Mindestlohnklagen fallen stets in die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 27.10.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1925 Aufrufe

Für eine Klage, die auf die Differenz zwischen einer vertraglich vereinbarten Vergütung und dem sie übersteigenden gesetzlichen Mindestlohn gerichtet ist, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch dann zuständig, wenn ein Landgericht das Vertragsverhältnis der Parteien in einem vorangegangenen Rechtsstreit der Parteien in einem Urteil als freies Dienstverhältnis qualifiziert und eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ausdrücklich verneint hat. Denn es handelt sich bei der Differenzklage um einen sog. Sic-non-Fall, bei dem die bloße Rechtsansicht des Klägers, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.

Das hat das LAG Köln entschieden.

Die beklagte Gemeinde verfügt im Nationalpark Eifel über eine „Wanderstation“. Diese mietete der Kläger 2015 für zunächst 300 Euro, später 400 Euro monatlich an und gestaltete das in der Station befindliche Café unter Aufwendung eigener finanzieller Mittel zu einer „Wanderbar“ um. Im Rahmen eines von den Parteien als „Werkvertrag“ bezeichneten Vertrages verpflichtete sich der Kläger zur Einrichtung und zu dem Betrieb einer Anlauf- und Informationsstelle für Touristen, zur Verteilung von Informationsmaterialien sowie zum Angebot regionaler Produkte. Die Beklagte zahlte für den Betrieb der Tourist-Information und des Nationalpark-Infopunkts einen in monatlichen Teilbeträgen zahlbaren jährlichen Pauschalbetrag, der die Höhe der Miete deutlich übersteig. Zudem trafen die Parteien eine ebenfalls als „Werkvertrag“ überschriebene Vereinbarung, wonach sich der Kläger zum ganzjährigen Betrieb der Wanderstation in eigener Verantwortlichkeit verpflichtete. Diese Tätigkeit umfasste u.a. die Sicherstellung der vereinbarten Öffnungszeiten, die personelle Besetzung der Wanderstation sowie Reinigungstätigkeiten. Die Beklagte übernahm die anfallenden Bewirtschaftungskosten in Form einer Pauschalvergütung und brachte Einrichtungsgegenstände in die Wanderstation ein. Für die Übernahme von Leistungen, die nicht durch die Pauschalvergütung für den Betrieb der Tourist-Information und des Nationalpark-Infopunkts abgedeckt waren, erhielt der Kläger eine weitere Vergütung. Die Beklagte kontrollierte in der Folgezeit die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen und sprach gegenüber dem Kläger 2016 und 2017 mehrere Abmahnungen wegen Verstößen gegen die vereinbarten Öffnungszeiten, die übernommenen Reinigungspflichten und gegen das Verbot der eigenmächtigen Unter- bzw. Weitervermietung aus. Ab Februar 2019 zahlte die Beklagte die vereinbarten Beträge nicht mehr bzw. nicht mehr in der vereinbarten Höhe. Im Mai 2019 kündigte die Beklagte sämtliche Verträge ordentlich zum 30.4.2020. Am 21.8.2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, alle Leistungen in Bezug auf die Wanderstation und den Infopunkt einzustellen. Fünf Tage später kündigte die Beklagte sämtliche Verträge fristlos und forderte den Kläger zur Räumung auf.

Das Landgericht Aachen verurteilte die Beklagte, an den Kläger ausstehende Vergütung für den Zeitraum von April bis November 2019 und wegen der Reinigung der Toiletten für den Zeitraum von Februar bis November 2018 insgesamt einen Betrag iHv. 9.769,90 Euro nebst Nebenkosten und Zinsen zu zahlen. Dabei ging das Landgericht davon aus, dass zwischen den Parteien verschiedene freie Dienstverhältnisse bestünden, die von der Beklagten durch Kündigung nicht vor dem 30.4.2020 beendet worden seien. Das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses lehnte das Landgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils ausdrücklich ab.

Der Kläger macht nun vor dem Arbeitsgericht weitere Vergütungsansprüche geltend. Er meint, Arbeitnehmer gewesen zu sein und daher Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG gehabt zu haben. Die Differenz zwischen diesem und dem von der Beklagten erhaltenen „Werklohn“ klagt er ein. Das ArbG Aachen hat den Rechtsstreit an das örtliche Landgericht verwiesen. Die Beschwerde des Klägers hatte Erfolg. Der Anspruch auf Mindestlohn stehe gemäß § 22 MiLoG nur Arbeitnehmern zu, der Anspruch sei daher ein sog. „sic-non-Fall“. Bei diesen genüge die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, Arbeitnehmer zu sein, um die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte zu begründen. Für die Entscheidung in der Hauptsache sei daher das ArbG Aachen zuständig.

LAG Köln, Beschl. vom 30.9.2020 - 9 Ta 117/20, BeckRS 2020, 27003

 

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