LAG Kiel: Keine fristlose Kündigung bei unentschuldigtem Fehlen an nur einem Arbeitstag

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 25.09.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2731 Aufrufe

Bei Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber nicht vorschnell eine verhaltensbedinge ordentliche oder außerordentliche Kündigung aussprechen. Vielmehr muss er prüfen, ob nicht als milderes Mittel eine Abmahnung des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Nur so lässt sich regelmäßig die Negativprognose im Wiederholungsfall erhärten. Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Erfordernis. Insbesondere kann es sein, dass die Pflichtverletzung derart schwerwiegend ist, dass eine Abmahnung den mit ihr verfolgten Zweck offensichtlich nicht erfüllen kann. In einem länger praktizierten Arbeitsverhältnis wird die eintägige unentschuldigte Abwesenheit eines Arbeitnehmers noch keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Der Arbeitgeber müsste das Fehlverhalten (Verletzung der Hauptleistungspflicht) zunächst einmal abmahnen. Fraglich ist, ob bei gerade erst begründeten Arbeitsverhältnissen in diesem Punkt etwas anderes gilt.

Über einen solchen Fall hatte vor kurzem das LAG Kiel (4.06.2020 -1 Sa 72/20, BeckRS 2020, 22591) zu entscheiden. Die Klägerin in diesem Verfahren nahm am 1.8.2019 ihre Arbeit als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte im Büro des Beklagten auf. Am 5.08. sowie am 6.08.2019 arbeitete sie vereinbarungsgemäß nicht, da ihr Sohn in der Kindertagesstätte eingewöhnt wurde. Mit 6.8.2019 zugegangenem Schreiben kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 12.8.2019. Die Klägerin erschien am 7. und 8.8.2019 nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit am 9.8.2019 der Beklagten zugegangenem Schreiben außerordentlich fristlos. Ebenfalls am 9.8.2019 ging beim Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 8. und 9.8.2019 ein. Die am 1. und 2.8.2019 geleisteten 17,34 Arbeitsstunden rechnete der Beklagte in der Folgezeit ab und zahlte die sich hieraus ergebende Vergütung.

Mit ihrer Kündigungsschutzklage wandte sich die Klägerin nur noch gegen die zweite, fristlose Kündigung und verlangte die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist hinsichtlich der ersten Kündigung. Der Beklagte hielt die fristlose Kündigung für wirksam. Die Klägerin habe gerade einmal zwei Tage gearbeitet und dann unentschuldigt gefehlt. Es handele sich um ein „gescheitertes Arbeitsverhältnis“. Hier sei eine Abmahnung offensichtlich entbehrlich gewesen. Im Übrigen sei die Abkürzung der Kündigungsfrist in der Probezeit wirksam zwischen den Parteien vereinbart worden. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn eine Abkürzung nur von Tarifvertragsparteien, nicht aber von den Parteien des Arbeitsvertrages vereinbart werden könne.

Das LAG hält die fristlose Kündigung in Übereinstimmung mit der Vorinstanz für unwirksam. Nach Auffassung des LAG ist eine vorherige Abmahnung auch in dieser Konstellation notwendig. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin trotz Kündigungsandrohung der Arbeit weiter unentschuldigt ferngeblieben wäre. Ihre Pflichtverletzung sei auch nicht derartig schwerwiegend gewesen, dass eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Der Beklagte hatte durch die Probezeitkündigung mit Wochenfrist gegenüber der Klägerin bereits zum Ausdruck gebracht, an deren weiterer Mitarbeit kein Interesse zu haben. Anders als der Beklagte meine, müsse er die zweiwöchige gesetzliche Kündigungsfrist in der Probezeit einhalten. Die kürzere Frist im Arbeitsvertrag sei unwirksam. Es sei nicht gleichheitswidrig, wenn lediglich den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit der Vereinbarung kürzerer Kündigungsfristen zustehe. Deren Verhandlungsparität führe zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Eine vergleichbare Parität bestehe zwischen den Parteien des Individualarbeitsvertrags nicht.

 

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