Lesenswert: Urteil des LG Braunschweig zum Verkauf von Hanfblüten-Tee – Teil 2: Zur Wirkung von Nutzhanf sowie zur Wechselwirkung von THC und CBD

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 28.06.2020

Das Landgericht Braunschweig stellt des Weiteren sachverständig beraten fest, dass bei dem von den Angeklagten vertriebenen Hanfblüten-Tee ein Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen werden kann. Zwar sei eine Rauschwirkung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Tees als Aufgussgetränk nicht zu erzielen. Jedoch könne eine Rauschwirkung auftreten, wenn der Hanfblüten-Tee dazu benutzt werde, cannabishaltige Backwaren herzustellen. So sei ein Brownie, welcher 15 g des Hanfblüten-Tees der Angeklagten enthält, geeignet, nach dem Verzehr einen Cannabisrausch hervorzubringen (LG Braunschweig, Urteil vom 28. Januar 2020 – 4 KLs 804 Js 26499/18 (5/19) –, zitiert nach juris). 

Dazu verhält sich das Urteil unter Bezugnahme auf die Ausführungen der naturwissenschaftlichen Sachverständigen wie folgt (Rn. 204 ff.): 

„aa) Konsum als Tee

Der Sachverständige Dr. M. führte aus, dass durch den Konsum der Hanfblüten als Tee kein Rausch hervorgerufen werden könne. Das liege zum einen daran, dass THC nur schwer wasserlöslich sei. Es mache zwar einen geringen Unterschied in der THC-Konzentration des Tees, je nachdem wie lange man ihn ziehen lasse. Jedoch ließen sich hierzu keine genauen Angaben machen, da es gerade beim Tee im menschlichen Körper auch zu viele Wechselwirkungen gebe. Ein Kriterium sei beispielsweise, wie fetthaltig das zuvor aufgenommene Essen gewesen sei. Sicher könne man nur sagen, dass bei einem normalen Aufguss der Pflanzen die im Getränk verbleibende THC Konzentration zu niedrig sei, um einen Rausch hervorzubringen. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. dazu, den Tee nicht mit Wasser, sondern mit Öl aufzugießen, hat die Kammer als theoretisch mögliche, jedoch lebensfremde Überlegung zur Kenntnis genommen. Die Feststellung, dass die Angeklagten, bzw. deren Mitarbeiter den Kunden den Konsum in Form von Tee empfohlen haben, folgt nicht nur aus deren Einlassungen, sondern auch aus den Bekundungen des Zeugen KHK H., welcher ein solches Verkaufsgespräch im Rahmen einer Durchsuchung mitbekommen hat.

bb) Konsum durch Rauchen

Der Sachständige Dr. M. führte aus, dass eine Rauschwirkung durch Konsum des von den Angeklagten vertriebenen Hanfblüten-Tees theoretisch möglich, praktisch aber nur von erfahrenen (Tabak- oder Marihuana-)Rauchern erzielt werden könne.

Es sei problemlos möglich, den Tee der Angeklagten auch zu rauchen; insbesondere da es sich um reine Cannabispflanzen und keine Mischungen mit anderen Stoffen handelt. Beim Rauchen würde das Cannabis zwar erhitzt, jedoch könne man hierdurch maximal 25% des in der Pflanze enthaltenen THC verfügbar machen. Ausgehend von den objektiven Wirkstoffkonzentrationen des von den Angeklagten veräußerten Hanfblüten-Tees (im Schnitt 0,2%) müssten für eine Rauschwirkung etwa 7,5 g in Form von Joints aufgenommen werden. Dies entspräche sieben großen Joints. Wegen des Abbauprozesses im Körper müsste diese Menge innerhalb von 2 Stunden konsumiert werden. Eine solche Menge zu konsumieren würde ein sehr erfahrener Raucher wohl überstehen, ein normaler Nutzer aber nicht. Wegen der enormen Rauchproduktion und des Kohlenmonoxids müsste der Nutzer über gesteigerte Erfahrung im Atmen während des Rauchens solcher Mengen verfügen. Nichtsdestotrotz sei auf einem Kongress in Birmingham ein Fall vorgestellt worden, in dem erfahrene Zigarettenraucher in der Lage waren, vier Joints mit 1 g Cannabis innerhalb 1 Stunde zu rauchen.

