BVerfG: Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz verstößt in derzeitiger Form gegen Grundrechte

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 19.05.2020

Heute verkündet vom Ersten Senat des BVerfG: Die TK-Überwachung von Ausländern im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst ist an die Grundrechte des GG gebunden.

Wesentliche Argumentation des BVerfG:

Das GG lasse eine globale und pauschale Überwachung auch zu Zwecken der Auslandsaufklärung nicht zu. Die derzeitige Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlagen verstoße gegen das TK-Geheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), und zwar sowohl die Erhebung und Verarbeitung der Daten als auch die Übermittlung der hierdurch gewonnenen Daten an andere Stellen wie ebenfalls die Kooperation mit anderen ausländischen Nachrichtendiensten. Die Geltung der Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt. Jedenfalls gälte der Schutz des Art. 10 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Abwehrrechte gegenüber einer TK-Überwachung auch auf Ausländer im Ausland.

Es fehle beim BND Gesetz u.a. an verschiedenen Schutzvorkehrungen, etwa zum Schutz von Journalisten oder Rechtsanwälten. Hinsichtlich der Datenübermittlung fehle es an der Gewährleistung eines hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutzes und ausreichender Eingriffsschwellen.

Der Gesetzgeber hat bis zum Jahresende 2021 für die verfassungsmäßige Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen der Ausland-Ausland-TK-Überwachung“) zu sorgen.

Was halten Sie von diesem Urteil?

Zum Beispiel:

  • Wird das Urteil dazu führen, dass die dt. Geheidienste eine Überwachungstätigkeit im Ausland weiter auf andere nicht an das GG gebundene Geheimdienste „outsourcen“? Verboten ist die Auslandsaufklärung ja nicht: Das BVerfG stellt fest: „Die strategische Überwachung kann als spezifische Befugnis der Auslandsaufklärung dennoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Maßgeblich sind hierfür die besonderen Bedingungen staatlichen Handelns und die Schwierigkeiten der Informationsgewinnung im Ausland, denen der Gesetzgeber hier ausnahmsweise durch den Verzicht auf objektivierte Eingriffsschwellen Rechnung tragen darf.“
  • Interessant auch die Aussage zu der Speicherung der Verkehrsdaten (ein weiteres generell umstrittenes Thema): „Die Befugnis, Verkehrsdaten im Rahmen der Auslandsüberwachung gesamthaft zu speichern und zu bevorraten, muss hinsichtlich der davon erfassten Datenströme begrenzt bleiben; eine Speicherungsdauer von sechs Monaten darf nicht überschritten werden.“ Gilt diese Schwelle auch für andere Sammlungen von Verkehrsdaten?
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12 Kommentare

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Haben Sie auch das leichte Zittern wahrgenommen? Wie bei Karneval - international haben andere Staaten, Regierungen und Geheimdienste gelacht und gejubelt vor  Freude, über den Karlsruher Spruch.Deutschland schafft sich ab, macht die Ohren zu, und wird von USA und China erfahren, wie Elektronik geht. Das heißt, eine Ausnahme, Presseerklärung  III  2 g): Das eigene Gehalt sollte gesichert werden, daher dürften die "wert"-bezogenen Abwägungen mit Dr. Walter-Borjans bei Rechtsanwaltsgeheimnissen zu Steuerangelegenheiten ganz gewiss torpediert werden.  Oder haben Sie wahrgenmmen, dass deutsche Rechtsanwaltsorganisationen - etwa BRAK, DAV - energisch gegen die Verbreitung von Panama-Papers protestiert hätten?

Die LTO-Presseschau:

BVerfG zu BND-Gesetz: Die im Gesetz über den Bundesnachrichtendienst geregelte Fernmeldeaufklärung im Ausland ist verfassungswidrig. Nach Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts ist die in Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz normierte Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt. Der in den Art. 10 Abs. 1 GG und 5 Abs. 1 Satz 2 GG vermittelte Grundrechtsschutz gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung erstrecke sich auch auf Ausländer im Ausland und zwar unabhängig vom Ort der Überwachung, so das BVerfG, das dem Gesetzgeber eine mit Ablauf des nächsten Jahres endende Frist für eine Neuregelung setzte. Die beanstandeten Regelungen bleiben bis dahin in Kraft. Für eine verfassungskonforme Neuregelung macht das BVerfG zahlreiche Vorgaben. Vor allem wird eine stark verbesserte Kontrolle der BND-Auslandsaufklärung gefordert. Ausführliche Berichte und Analysen zur Entscheidung finden sich in SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), Welt (Dirk Banse/Michael Behrendt), Tsp (Jost Müller-Neuhof), lto.de (Markus Sehl), tagesschau.de (Gigi Deppe). zeit.de (Kai Biermann), spiegel.de (Dietmar Hipp/Wolf Wiedmann-Schmidt) und durch den Akademischen Rat Björn Schiffbauer auf juwiss.de.

Die FAZ (Marlene Grunert) widmet Verfassungsrichter Johannes Masing, für den die Entscheidung einen "letzten großen Auftritt" darstellte, ein Porträt und geht dabei auch auf die Nachfolgediskussion in der SPD ein. Die SZ (Ronen Steinke) interviewt die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova, die am Verfahren als Beschwerdeführerin beteiligt war.

In einem Kommentar begrüßt Christian Rath (taz) das "Snowden-Gedächtnis-Urteil" und spricht sich dafür aus, "die ineffiziente Zersplitterung der deutschen Geheimdienstkontrolle auf derzeit vier Gremien zu beenden". Als "eigentlicher Paukenschlag" müsse die Grundrechsbindung deutscher Staatsgewalt im Ausland, vor wenigen Jahren noch als "indiskutabler juristischer Spleen" abgetan, gelten. Nach Markus Beckedahl (netzpolitik.org) zeigt die Entscheidung, "dass strategische Prozessführung", hier der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Reporter ohne Grenzen, "funktionieren kann". Reinhard Müller (FAZ) mahnt im Leitartikel, dass die notwendige Kontrolle des BND "seine Kerntätigkeit nicht unmöglich machen" dürfe und Wolfgang Büscher (Welt) befürchtet, dass eingeschränkte Möglichkeiten internationaler Kooperation den Geheimdienst "zu einem Dienst zweiter Klasse" machen könnte. Dies "hieße auch nationale Sicherheit zweiter Klasse". Ronen Steinke (SZ) betont, dass der BND weiter im Ausland abhören dürfe, es könne seine Arbeit "sogar wirksamer machen", wenn er genau hinsieht, bevor er überwacht. 

Die LTO-Presseschau:

BVerfG zu BND-Gesetz: In der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht verkündet, dass die im Gesetz über den Bundesnachrichtendienst geregelte Fernmeldeaufklärung im Ausland verfassungswidrig ist und die Informationsweitergabe und Kontrolle der Nachrichtendienste neu geregelt werden müssen. Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas erläutert auf lto.de noch einmal die Entscheidung und erklärt, was der Gesetzgeber jetzt zu tun hat. Auch der Richter Timo Schwander befasst sich auf verfassungsblog.de mit dem Karlsruher Richterspruch, sieht allerdings auch viele offene Fragen, die der Gesetzgeber beantworten muss. Dass es künftig für den BND um einiges langwieriger und komplizierter werde, zur Früherkennung von Gefahren die Kommunikation von Ausländern im Ausland mithilfe von Suchbegriffen zu überwachen, schreibt die Sa-FAZ (Helene Bubrowski). Ebenso groß sei aber die Sorge, dass die Partnerdienste ihrerseits weniger auf den Tisch legten, wenn sie wüssten, dass sie vom BND weniger erwarten könnten, oder tatsächlich weniger komme. Im ähnlichen Tenor schreibt Morten Freidel (FAS). In einem Gastbeitrag für die Wams fassen Ulf Buermeyer und Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Verfassungsbeschwerde koordiniert hatte, nicht nur die Entscheidung zusammen, sondern beschreiben auch, wie es zu dem Verfahren gekommen ist.

Der Spiegel (Wolf Wiedmann-Schmidt) berichtet von einer Initiative der FDP, die jetzt die Schaffung eines Geheimdienstbeauftragten des Bundestages fordert.

Die Rede ist hier überall von BVerfG, U. v. 19.5.2020 – 1 BvR 2835/17. Leitsatz 1:

Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ist nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt. Der Schutz der einzelnen Grundrechte kann sich im Inland und Ausland unterscheiden. Jedenfalls der Schutz des Art. 10 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Abwehrrechte gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung erstreckt sich auch auf Ausländer im Ausland.

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Zu Rn. 92 pp des Urteils:
Habe ich das Urteil richtig verständen? Soll es im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß das Handeln des deutschen Staates, wo auch immer und wem gegenüber auch immer es auf diesem Globus geschieht, ipso jure das jeweils benötigte und uno actu gleich verletzte Grundrecht des von dem Handeln betroffenen Subjekts gebiert -- also unabhängig davon, ob dieses Subjekt schon vorher Träger der deutschen Grundrechte war (wie z. Bsp. ein in Deutschland lebender Deutscher), so daß in letzterem Fall ja nicht zunächst die Grundrechtsgeltung, sondern nur noch geprüft werden muß, ob der Staat eines dieser Grundrechte verletzt hat.

Oder anders gefragt: Ist laut GG jedermann auf dieser Welt jedezeit und überall Träger der deutschn Grundrechte? Und wenn nicht: auf welchem methodisch sauberen Wege kann er plötzlich aus dem Nichts heraus zum Grundrechtsträger werden? Gibt es womöglich "latente Grundrechte", die durch bestimmte äußere Ereignisse aktiviert werden können, und wenn ja: wäre dies dem GG tatsächlich irgendwo zu entnehmen?

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Ist laut GG jedermann auf dieser Welt jedezeit und überall Träger der deutschn Grundrechte?

Nicht alle, sondern nur sofern es sich um Menschenrechte (wie Art. 10 Abs. 1 GG) und nicht um Deutschenrechte handelt. Verpflichtet ist aber natürlich nur die deutsche öffentliche Gewalt.

