Strafbarkeitsrisiko Insolvenz - Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird lediglich teilweise verlängert

von Markus Meißner, veröffentlicht am 14.09.2020
Rechtsgebiete: Corona1|2233 Aufrufe

Ende August hatte ich an dieser Stelle in einem Blog-Beitrag über die Pläne des BMJV berichtet, die im März beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über den 30.09.2020 hinaus zu verlängern.[1] Während zum damaligen Zeitpunkt die politische Diskussion in der Regierungskoalition noch im Gange war, haben die Regierungsparteien sich nunmehr verständigt und einen Gesetzesentwurf[2] vorgelegt, der im Plenum des Bundestages behandelt wurde und die Aussetzung der Antragspflicht teilweise verlängert (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes, BT-Drs. 19/221789[3]).

Verlängerung der „Schonfrist“ bis Ende des Jahres ausschließlich in Fällen der Überschuldung

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die zwar überschuldet, jedoch nicht zahlungsunfähig sind, für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. Dezember 2020 verlängert wird. Anders als  noch in den ursprünglichen Plänen des BMJV vorgesehen, hat der Gesetzgeber damit davon abgesehen, den sich aus § 4 COVInsAG ergebenden zeitlichen Rahmen "voll auszuschöpfen". Danach wäre eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis 31. März 2021 möglich gewesen.

Für zahlungsunfähige Unternehmen gilt ab 1. Oktober 2020 wieder die normale Insovenzantragspflicht aus § 15a InsO

Ausdrücklich gegen eine Verlängerung der Insolvenzantragspflicht hat sich der Gesetzgeber in denjenigen Fällen entschieden, in denen ein Unternehmen – trotz aller Coronahilfen – nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen, mithin Zahlungsunfähigkeit zu bejahen ist. Der Gesetzgeber nimmt in diesem Punkt insbesondere die Diskussion in Fachkreisen auf. So hatte u.a. der Berufsverband der Insolvenzverwalter Deutschland (VID) mit Blick auf die Gläubigerinteressen und das zu schützende Vertrauen in die Marktintegrität nachdrücklich davor gewarnt, auch solche Unternehmen künstlich am Leben zu halten, die nicht pandemiebedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, sondern deren Geschäftsmodell an sich z.B. nicht tragbar ist.[4]

In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird zu der nunmehr vorgesehen Differenzierung zwischen den Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung ausgeführt (a.a.O., S. 4):

 

„Eine solche Differenzierung ist wünschenswert, weil die Rechtfertigungsbedürftigkeit für die Aussetzung von Antragspflichten bei Zahlungsunfähigkeit ungleich höher ist als bei der Überschuldung. Bei zahlungsunfähigen Unternehmen ist die Krise bereits so weit vorangeschritten, dass die Unternehmen nicht mehr in der Lage sind, ihre laufenden Kosten und Verbindlichkeiten zu decken. Die Aussichten auf eine Fortführung der Tätigkeit sind hier auch unter normalen Umständen gering. Die Fortführung der Tätigkeit bereits zahlungsunfähiger Unternehmen führt zu unmittelbaren und erheblichen Belastungen des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs. Sie ist darüber hinaus geeignet, das Vertrauen in die Integrität des Marktprozesses zu erschüttern. Anders als in der Ausnahmesituation im März und April, in der die Ereignisse sich überstürzt hatten und die Betroffenen Zeit und Gelegenheit benötigten, sich auf die Entwicklungen einzustellen, erscheint eine Verschonung von zahlungsunfähigen Unternehmen derzeit nicht notwendig und nicht verhältnismäßig. Daher sollte in der jetzigen Situation zwischen Unternehmen unterschieden werden, die zahlungsunfähig sind und solchen, die lediglich überschuldet sind. Das Bedürfnis für eine Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht wegen Überschuldung resultiert auch daraus, dass die Überschuldungsprüfung im Wesentlichen auf einer Fortbestehensprognose beruht, die sich auf einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren bezieht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen können entsprechende Prognosen aber kaum verlässlich erstellt werden, da sie mit Unsicherheiten behaftet sind, die aus der Ungewissheit in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie und deren Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen resultieren. Diese Unsicherheiten sollen nicht zu einer Insolvenzantragstellung zwingen.“

 

Im Fokus der strafrechtlichen Praxis steht der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit

Nach meinen eigenen Erfahrungen aus einer Vielzahl von Strafverfahren bejahen Ermittlungsbehörden und Strafgerichte in der weitaus überwiegenden Anzahl an Fällen den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, wohingegen der Insolvenzgrund der Überschuldung regelmäßig ein Schattendasein fristet. Dies wiederum deckt sich auch mit den verfügbaren Zahlen des statistischen Bundesamtes, wonach lediglich circa zwei bis vier Prozent aller Insolvenzanträge auf den Insolvenzgrund der Überschuldung gestützt werden.[5]

Das nunmehr vorliegende Gesetz mag daher tatsächlich einzelnen Unternehmen helfen, die zwar in der Lage sind, ihre laufenden Kosten und Verbindlichkeiten zu decken, jedoch z.B. angesichts der Aufnahme von "Corona-Darlehen" überschuldet sind. Kann ein Unternehmen in dieser Lage angesichts der aktuell nach wie vor unsicheren Situation eine verlässliche positive Fortführungsprognose über einen 2-Jahres-Zeitraum nicht erstellen, müsste es Insolvenz anmelden – auch wenn die Aussichten auf eine Fortführung der Tätigkeit an sich hoch ist.

Ungeachtet dessen wird es mit Blick auf das strafrechtliche Risiko einer Insolvenzverschleppung für Geschäftsführer und Vorstände ab dem 1. Oktober 2020 wieder ernst!

 

 

[1] https://community.beck.de/2020/08/23/corona-und-insolvenzverschleppung-d...

[2] § 4 COVInsAG hätte die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch im Verordnungswege erlaubt, wobei dem Gesetzgeber dies angesichts des Umstandes, dass er von der vorgesehenen Verlängerungsmöglichkeit nur teilweise Gebrauch macht, offensichtlich zu unsicher war (vgl. RegE, S. 4).

[3] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/221/1922178.pdf

[4] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/firmenpleiten-insolvenz...

[5] https://www.buchalik-broemmekamp.de/fileadmin/user_upload/Newsletter_PDF...

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1 Kommentar

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Man sollte solchen legislatorischen Unfug als "Gesetz zur wirecardisierung der deutschen Wirtschaft" bezeichnen. Es fehlten zwar zum Biianzausgleich ca. 1,9 Milliarden €, aber von Zahlungsunfähigkeit war nicht die Rede, über Jahre. Arme Gläubiger. Zu Lasten etwa noch vorhandener mobilisierbarer "Reserven" wird Liquidität  erzeugt und verballert, und das gilt dann als "ordnungsgemäß". Etwa noch vorhandene Kreditrahmen werden "ausgeschöpft". Bezeichnend, was Jansen/Beeger in FAZ 4.9.2020 S. 19, über scharf rückgängige Zahlungsmoral berichten. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/corona-krise-droht-zum-jahresende-eine-insolvenzwelle-16936904.html

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