Stimmrechtsberater ISS veröffentlicht aktualisierte Proxy Voting Guidelines u. a. für deutsche Hauptversammlungen

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 24.11.2020

Das Stimmrechtsberatungsunternehmen Institutional Shareholder Services (ISS) hat am 19. November 2020 aktualisierte Abstimmungsrichtlinien für die Hauptversammlungssaison 2021 in der Region Kontinentaleuropa und bereits am 12. November 2020 das übergreifende Update für die Region Europe, Middle East, Africa (EMEA) veröffentlicht. Letzteres enthält auch die aktualisierten Teile der Kontinentaleuropa-Guidelines, versehen mit Änderungsmarkierungen zum Vorjahr und Begründungen für die Änderungen. Die neuen Guidelines gelten für Hauptversammlungen ab dem 1. Februar 2021.

ESG-Versäumnisse als Ablehnungsgrund für Aufsichtsratskandidaten

In den Guidelines stellt ISS unverändert in Aussicht, sich bei Versäumnissen in den Bereichen Governance, Stewardship oder Risikoüberwachung gegen einen Aufsichtsratskandidaten zu positionieren. Neu ist, dass ISS hierfür beispielhaft Überwachungsversäumnisse in Umwelt- und sozialen Angelegenheiten, einschließlich Klimawandel, nennt.

Maximal vierjährige Amtszeit für Aufsichtsratsmitglieder

ISS kündigt an, gegen Aufsichtsratskandidaten zu stimmen, wenn die Amtszeit ohne angemessene Begründung vier Jahre übersteigt. Diese Änderung war von ISS bereits Ende 2019 angekündigt worden (hierzu der Beitrag von Klaus von der Linden vom 28. November 2019).

Aufsichtsratskandidatur von Ex-CEO und Mehrfachmandatsträgern

Die bekannte grundsätzliche Ablehnung eines Ex-CEO als Aufsichtsratsvorsitzenden erstreckt ISS nun auf sämtliche (bislang nur „widely-held“) Gesellschaften. Unter den im Einzelfall möglichen Ausnahmen befindet sich weiterhin das Einschieben eines Cooling-Off-Zeitraums. Dessen notwendige Dauer beschreibt ISS weniger scharf („reasonable“) als der deutsche Gesetzgeber in § 100 Abs. 2 AktG (zwei Jahre).

Ebenfalls auf alle Gesellschaften erstreckt ISS nun die Ablehnung von Kandidaten mit übermäßig vielen parallel ausgeübten Mandaten (sog. Overboarding). Definiert ist dies unverändert als “more than five mandates at listed companies” nebst Berechnungsmethoden, die für monistische Systeme ein klareres Bild ergeben als für das dualistische deutsche Vorstand-Aufsichtsrats-System.

Unabhängigkeit des Vergütungsausschusses

Für deutsche „widely-held“ Gesellschaften neu ist die Ankündigung, Kandidaten für den Vergütungsausschuss abzulehnen, wenn (i) weniger als die Hälfte der Aktionärsvertreter im Ausschuss unabhängig wäre oder (ii) im Fall von nicht paritätisch mitbestimmten oder mitbestimmungsfreien Gesellschaften weniger als ein Drittel der Ausschussmitglieder unabhängig wäre. Inwieweit dies für Aufsichtsratswahlen ins Gewicht fällt, bei denen die Ausschusszusammensetzung noch nicht absehbar ist, bleibt unklar.

Gender Diversity im Aufsichtsrat

Dem Aufsichtsrat sollen weiterhin grundsätzlich mindestens ein Mann und eine Frau angehören. Für „widely-held“ Gesellschaften will ISS die Anteile auf jeweils mindestens 30% Männer und 30% Frauen erhöhen; dies jedoch erst ab dem 1. Februar 2022. Die Mitbestimmung findet als Kriterium keine Berücksichtigung. Bei Verfehlen der Erwartungen kündigt ISS an, eine Stimmabgabe gegen den Vorsitzenden des Nominierungsausschusses zu empfehlen.

Aktienrückerwerbe mit Call- und Put-Optionen; Vergütungsvotum

Für Ermächtigungen zum Aktienrückerwerb mit Derivaten streicht ISS sämtliche spezifisch deutschen Vorgaben (z. B. Laufzeit von Optionen maximal 18 Monate). Die verbleibenden Leitlinien entsprechen weitgehend den aktienrechtlichen Grenzen. Im Hinblick auf Vergütungsvoten präzisiert ISS erwartete Elemente des Vergütungsberichts, u. a. eine Erläuterung der Ausübung von Ermessens- und Abweichungsspielräumen.

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