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Wie schon gesagt, ich verstehe die Ausführungen des BVerfG so, dass die Ausland-Ausland-Aufklärung im Prinzip verfassungsgemäß ist, solange es ein vollwertiges und durchsetzungsfähiges Aufsichtsgremium gibt. Realistisch hierzu Rn. 160 des Urteils:  

Kooperationsfähig ist der Bundesnachrichtendienst aber nur, wenn er auch seinerseits Befugnisse hat, mit denen er die Ergebnisse anderer Dienste prüfen, sie aufnehmen und weiter verwerten kann und mit deren Hilfe er auch durch eigene Erkenntnisse als Partner beizutragen vermag. Befugnisse zur anlasslosen Überwachung der Auslandskommunikation dürften dabei, nach allem was bekannt ist, heute zur verbreiteten Ausstattung dieser Dienste gehören. 

Die LTO-Presseschau:

Corona – Grundgesetz: Nicht nur das letzte Woche ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BND-Gesetz, auch die Corona-Proteste zeigten laut Jost Müller-Neuhof (tsp), dass die Grundrechte über ihre Funktion als individuelle Abwehrrechte hinaus eine Gemeinschaft als ganze verpflichten. Anlässlich des 71. Jahrestag des Grundgesetzes wies er deshalb darauf hin, Grundrechte seien "keine Rechte von lauter Ichlingen, denen irgendwas über die Hutschnur geht".

BVerfG: zeit.de (Heinrich Wefing) macht nochmals darauf aufmerksam, welche Wellen die Urteile zum PSPP-Programm und zum BND-Gesetz geschlagen haben. Auch die Wahl der Nachfolge der scheidenden Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle und Johannes Masing habe verhältnismäßig viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Dies sei umso ungewöhnlicher für ein Gericht, das sonst leise und gediegen agiere, "eingehüllt in rote Roben, in Regeln und Regularien".

Die LTO-Presseschau:

BVerfG zu BND-Gesetz: Der Doktorand Benedikt Reinke diskutiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur strategischen Überwachung der Telekommunikation von Ausländern im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (BND) von Mitte Mai. Auf juwiss.de beschäftigt sich der Doktorand Christian Benz mit einem Teilaspekt des Urteils, und zwar der darin geforderten "gerichtsähnlichen Kontrolle", der die strategische Fernmeldeaufklärung des BND (u.a.) unterliegen soll.

Die LTO-Presseschau:

BVerfG – BND-Gesetz: Auf verfassungsblog.de analysiert Rechtsanwalt David Krebs das BND-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in welchem dieses die extraterritoriale Anwendung der Grundrechte bejaht hatte. Zwar beziehe sich die Entscheidung nur auf die Abwehrdimension von Grundrechten, sie ließe sich aber auf die Begründung von extraterritorialen Schutzpflichten übertragen. Dies habe etwa Relevanz für Menschen in transnationalen Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen, welche aufgrund einer solchen extraterritorialen Schutzpflicht durch ein sogenanntes "Lieferkettengesetz" geschützt werden könnten.

Die LTO-Presseschau:

BND-Auslandsüberwachung: Die Sa-SZ (Ronen Steinke, Georg Mascolo) beschreibt die Herausforderungen, vor denen der Gesetzgeber jetzt nach der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum BND-Gesetz steht. Auch wenn die Karlsruher Richter eine großzügige Übergangszeit bis 2021 eingeräumt haben, hätten die Arbeiten an einem neuen Gesetz bereits begonnen, heißt es im Text. Einen ersten Entwurf soll es bereits in diesem Sommer geben, der dann mit den beteiligten Ressorts, aber auch in der Öffentlichkeit diskutiert werde.

Wie die gerichtliche Kontrolle der Geheimdienste in Großbritannien funktioniert, erläutert David Anderson, Beauftragter der britischen Regierung, im Interview mit der Sa-SZ (Ronen Steinke).

Vergangene Woche haben die Regierungsparteien bzw. Regierungsfraktionen in Bundestag und Bundesrat das BND-Gesetz nun in veränderter Art abgesegnet, siehe dazu mit kritischem Kommentar etwa

https://www.piratenpartei.de/2021/04/03/das-neue-bnd-gesetz-piraten-warnen-erneut-vor-ueberwachungsstaat/

Früher sollte der BND in erster Linie der Abwehr ausländischer Spionage dienen, was unbedenklich und sogar sinnvoll und erforderlich und auch geboten und verhältnismäßig war, aber heutzutage scheint der Focus wohl nicht mehr so eng wie früher zu sein, und skeptische kritische Stimmen, wie etwa aus der Piratenpartei, fürchten wohl, daß die Überwachung mehr zur Abwehr ausländischer Geheimdienste als unbedingt nötig auch die eigenen Bürger treffen könnte.

Allerdings sollte man auch nicht ignorieren, daß eine Überwachung durch den BND vielleicht verhindern kann, daß die Staatsbürger durch ausländische Geheimdienste überwacht werden, und der bundesrepublikanische BND ist insoweit vermutlich das kleinere Übel.

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