Gar nicht so einfach: Die tatsächliche Verfügungsgewalt über Betäubungsmittel bei Besitz und Erwerb

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 28.09.2020
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|4390 Aufrufe

Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln setzen die Erlangung einer tatsächlichen Verfügungsgewalt voraus. Maßgeblich hierfür ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, d. h. eine auf eine gewisse Dauer angelegte Einwirkungsmöglichkeit mit einem tatsächlich ungehinderten Zugang zu den Betäubungsmitteln. Das Landgericht hat eine solche tatsächliche Verfügungsgewalt bei folgendem Sachverhalt bejaht und den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verurteilt: 

Der Angeklagte hielt sich „oftmals“ in der Wohnung seiner Lebensgefährtin (in der folgenden Entscheidung W. genannt) auf. Die Lebensgefährtin erlaubte einer weiteren Person (in der Entscheidung B. genannt), im Badezimmer ihrer Wohnung größere Betäubungsmittelmengen zu verstecken. Als Gegenleistung durften sie und der Angeklagte von den Drogen konsumieren. Am Tattag lagerten im Badezimmer 206,92 Gramm Marihuana mit einem THC-Gehalt von 34,59 Gramm. Während Polizeibeamte die Wohnung durchsuchen wollten, befand sich der Angeklagte im Badezimmer und rauchte dort einen Joint. Als die Lebensgefährtin „Achtung Bullen!“ rief, stürzte sich der Angeklagte auf einen Polizeibeamten, brachte diesen zu Fall und verletzte ihn. 

Der BGH hob das Urteil u.a. mit folgender Begründung auf (BGH, Beschl. v. 18.8.2020, 1 StR 247/20 = BeckRS 2020, 24132):

„1. Die Feststellungen tragen nicht den Schuldvorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

a) Besitz im Sinne der § 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 4, § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG setzt ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. September 2018 – 3 StR 113/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 8; Urteile vom 15. April 2008 – 4 StR 651/07 Rn. 5 mwN und vom 17. Oktober 2007 – 2 StR 369/07 Rn. 23). Allein eine ,freie Zugänglichkeit‘ des Rauschgifts genügt nicht (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1992 – 5 StR 592/92 Rn. 6).

b) An diesen Vorgaben gemessen ist weder eine ausreichende tatsächliche Verfügungsgewalt des Angeklagten im Sinne eines zusammen mit W. [Anm.: die Lebensgefährtin] ausgeübten Mitbesitzes am Cannabisvorrat im Badezimmer noch ein darauf gerichteter Besitzwille belegt. Vielmehr griff der Mitangeklagte B. [Anm.: die weitere Person, die die Wohnung zum Versteck der Drogen nutzte], der ungehinderten Zugang zur Wohnung hatte, nach Belieben weiterhin auf den Vorrat zu, um Portionen daraus zu veräußern oder selbst zu verbrauchen. Da der Angeklagte lediglich zwecks Eigenkonsums sich am Cannabisvorrat bedienen wollte, musste er dafür B.‘s Verfügungsgewalt nicht in Frage stellen. Solange B. den – nicht übermäßigen – Mitkonsum des Lebensgefährten seiner Gehilfin [Anm.: des Angeklagten] duldete, musste der Angeklagte keinen Besitzwillen entwickeln. Unter diesen Umständen begründet der bloße Eigenkonsum an ,Ort und Stelle‘ noch keinen Besitz.“

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