Bundesweites Stadionverbot: Darstellung auch der Vollmacht dafür im Urteil

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.09.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2129 Aufrufe

Von Fußball habe ich keine Ahnung. Als ich diese Entscheidung des OLG Hamm gefunden habe, die zugegebenermaßen nicht in meinen Blogbereich fällt, dachte ich aber sofort: Das interessiert sicher viele Leser. Es geht um Hausfriedensbruch aufgrund eines Verstoßes gegen ein bundesweites Stadionverbot. Dabei befasst sich das OLG Hamm mit der Frage der Darstellungsanforderungen an ein tatrichterliches verurteilendes Urteil:

 

 

I.     Das Amtsgericht Münster hat den Angeklagten mit Urteil vom 18.09.2019 wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen.     Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zu Grunde gelegt:     „Gegen den Angeklagten besteht ein bundesweites Stadionverbot, welches auch im Stadion des Q gilt. Am 00.02.2019 hielt sich der Angeklagte bewusst entgegen diesem Verbot anlässlich des Heimspiels gegen den P im Fußballstadion von Q auf, wo er vom Zeugen PK H im Block M angetroffen wurde, in dem sich die Ultras des Q befinden. Die Hausrechtsinhaberin Q ## GmbH & Co KG stellte rechtzeitig Strafantrag.“     Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.     II.     Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.     Das angefochtene Urteil weist durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.     1.     Die Feststellungen des angefochtenen Urteils reichen nicht aus, um von einem widerrechtlichen Eindringen des Angeklagten in das Fußballstadion der Q ## GmbH & Co KG auszugehen. Ein widerrechtliches Eindringen liegt bei einem Betreten des geschützten Raumes gegen den Willen des Berechtigen vor (Fischer, StGB, 67. Aufl., § 123 Rdn. 14), was insbesondere bei Vorliegen eines wirksamen Hausverbots der Fall sein kann. Ob gegen den Angeklagten ein solches wirksames Hausverbot vorliegt, ergeben die bisherigen Feststellungen nicht.     Zwar stellt das Landgericht fest, dass gegen den Angeklagten ein bundesweites Stadionverbot bestehe, welches auch im Stadion des Q gelte. Hierbei handelt es sich indes, soweit damit die konkludente Annahme eines wirksamen Hausverbots verbunden ist - auch hinsichtlich der Frage nach der Wirksamkeit im Stadion des Q - um rechtliche Wertungen. Die Überprüfung dieser rechtlichen Wertungen ist dem Senat mangels genügender Feststellungen nicht möglich.     Zwar kann der Senat auch allgemeinkundige Tatsachen berücksichtigen, also solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder über die sie sich aus allgemein zuverlässigen Quellen unschwer unterrichten können (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 244 Rdn. 51). Dazu gehört auch das System der Verhängung und Wirkung bundesweiter Stadionverbote im Bereich des Fußballs, wie es sich etwa aus den über die Internetseite des DFB abrufbaren „Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten“ oder auch aus der Darstellung von Gietl JR 2010, 50 ff. ergibt. Danach bevollmächtigen sich die Vereine und der DFB gegenseitig zur Verhängung bundesweit wirksamer Stadionverbote. Die entsprechende Erklärung ist jeweils vor Beginn der Spielzeit neu auszufertigen und bei der DFB Zentralverwaltung zu hinterlegen (§ 1 Abs. 4 RiLi). Ist nicht der Verein Hausrechtsinhaber, sorgen Verein, DFB oder Ligaverband dafür, dass ihnen das Hausrecht anlassbezogen übertragen wird (§ 2 Abs. 2 RiLi). Die Zuständigkeit für die Verhängung eines örtlichen oder bundesweiten Stadionverbots richtet sich nach § 3 RiLi. Ein bundesweites Stadionverbot ist also insbesondere dann nicht wirksam (bundesweit) erteilt, wenn der das bundesweit geltende Stadionverbot aussprechende Verein, der DFB oder Ligaverband hierzu nicht bevollmächtigt bzw. nicht originärer Hausrechtsinhaber waren, keine anlassbezogene Hausrechtsübertragung vorlag oder das bundesweite Stadionverbot von einer unzuständigen Stelle ausgesprochen worden war. Alle diese Umstände ergeben sich aus den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht, so dass für den Senat als Revisionsgericht nicht überprüfbar ist, ob ein für den Tattag und den Tatort wirksam ausgesprochenes (bundesweites) Stadionverbot vorlag oder das darin zu sehende Hausverbot womöglich unwirksam (vgl. dazu: Gietl JR 2010, 50, 52) war. Wie der neue Tatrichter sich von der Erfüllung der Wirksamkeitsvoraussetzungen des bundesweiten Stadionverbots überzeugt, ist letztlich eine Frage der Beweiswürdigung (zu den notwendigen Feststellungen bzgl. der formellen Wirksamkeit eines Hausverbots vgl. etwa OLG Frankfurt NJW 2006, 1746, 1749).     