Sowohl bei dem Fall aus Birmingham als auch bei einer weiteren Studie aus der Schweiz sei nachgewiesen worden, dass der Konsum von Cannabis mit nur 0,16% THC durch Rauchen zu sehr hohen THC-Blutwerten und einem damit einhergehenden Rausch führen kann. Jedoch seien auch in diesen Fällen nur erfahrene Raucher herangezogen worden. Der Sachverständige Dr. M. führte ferner aus, dass bei einer THC-Konzentration von 0,3% im Hanfblüten-Tee sicher eine Wirkung durch Rauchen von Joints erzielt werden könne. Jedoch ist eine solche Konzentration bei den sichergestellten Cannabispflanzen der Angeklagten objektiv nur in Ausnahmefällen festgestellt worden und zum anderen auch nicht vom Vorsatz der Angeklagten umfasst gewesen (s.o.).

Eine Umwandlung des CBD in THC im Wasserdampf beim Rauchen als Nebenprodukt werde nach Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. derzeit diskutiert. Chemisch sei eine solche Umwandlung nicht ausgeschlossen, er halte dies aber für unwahrscheinlich. Darüber hinaus ist es nach Auffassung der Kammer so, dass die Verbrennungsprodukte nicht nur rein tatsächlich entstehen, sondern auch in den Körper gelangen müssen. Nach den allgemein bekannten Erfahrungen mit Tabak ist es so, dass die beim Verbrennen gebildeten Flüssigkeiten beim Ziehen im dem Mund zugewandten Stück der Zigarette/Zigarre/Pfeife verbleiben, weshalb es (u.a.) auch Zigaretten- und Pfeifenfilter gibt. Dieser Effekt würde bei Joints entsprechend auch auftreten und so die Aufnahme erheblicher Teile von Verbrennungsnebenprodukte in den Körper erheblich erschweren. Der Sachverständige Dr. M. ging kurz darauf ein, dass man durch das Verfahren des sog. dabbing aus den hier veräußerten Cannabis-Blüten auch sehr hohe Konzentrationen THC (sog. Dabs) extrahieren und dann Rauchen könne. Er beschrieb dieses Verfahren aber als zu komplex und gefährlich, als dass davon ausgegangen werden könne, dass ein normaler Erwerber des Hanfblüten-Tees dies auch durchführen könne. Wer derartige Herstellungsverfahren für höchst konzentriertes THC beherrsche, werde dafür nicht auf den Tee der Angeklagten zurückgreifen.

Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. erachtet die Kammer die Gefahr einer Rauschwirkung bei unerfahrenen Personen durch Rauchen des Hanfblüten-Tees als theoretisch möglich, praktisch aber nicht naheliegend. …

