Urlaub ohne Ende? BAG befragt den EuGH

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.09.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|3585 Aufrufe

Rechtsstreitigkeiten wegen nicht genommener Urlaubstage beschäftigen die Arbeitsgerichte immer wieder. Vor allem geht es um die zeitlichen Grenzen des Anspruchs. Zum einen kommt der Verfall nach § 7 Abs. 3 BUrlG nach Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums in Betracht. Zum anderen fungiert als äußerste Grenze das Verjährungsrecht, wobei hier die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB in Betracht kommt. Fraglich ist allerdings, ob die Anwendung der nationalen Verjährungsregelung (§§ 194 Abs. 1, 195 BGB) mit europäischem Recht in Einklang steht. Der EuGH hat ja bekanntlich spätestens seit der Schultz-Hoff Entscheidung aus dem Jahre 2009 (NZA 2009, 135) die Sicht auf das deutsche Urlaubsrecht maßgeblich verändert. Und so stellt sich die Frage, ob die von der Verjährungsregelung ausgehende Limitierung des Urlaubsanspruchs mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Einklang steht. Die Frage stellt sich vor allem – aber nicht nur – dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich in dem Verfahren, dass derzeit beim BAG liegt und zu einem Vorabentscheidungsersuchen führt (Urteil vom 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A), PM 34/29). Hier machte die klagende Arbeitnehmerin Urlaubsabgeltungsansprüche u.a. für das Jahr 2014 geltend, die bei Anwendung der §§ 194, 195 BGB verjährt wären. Diese Urlaubsansprüche konnten – wie das BAG – hervorhebt, nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung (wichtig EuGH NZA 2018, 1474 und BAG NZA 2019, 982) dieser Vorschrift erlischt nämlich der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann. Diese Obliegenheiten hatte der beklagte Arbeitgeber nicht erfüllt.

Die Vorinstanz, das LAG Düsseldorf (Urteil vom 21. Februar 2020 - 10 Sa 180/19), hatte in einer bemerkenswerten Entscheidung daraufhin zugunsten der Arbeitnehmerin entschieden. Komme der Arbeitgeber den Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach, die ihn bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG träfen, so trete der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entstehe. Für ihn gälten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Komme der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten auch in den Folgejahren nicht nach, könne er die Erfüllung des über die Jahre kumulierten Urlaubsanspruchs nicht unter Berufung auf den Eintritt der Verjährung verweigern.

Vor diesem Hintergrund hat das BAG nunmehr den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

Die Vorlagefrage im Wortlaut: „Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB entgegen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?“

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Die LTO-Presseschau:

BAG - Urlaubsansprüche: Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehene Verjährung von drei Jahren für nicht genommenen Arbeitnehmer-Urlaub mit der EU-Arbeitszeit-Richtline vereinbar ist. Die Vorlage wird von der Anwältin  Audrey Bouffil auf LTO und von beck-community (Markus Stoffels) analysiert. 

Kommentar hinzufügen