Der Senat muss angesichts dessen nicht entscheiden, ob darüber hinaus (also über ein formell wirksames Stadionverbot hinaus) auch Feststellungen zu den Umständen und Gründen der Verhängung des bundesweiten Stadionverbots erforderlich gewesen wären, um dem Senat eine Überprüfung der Wirksamkeit, insbesondere der Willkürfreiheit – und damit der materiellen Rechtmäßigkeit - zu ermöglichen. Für Einzelstadionverbote wird dies in der obergerichtlichen Rechtsprechung verlangt (OLG Dresden NStZ 2017, 292; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 2006, 1746, 1749 f.; ebenso auch Gietl JR 2010, 50, 54). Dies beruht auf der Überlegung, dass bei Fußballspielen der Veranstalter in Ausübung der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertragsfreiheit grundsätzlich jedermann gegen Bezahlung Zutritt zum Stadion gewähren kann. Will er bestimmte Personen davon ausschließen, muss er deren unmittelbar in das Zivilrecht einwirkende Grundrechte beachten, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht der auszuschließenden Person und den Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. das daraus folgende Willkürverbot (BVerfG VersR 2018, 821, 824 f.; BGH NJW 2010, 534, 535; OLG Dresden a.a.O.; vgl. auch Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl., § 123 Rdn. 19; Kulhanek JA 2016, 102).     Würde man sich dem anschließen, so gäbe es keinen Grund, die für ein lokales Einzelstadionverbot geltenden Grundsätze nicht auch auf ein bundesweites Stadionverbot anzuwenden. Denn der wesentliche rechtliche Unterschied liegt letztlich nur darin, wer den Hausrechtsinhaber bei der Verhängung vertreten hat. Im Gegenteil müssten dann die o. g. Grundsätze wegen der stärkeren Eingriffsintensität eines bundesweiten Stadionverbots erst recht gelten. Ob man allerdings für die Wirksamkeit eines Hausverbots bei der Prüfung des § 123 StGB dessen materielle Rechtmäßigkeit verlangen muss, erscheint dem Senat zweifelhaft. Gründe der Rechtssicherheit und Klarheit dürften eher dafür sprechen, ein formell ordnungsgemäß verhängtes Hausverbot ausreichen zu lassen. Anderenfalls befände sich der konkrete Hausrechtsinhaber der Räumlichkeiten, in denen sich der vom Stadionverbot Betroffene befindet, z. B. im Falle der Ausübung seines Notwehrrechts in erheblicher Unsicherheit. Denn er kennt üblicherweise die Hintergründe der Verhängung des bundesweiten Stadionverbots nicht und kann dessen materielle Wirksamkeit daher nicht bewerten. Er stünde dann nur vor der Wahl, entweder die Anwesenheit des Betroffenen mit der darin liegenden Gefahr erneuter Gewalttätigkeiten etc. hinzunehmen oder aber etwaige Konsequenzen einer womöglich unberechtigten Notwehrausübung tragen zu müssen.     Nach Auffassung des Senats dürfte es daher nahe liegender sein, dass der Betroffene ein formal wirksames (bundesweites) Stadionverbot zu beachten hat, soweit er sich nicht zivilrechtlich dagegen zur Wehr gesetzt hat und dieses ggf. im zivilrechtlichen Wege beseitigt ist. Angesichts der bestehenden zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten ist er jedenfalls nicht schutzlos gestellt.     2.     Darüber hinaus weist die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils eine Erörterungslücke bzgl. des Vorsatzes des Angeklagten auf. In den Feststellungen zur Tat heißt es, dass der Angeklagte „bewusst“ gegen das bundesweite Stadionverbot verstoßen habe, also von diesem Kenntnis hatte. Wie das Landgericht zu dieser Feststellung gelangt ist, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Der Angeklagte selbst hat sich zur Sache nicht eingelassen. Die als Zeugen vernommenen Polizeibeamten haben nach den Urteilsgründen lediglich Angaben zum objektiven Tatgeschehen gemacht.     3.     Die für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, nämlich dazu, dass sich der Angeklagte am 16.02.2019 im Stadion des Q aufgehalten hat, können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).    
  Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 21.7.2020, 4 RVs 83/20
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