BAG: Zum Bestandsschutz für Aufsichtsratssitze der Gewerkschaftsvertreter in der SE-Formwechselgründung

von Achim Kirchfeld, veröffentlicht am 26.11.2020

Das BAG vertritt in einem Beschluss vom 18. August 2020 (1 ABR 43/18 (A); BeckRS 2020, 22806) die Ansicht, dass das sog. Vorher-Nachher-Prinzip nicht nur den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sondern auch den Anteil der Sitze von Gewerkschaftsvertretern schützt.

SE-Beteiligungsvereinbarung: Wegfall der Sitzgarantie für Gewerkschaften bei Aufsichtsratsverkleinerung

Gegenstand des Beschlusses ist die Beteiligungsvereinbarung einer durch Formwechsel gegründeten SE. Der Aufsichtsrat der Gründungsgesellschaft hatte gemäß § 7 MitbestG insgesamt 16 Mitglieder mit acht Arbeitnehmervertretern einschließlich zwei Vertretern von Gewerkschaften. Die SE-Beteiligungsvereinbarung führte das exklusive Vorschlagsrecht der Gewerkschaften teilweise fort. Für den Fall der Verkleinerung des Aufsichtsrats auf zwölf Sitze sollte es jedoch entfallen. Gegen die Wirksamkeit dieses Vereinbarungsteils wendeten sich die betroffenen Gewerkschaften.

§ 21 Abs. 6 SEBG schützt auch Gewerkschaftsvertreter

Mit seinem Beschluss entscheidet der Senat nicht in der Sache, sondern wendet sich per Vorlagefrage gemäß Art. 267 AEUV an den EuGH. In der Begründung der Frage macht er allerdings deutlich, dass er allein auf Grundlage deutschen Rechts die Unwirksamkeit des angegriffenen Vereinbarungsteils wegen Verstoßes gegen § 21 Abs. 6 SEBG festgestellt hätte. Nach dieser Vorschrift muss in einer Beteiligungsvereinbarung beim SE-Formwechsel „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß [wie in der Gründungsgesellschaft] gewährleistet werden.“

Bestandsschutz für exklusives Vorschlagsrecht

Ausgelegt im nationalen Kontext, so der Senat, gebiete § 21 Abs. 6 SEBG, „dass die die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung der Gesellschaft prägenden Elemente (…) in gleichwertigem Umfang“ in der SE erhalten bleiben müssten. Prägend sei bei einer gesetzlich mitbestimmten AG auch ein gesondertes Wahlverfahren für Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat.

Bestandsschutz für Anteil der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat

Auch der Anteil der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat müsse – entsprechend der Gewichtung in § 7 Abs. 2 MitbestG und soweit rechnerisch möglich – fortgeführt werden. Bei einer Verkleinerung des Aufsichtsrats von 16 auf zwölf Mitglieder müssten Gewerkschaften danach zumindest für einen Arbeitnehmervertretersitz ein ausschließliches Vorschlagsrecht erhalten.

Vereinbarkeit der BAG-Auslegung mit Europarecht?

Der Senat deutet damit eine Entscheidung gegen beide Vorinstanzen (siehe hierzu den Beitrag von Cornelius Wilk vom 16. November 2018) und gegen die wohl überwiegende Literaturansicht an. Der EuGH wird nun darüber zu entscheiden haben, ob die BAG-Auslegung mit den Vorgaben aus Art. 4 Abs. 4 der SE-Richtlinie 2001/86/EG vereinbar ist. Die Vorschrift ist Rechtsgrundlage von § 21 Abs. 6 SEBG und weitgehend wortgleich gefasst.

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