vorschlag: Es reicht, wenn beim Wohnraummieter der Arbeitslohn entfallen oder stark reduziert wurde. Hierauf deutet auch die Gesetzesbegründung hin (siehe BT-Drs. 19/18110, 36). Denn Sie will Bescheinigungen des Arbeitsgebers oder andere Nachweise über das Einkommen bzw. über den Verdienstausfall ausreichen lassen.
  • Ist eine Kündigungserklärung wegen der Mieten für April bis Juni wirksam? Nein. Die Erklärung ist unwirksam. Der Vermieter kann in Bezug auf diese Mieten erstmals am 1.7.2022 eine Erklärung abgeben.
  • Bleibt der Mieter zur vollständigen Mietzahlung verpflichtet? Ja, selbstverständlich. Er kann weder die Leistung verweigern, noch ist ihm etwas gestundet. Er schuldet nach Verzug auch Zinsen.
  • Was ist, wenn die Mietsache amtlich gesperrt wird? Dies ist kein Mietmangel. Eine Minderung scheidet aus.
  • Was gilt, wenn z.B. in einem Bahnhof oder einem Einkaufszentrum die Laufkundschaft wegbricht, die Mieträume aber genutzt werden können? Dies kann ein Fall des § 313 BGB sein.
  • Was gilt für § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB? Der Gesetzgeber hat zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nichts ausgeführt. Er hat dabei ggf. nicht bedacht, dass der Mieter ab dem 1.4.2020 möglicher Weise aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage ist, eine bereits ausgesprochene Kündigung innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch Nachzahlung zu heilen. Nach Sinn und Zweck wäre vorstellbar, hier Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB analog anzuwenden. Die Voraussetzungen für eine Analogie dürften vorliegen. Sollte der Mieter nur aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage sein, sich die Wohltat des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu verschaffen, liegt es nicht anders als bei § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Allerdings müsste man vermuten, dass der Mieter nicht erhaltene Mittel zur Erfüllung der Mietschulden eingesetzt hätte.
  • Und was gilt in Bezug auf § 543 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BGB für Mieten aus Februar oder März 2020? Nach Sinn und Zweck wäre auch hier vorstellbar, Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB analog anzuwenden. Die Voraussetzungen für eine Analogie dürften vorliegen. Sollte der Mieter nur aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage sein, sich diese Wohltaten zu verschaffen, liegt es nicht anders als bei § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Allerdings müsste man dann auch vermuten, dass der Mieter nicht erhaltene Mittel zur Erfüllung der Mietschulden eingesetzt hätte.
  • Kann der Vermieter für die für die Monate April 2020 bis Juni 2020 geschuldeten Mieten auf eine vom Mieter nach § 551 BGB geleistete Kaution zurückgreifen? Ja! Kommt der Mieter während der Mietzeit in Zahlungsverzug, so ist der Vermieter zwar nur dann berechtigt, sich aus der Sicherheit zu befriedigen, wenn eine Forderung rechtskräftig festgestellt, unstreitig oder offensichtlich begründet ist (etwa BGH, Urteil vom 7.5.2014 – VIII ZR 234/13, Rn. 11). Die Mietforderung ist aber unstreitig oder offensichtlich begründet. Der Vermieter kann auch die Wiederauffüllung der Kaution verlangen. Analog Art. 240 § 2 Abs. 4 EGBGB aber erstmals am 1.7.2022. Wer dies anders sieht, sollte die Interessen des Vermieters stärker in den Blick nehmen. Viele sind zur Bedienung des Kapitaldienstes oder ihres Unterhalts auf die Mietzahlungen angewiesen.
  • Was gilt für § 272 Abs. 4 ZPO? Art. 240 § 2 EGBGB hat auf diese Bestimmung keinen Einfluss.
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12 Kommentare

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Ich habe tatsächlich Art. 240 § 2 EGBG auch vor dem Hintergrund des Wortlauts ("leistet...") als auch vor dem Hintergrund der Systematik (s. § 1) als Leistungsverweigerungsrecht verstanden, lasse mich aber auch durchaus von der Lösung als "Kündigungsausschluss" überzeugen (dogmatisch ist das allerdings nach wie vor unklar - in welche Schublade soll das passen?). Zum "Glaubhaftmachen": nach der Gesetzesbegründung soll auch eine eidesstattliche Versicherung genügen, weiterer Beläge o.ä. bedarf es nicht zwingend. Hier ist die Begründung m.E. aber auch unklar. Ich halte das nach wie vor für nicht durchdacht, Beispiel: V erhebt trotz Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung Räumungsklage wegen rückständiger Mieten ab April und Mai nach ausgesprochener Kündigung. Wie weit muss das Gericht hier noch nachprüfen: genügt die eidesstattliche Versicherung und endet damit die Prüfung? Was ist, wenn V qualifiziert bestreitet und Gegenbeweis anbietet? Muss dann noch in eine Beweisaufnahme (mit Vollbeweis) eingetreten werden? Hier zeigt sich, dass der Fremdkörper eben Fremdkörper bleibt.

Sehr geehrter Dr. Selzer, sehr geehrter Dr. Selk,

Bedeutet die neue Regelung nicht (implizit), dass grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass der Mieter zur vollständigen Mietzahlung weiter verpflichtet ist (und somit auch eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB ausscheidet, da ihm das vollständige Risiko zugwiesen wird)? Wenn lediglich die Kündigungsmöglichkeit eingeschränkt wird, heißt das ja im Umkehrschluss, dass normalerweise durchaus gekündigt werden könnte, wenn der Mieter nicht zahlt - und eine Pflicht zur Zahlung somit dem Grunde nach besteht.

Ist es in einem solchen Fall wie einer unvorhersehbaren Pandemie nicht unbillig, dass das Risiko nicht geteilt wird?

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Das lässt sich sicherlich auch vertreten. Wie gesagt, letztlich wird man abwarten müssen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass eine Minderung der Miete bei einer Schließung eines Restaurants zB wegen Corona nicht möglich ist - die Rechtsprechung ist hier durchaus uneinheitlich. Wenn eine behördlich angeordnete Großbaustelle mit der Folge des massiven Besucherrückgangs zu einem Mangel gem. § 536 BGB führen soll (vgl. OLG Frankfurt, NZM 2015, 542 zB) und man sich vor Augen führt, dass der XII. Zivilsenat des BGH abweichend vom VIII. ZS bislang einen Umweltmangel als Mangel der Mietsache grundsätzlich bejaht, wenn "Unmittelbarkeit" gegeben ist, so kann man mit guten Gründen auch eine Minderung bejahen (Unmittelbarkeit der Einwirkung ist sicherlich gegeben). 

Als Ergänzung: meine Überlegung bezieht sich auf gewerbliche Mietverträge bei behördlicher Schließungsanordnung aufgrund Corona.

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Ich bezweifele, dass Minderung angezeigt wäre. Das Verbot ist nicht objektbezogen. Was ist bei vermieteten Kfz, wenn etwa eine Oberbürgermeistersonderfahrspur gesperrt ist , man da aber, weil nicht OB, nicht fahren darf?

Ich frage mich, ob das Wörtchen "allein" nicht dazu führen muss, dass z.B. bei einem Mietrückstand von März und April die Kündigung gerade nicht ausgeschlossen ist (alternativ: Juni und Juli), weil dann die Kündigung eben gerade nicht allein auf einen Rückstand aus April bis Juni gestützt wird. Andernfalls hätte der Gesetzgeber auf das Wörtchen "allein" verzichten können.

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Elzer,

Ihrer Auffassung, der Mieter müsse sich die Mittel zur Zahlung der Miete nicht durch den Verkauf von Gegenständen (z.B. eines Pkw) beschaffen, stimme ich zu, jedenfalls bei Gegenständen, die nicht kurzfristig und problemlos zum wahren Wert veräußert werden können. Auch die Nichtinanspruchnahme von Corona-Zuschüssen oder sonstigen Leistungen im Rahmen von Hilfsprogrammen dürfen dem Mieter nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht auf die Füße fallen, da die Bewilligung u.U. einige Zeit in Anspruch nehmen wird. 

Ich habe jedoch eine Frage zu Ihrem Vorschlag "Es reicht, wenn beim Wohnraummieter der Arbeitslohn entfällt oder stark reduziert wurde.". Meinen Sie damit, dass der Mieter auch nicht auf Ersparnisse zurückgreifen muss? Ich meine, dass er dies muss, wenn seine Ersparnisse ausreichen, um die Miete für April bis Juni zu zahlen. Lediglich das Schonvermögen und das Altersvorsorgevermögen müsste er m.E. nicht antasten. Andernfalls fehlt es an der Kausalität. Dies dürfte auch mit dem Gesetzeszweck im Einklang stehen. Denn das Gesetz hat Personen im Blick, die nicht über ausreichende Rücklagen verfügen, bis zur Aufhebung der Maßnahmen ihre laufenden Verbindlichkeiten zu begleichen. Etwas anderes folgt m. E. nicht aus der Nennung von Beispielen zur Glaubhaftmachung (Bescheinigung des Arbeitgebers, Nachweise über das Einkommen bzw. den Verdienstausfall). Daraus folgt nur, dass die Unterlagen zur Glaubhaftmachung ausreichen. Sollte der Mieter aber über ausreichende Rücklagen verfügen, muss er darauf auch zurückgreifen.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Schmalbach

 

 

 

 

Es reicht, wenn beim Wohnraummieter der Arbeitslohn entfallen oder stark reduziert wurde.

 

 

Sehr geehrter Herr Schmalbach,

Ihr Standpunkt ist sehr gut vertretbar. Er öffnet aber mE die Büchse der Pandora und ruft zum Rätselraten auf, welches Vermögen der Wohnraummieter einsetzen muss und welches nicht. Ich plädierte daher bewusst dafür, den Gerichten und allen anderen Beteiligten dieses Raten zu ersparen und nach einer historischen und sinnorientierten Auslegung nur am Gehalt, Lohn und Sold anzuknüpfen. Jeder andere Weg ist auch gangbar. War er aber gewollt?
 

Oliver Elzer

Danke für die schnelle Antwort. Ihre Auffassung sorgt sicherlich für Rechtssicherheit. Wenn man aber keine Grenze zieht, muss dies auch für den vermögenden Mieter mit hohen liquiden Rücklagen gelten, der aufgrund von Covid-19 kein Arbeitsentgelt erhält. Bleibt zu hoffen, dass sich die Vertragsparteien von Vernunft leiten lassen und es zu diesen Fällen nicht kommt. 

Vielen Dank für die schnelle Antwort. Ihre Auffassung sorgt sicherlich für Rechtssicherheit. Wenn man aber keine Grenze zieht, muss dies auch für den vermögenden Mieter mit hohen liquiden Rücklagen gelten, der aufgrund von COVID-19 kein Arbeitsentgelt erhält. Hoffen wir, dass sich die Mietvertragsparteien von Vernunft leiten lassen und es zu diesen Fällen nicht kommen wird.

Auch das lässt sich hören. Allerdings war ggf. wirklich der "Lohnempfänger" im Fokus des Gesetzgebers. Wegen der Zinsen wäre iÜ niemanden, der die Miete tatsächlich leisten kann, zu raten, diese nicht zu erfüllen.

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