BGH schon wieder zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (diesmal: über zweijährige Verzögerung = 2 Monate „Strafrabatt“)

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 11.08.2020

Bei meinem Blog-Beitrag vom 31.7.2020 zu einer von der Staatsanwaltschaft zu vertretenden Verfahrensverzögerung bin ich von einem seltenen Einzelfall ausgegangen. In einer gestern veröffentlichten Entscheidung hat der BGH erneut eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zum Anlass genommen, einen Teil der Strafe als vollstreckt zu erklären.

Diesmal geht es um eine Verfahrensverzögerung von über zwei Jahren. Am 26.10.2016 wurde das Urteil des Landgerichts (vier Jahre Einheitsjugendstrafe) in der Revision im Strafausspruch aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen. Die erneute Hauptverhandlung, in der der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, fand erst am 28.6.2019 statt, ohne dass das Verfahren zwischenzeitlich ausreichend gefördert worden war. Das Landgericht hat zwar eine Verfahrensverzögerung festgestellt, jedoch keine Kompensation vorgenommen. Dies holte der BGH nach und stellte fest, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Monate Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten (BGH Beschl. v. 24.6.2020 – 2 StR 443/19, BeckRS 2020, 18736):

„Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das gegen den Angeklagten gerichtete Strafverfahren jedenfalls nach der Senatsentscheidung vom 26. Oktober 2016 bis zur erneuten Entscheidung des Landgerichts vom 28. Juni 2019 nicht ausreichend gefördert worden ist. Vor dem Hintergrund dieser zumindest zweijährigen Verzögerung des Verfahrens erweist sich zudem die Dauer des Revisionsverfahrens von neun Monaten als nicht mehr angemessen.

Die bloße Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung trägt dem Gewicht des Konventionsverstoßes nicht in genügender Weise Rechnung. Der Angeklagte musste nach Aufhebung des Strafausspruchs aus dem letztinstanzlichen Urteil befürchten, dass es zu einer Verschärfung des Strafausspruchs kommt. Zudem lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass im Zeitraum der Verfahrensverzögerung ein Haftbefehl gegen den Angeklagten ergangen ist, der nach seiner Auslieferung in die Bundesrepublik Deutschland teilweise vollstreckt worden ist. Diese belastenden Umstände hat das Landgericht bei seiner Annahme, es habe keine ,unverhältnismäßige Belastung des Angeklagten durch die Verfahrensverzögerung‘ gegeben, nicht in den Blick genommen; im Übrigen ist die vom Landgericht in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, der Angeklagte sei nach seiner Haftentlassung am 21. Juni 2016 einer ausgiebigen Reisetätigkeit nachgegangen, für die Frage einer Belastung durch konventionswidrige Verfahrensverzögerungen nicht aussagekräftig. Der Senat, der über die Kompensation in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO selbst entscheiden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 302/11, NJW 2012, 146; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 - 5 StR 578/19 je mwN), stellt deshalb fest, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Monate Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.“

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen