Freispruch ist Freispruch! Egal warum.

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.11.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2891 Aufrufe

Der Angeklagte war freigesprochen worden. Mit der falschen Tenorierung "wegen Schuldunfähigkeit". Sein Rechtsmittel hiergegen blieb erfolglos:

 

1. Die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 18. August 2020 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtmittels zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Beschwerdeführerin am 21. Oktober 2019 vom Vorwurf des Missbrauchs von Notrufen „wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen“. Gegen dieses Urteil hat sich die Freigesprochene mit ihrer am 12. Dezember 2019 eingegangenen Eingabe vom 11. Dezember 2019 gewandt und die „Aufhebung des Urteils“ gefordert. Mit am 21. Juli 2020 eingegangenem Schreiben vom selben Tage hat sie mitgeteilt, die Entscheidung „mit Berufung bzw. Revision“ anzufechten, woraufhin die Akte dem Landgericht Berlin vorgelegt wurde. Das Landgericht hat die Schreiben als Berufung ausgelegt (obgleich die Frist zur Wahl einer Sprungrevision noch nicht abgelaufen ist, da noch kein ordnungsgemäßes, nicht nur vom Richter, sondern auch der Protokollführerin unterzeichnetes Protokoll vorliegt) und diese durch den angefochtenen Beschluss als unzulässig, da nicht innerhalb der Wochenfrist des § 314 Abs. 1 StPO eingelegt, verworfen. Die Frage, ob der Beschwerdeführerin von Amts wegen Widereinsetzung in die Fristversäumung hätte gewährt werden müssen, weil dieser – zutreffend – keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war (vgl. §§ 35a Satz 1, 44 Satz 2 StPO), hat das Landgericht nicht geprüft.

Die gegen den Beschluss des Landgerichts vom 18. August 2020 gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Freigesprochenen hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat das Rechtsmittel der Angeklagten im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist eine Beschwer. Durch den Freispruch ist die Angeklagte jedoch nicht beschwert. Sie kann kein günstigeres Ergebnis als den Freispruch erzielen. Ein Anspruch, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, besteht nicht, weil die Aufgabe des Strafverfahrens in der justizförmigen Prüfung liegt, ob gegen den jeweiligen Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht. Daher ist für das Begehren, lediglich eine andere Begründung des Freispruchs zu erreichen, kein Rechtsmittel gegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit erfolgt (vgl. ausführlich hierzu BGH NStZ 2016, 560; BGHSt, 16, 374; Senat, Beschluss vom 28. August 2000 – 4 Ws 150/00 – [juris]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 345; jeweils m.w.N.). Mittelbare Folgen des Verfahrens, etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führt (vgl. BGH aaO; Senat aaO).

a) Eine besondere Ausnahmefallkonstellation, in der das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 28, 151) einen selbständigen Grundrechtsverstoß und damit eine selbständige Beschwer aufgrund der Ausführungen in den Urteilsgründen für möglich (wenn auch in dem damaligen Verfahren nicht gegeben) erachtet hat, liegt hier nicht vor. Eine solche Ausnahmekonstellation wurde für Fälle erwogen, in denen die Entscheidungsgründe den Angeklagten so sehr belasteten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen sei, die durch den Freispruch nicht aufgewogen werde. Dies sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerdeführer belastende oder für ihn „unbequeme“ Ausführungen enthielten oder Mängel aufwiesen, die vielleicht in einem Revisionsverfahren mit Erfolg gerügt werden könnten (vgl. BVerfG aaO).

Vorliegend sind die – äußerst knappen – Entscheidungsgründe sachlich formuliert, eine selbständige Grundrechtsverletzung enthalten sie nicht.

b) Soweit das Bundesverfassungsgericht – allerdings in einem arbeitsrechtlichen Verfahren – unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Eingreifen bei strafprozessualen Einstellungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 140, 42 mit Verweis auf die Beschlüsse vom 15. Oktober 2004 – 2 BvR 1802/04 –, 6. September 2004 – 2 BvR 1280/04 – und 6. April 1999 – 2 BvR 456/99 –) die Möglichkeit angedeutet hat, dass eine Ausnahme von dem in allen Verfahrensarten geltenden Grundsatz, dass sich eine Beschwer nur aus dem Tenor, nicht jedoch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann, in eng begrenzten Fällen grob prozessualen Unrechts gemacht werden könne sowie in einem Verfahren, in dem ein strafprozessualer Freispruch angegriffen wurde, zumindest kurz geprüft hat, ob die Urteilsgründe „Züge des Willkürlichen“ trügen, führt dies nach Auffassung des Senats nicht zur Angreifbarkeit freisprechender Urteile durch den Freigesprochenen. Eine Abänderung eines Freispruchs ist aus Rechtsgründen nicht möglich. Aufgrund des – nicht in allen Verfahrensarten und im Strafverfahren nur für die Strafe geltenden – Verbots der Verschlechterung nach §§ 331, 358 StPO müsste das neue tatrichterliche Urteil – gleichgültig ob die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel als Berufung durchführt oder dieses auf eine Sprungrevision umstellt, die zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht führen würde – zwingend erneut auf einen Freispruch erkennen. Auf den Schutz der §§ 331, 358 StPO kann ein Angeklagter auch nicht verzichten. Der staatliche Strafanspruch – auf dessen Prüfung das Strafverfahren ausschließlich abzielt – kann somit ohnehin nicht mehr festgestellt und durchgesetzt werden.

Daher kann vorliegend dahin stehen, ob in Anbetracht dessen, dass das Amtsgericht Tiergarten die Feststellung, die Angeklagte sei „in einer wahnhaften Gedankenwelt gefangen“, ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen bzw. ohne Darlegung der eigenen Sachkunde und ohne die Anhörung von Zeugen (als der einzige geladene Zeuge 15 Minuten verspätet erschien, war das Urteil bereits verkündet) auf der Grundlage einer – unter Verstoß gegen § 251 StPO verlesenen – schriftlichen Erklärung des geladenen Zeugen getroffen hat, von der die Angeklagte behauptete, der Zeuge habe diese Erklärung nicht freiwillig verfasst, grobes prozessuales Unrecht vorgelegen hat.

c) Die Urteilsformel des angegriffenen Urteils ist insoweit fehlerhaft, als der Grund des Freispruchs „wegen Schuldunfähigkeit“ in den Tenor aufgenommen wurde. Dies ist nicht statthaft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Auflage, § 260 Rnr. 17; Ott in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Auflage, § 260 Rnr. 25; jeweils m.w.N.). Es gibt nur eine Art von Freispruch; nur in den Urteilsgründen kommt zum Ausdruck, aus welchem Grund der Freispruch erfolgt ist (vgl. Ott aaO m.w.N.). Jedoch führt die fehlerhafte Urteilsformel nicht zur Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. BGHSt 16, 374). Das erkennende Gericht hätte es sonst in der Hand, einem Angeklagten durch fehlerhafte Tenorierung ein Rechtsmittel zu verschaffen, das ihm sonst nicht zustünde. Diese Entscheidung steht dem Gericht nicht zu, zumal das Rechtsmittel allenfalls dazu führen könnte, den Grund des Freispruchs aus dem Tenor, nicht jedoch aus den Urteilsgründen zu entfernen (vgl. BGH aaO).

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

 

KG, Beschl. v. 22.09.2020 - 4 Ws 74/20, 161 AR 167/20

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1 Kommentar

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Es wurde also zum Nachteil des Angeklagten vom Recht abgewichen. Aber ein Rechtsmittel dagegen wird ihm nicht zugestanden.

Ist nicht ganz einzigartig in der Rechtslandschaft; beispielsweise können Verfahrensfehler im Verwaltungsrecht konsequenzlos bleiben. Auch ein auf tatsächlicher Ebene folgenloser Verstoß gegen vertragliche Pflichten kann ohne Rechtsfolge bleiben. Es handelt sich jedoch um Ausnahmefälle, die meinem Überblick nach rein auf das Verfahren bezogen sind und dem Sprichwort "Ende gut, alles gut" folgen.

Ende eines Strafverfahrens ist jedoch der Tenor. Und auch wenn der nicht gut ist, konkret offen und unstreitig gegen Strafprozessrecht verstößt, soll das folgenlos bleiben? Naja.

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