 cc) Konsum in Form von Backwaren

Beide Sachverständige stimmten darin überein, dass aus dem von den Angeklagten vertriebenen Hanfblüten-Tee und Backwaren hergestellt werden könnten, die geeignet sind, einen Rausch herbeizuführen. Der Sachverständige Dr. M. schilderte dies am Beispiel von Keksen/Muffins. Hierzu führte er aus, dass THC zum einen fettlöslich sei und zum anderen durch die länger andauernde Hitze beim Backen das Kohlendioxid vom THC abgespalten und das THC so „aktiviert“ werde. Durch einen geschickten Backvorgang sei es möglich, dass in der Cannabispflanze enthaltene THC fast vollständig zu Rauschzwecken nutzbar zu machen. Damit ist die Konsumform durch Backen etwa viermal so effektiv wie die Konsumform durch Rauchen. Gleichzeitig sei zu bedenken, dass im Magen mehr THC aufgenommen werden könne, als in den Lungen. Der Magen verkrafte THC-Mengen, bei denen die Lungen bereits eine Abstoßungsreaktion des Körpers hervorrufen würden. Ein erster Schritt zur Aktivierung des THC aus dem Hanfblüten-Tee bestünde darin, dass THC mit Butter zu extrahieren. Diese Butter könne man dann als Zutat zum Backen verwenden. Nach Aussage des Sachverständigen Dr. M. sei die Möglichkeit, durch Cannabis mit einer THC Konzentration mit 0,1% berauschende Backwaren herzustellen, so eindeutig, dass es darüber keine Diskussion geben könne. Auf dem 41. Kriminaltechnischen Symposium der Arbeitsgruppe Toxikologie sei ein Votum darüber, dass ab einer Konzentration von 0,1% THC eine Rauschwirkung durch Backwaren hervorgerufen werden könne, ohne Gegenstimme angenommen worden. Auch aus dem Bereich der universitären Forschung kenne er keinen Kollegen, der dies anders sehen würde, auch wenn es theoretisch so jemanden vielleicht geben möge. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. zur potentiellen Rauschwirkung bei oraler Einnahme des Hanfblütentees in Form von Gebäck (Hasch-Kekse, Brownies) wurden durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. bestätigt. Dieser teilte mit, dass man einen Rausch erzeugen könne, wenn man in einen Brownie 10-15 g des Hanfblütentees der Angeklagten einbacken würde. Gerade durch das Erhitzen des Teigs im Ofen würde das THC besonders aktiviert. Hierin bestätigte der Sachverständige Prof. Dr. S. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M.. Zur Begründung dieser Ausführungen stützte sich der Sachverständige auf eine Studie von Vandrey und anderen aus dem Jahre 2017. Ferner erläuterte er, dass 1 g Cannabis mit einer THC-Konzentration von 0,1% dann 1 mg THC entspricht. Ausgehend davon, dass 15 mg THC, nach seiner persönlichen Überzeugung sogar nur 10 mg THC, für einen Rausch ausreichend seien, müsse man 15/10 g des von den Angeklagten vertriebenen Hanfblütentees verarbeiten. Angesichts der Tatsache, dass laut Internet das Gewicht von handelsüblichen Brownies zwischen 40 g und 90 g liegt, hält die Kammer den Verzehr eines Brownies mit 15 g Hanfblütentee für realistisch. Das THC kann nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. auch nach dem Durchlaufen des Marken-Darm-Traktes seine Wirkung entfalten, da THC gut resorbiert werde. …“

Zur Wechselwirkung von CBD und THC stellt das LG Braunschweig fest (Rn. 81 ff.):

„Die genauen Wechselwirkungen von CBD und THC im menschlichen Körper sind derzeit noch nicht hinreichend erforscht. Es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse zu möglichen Langzeitfolgen von unkontrollierten CBD-Konsum. Es lassen sich nach dem bisherigen Stand der Wissenschaft allerdings einige grobe Anhaltspunkte festhalten. Diese Anhaltspunkte sind:

1. CBD wirkt auch als Antagonist zu THC.

2. CBD entfaltet eine eigene Rauschwirkung unabhängig vom THC, auch wenn diese bei weitem nicht so stark ist.

3. CBD ist grundsätzlich geeignet, die Wirkung von THC zu reduzieren. Es gibt jedoch keinen festen Quotienten und kein gesichertes Verhältnis, in welchem das CBD das THC reduziert oder gar neutralisiert.

Dass eine bestimmte Menge CBD generell geeignet ist, die Wirkung von THC gänzlich aufzuheben, kann nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht angenommen werden. Vielmehr sprechen die bisherigen Erkenntnisse dafür, dass eine solche gänzliche Aufhebung nicht möglich ist.

4. Kombiniert man eine geringe Menge CBD mit einer größeren Menge THC, so führt dies dazu, dass die Rauschwirkung des THC durch das CBD erhöht wird.“

Die diesen Feststellungen zugrundeliegenden Ausführungen finden sich in Rn. 223 ff.

Zu Teil 1 und den Ausführungen des LG Braunschweig zur Rechtslage und zum Verbotsirrtum siehe hier.

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1 Kommentar

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Mich beruhigt das ungemein, dass Sachverständige noch rechnen können und Juristen eines Landgerichts in Braunschweig, dem Hauptsitz der PTB, ihnen das auch abnehmen.

Ein Leser

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