LAG Berlin-Brandenburg: Keine Pflicht zur Zeiterfassung per Fingerabdruck-Scanner

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 16.09.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2228 Aufrufe

Der EuGH (14.5.2019 – C-55/18 - CCOO - NJW 2019, 1861) hat bekanntlich in dem viel diskutierten „Stechuhr-Urteil“ aus der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 CRCh die Verpflichtung der Mitgliedstaaten abgeleitet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. Auch wenn damit zunächst nur die Mitgliedstaaten in die Pflicht genommen werden, überlegt sich doch schon jetzt manches Unternehmen, wie künftig die Arbeitszeiterfassung erfolgen soll. Dazu gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die auch den Einsatz moderner Technologien umfasst. Allerdings gibt es hier einige Hürden zu überwinden, die vor allem im Datenschutzrecht und im Betriebsverfassungsrecht wurzeln.

Aufschlussreich ist ein kürzlich vom LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 4.6.2020 - 10 Sa 2130/19, Pressemitteilung Nr. 22/20) entschiedener Fall. Der klagende Arbeitnehmer ist in einer radiologischen Praxis als Medizinisch-Technischer Assistent tätig. Sein Arbeitgeber führte ein Zeiterfassungssystem ein, das mit einem Fingerabdruck-Scanner bedient wird. Das eingeführte System verarbeitet nicht den Fingerabdruck als Ganzes, sondern die Fingerlinienverzweigungen (Minutien). Der Arbeitnehmer lehnte eine Benutzung dieses Systems ab. Der Arbeitgeber erteilte ihm deshalb eine Abmahnung, gegen die sich der Arbeitnehmer mit seiner Klage gewandt hat.

Das LAG hat nun entschieden, dass der Arbeitnehmer dieses Zeiterfassungssystem nicht nutzen muss. Auch wenn das System nur Fingerlinienverzweigungen (Minutien) verarbeite, handle es sich um biometrische Daten. Eine Verarbeitung solcher Daten sei nach Art. 9 Abs. 2 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nur ausnahmsweise möglich. Für den vorliegenden Fall könne auch ausgehend von der Bedeutung der Arbeitszeiterfassung nicht festgestellt werden, dass eine solche Erfassung unter Einsatz biometrischer Daten im Sinne dieser Bestimmungen erforderlich sei. Entsprechend sei eine Erfassung ohne Einwilligung des Arbeitnehmers nicht zulässig. Die Weigerung der Nutzung stelle deshalb keine Pflichtverletzung dar, der Kläger könne die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen.

Zulässig dürfte hingegen die Einführung eines solchen Systems durch Betriebsvereinbarung sein. Die Mitbestimmungspflichtigkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dürfte ohnehin gegeben sein. Denkbar erscheint auch, dass ausnahmsweise im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen eines Unternehmens zum Schutz vor Geschäftsgeheimnissen oder wegen einer kritischen Infrastruktur der Einsatz biometrischer Zeiterfassungssysteme gerechtfertigt ist.

Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

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