BGB-Kommentar auf Englisch: "Warum hat das so lange keiner gemacht?"

von Tobias Fülbeck, veröffentlicht am 02.12.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches Recht3|16597 Aufrufe

Es war eine lang gehegte Idee des Verlags C.H.BECK – jetzt hat sie ein Autorenteam rund um die Herausgeber Prof. Dr. Gerhard Dannemann und Prof. Dr. Reiner Schulze in die Tat umgesetzt. Das Bürgerliche Gesetzbuch ist in einer englischsprachigen Kommentierung verfügbar – wohlgemerkt erstmals in der nicht ganz jungen Geschichte des BGB. Ein Gespräch mit den Herausgebern über ein längst überfälliges Werk, die Internationalisierung des Rechts und zahlreiche Herausforderungen.  [Zur englischen Übersetzung des Interviews]

Bereits 1907 gab es die erste englische Übersetzung des BGB, doch es dauerte nun fast 120 Jahre, bis es eine englischsprachige Kommentierung gab. Etwas überraschend, oder?

Schulze: Auf jeden Fall – dabei ist dieser Kommentar so dringend notwendig! Denn es gibt eine erschreckende Diskrepanz zwischen dem, was in Deutschland an juristischer Arbeit auf dem Gebiet des Zivilrechts geleistet wird – also in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre – und dem, was davon im Ausland ankommt. Ein banaler Nebensatz eines amerikanischen Richters im mittleren Westen wird im Zweifel viel mehr zitiert als eine wegweisende BGH-Entscheidung. Und das nur, weil man außerhalb des deutschsprachigen Raums nicht zur Kenntnis nehmen kann, was die deutschen Juristen leisten. Das ist ein großes Problem, zu dessen Lösung wir mit unserem Werk hoffentlich einen kleinen Beitrag leisten können. 

Dannemann: Dieser Kommentar war wirklich lange überfällig. Als der Verlag C.H.BECK mit der Idee auf mich zukam, war ich sofort begeistert und habe mich gefragt: „Warum hat das so lange keiner gemacht?“ Das Interesse am deutschen Recht, insbesondere am BGB, ist schließlich groß. 

Schulze: Bei Gastvorlesungen in Italien, Spanien oder China habe ich ebenfalls immer wieder bemerkt, wie groß das Interesse ist, wie gering aber gleichzeitig die Zugangsmöglichkeiten sind. Die Deutschkenntnisse der interessierten Juristen reichen meist nicht aus. Da musste also etwas geschehen. Dass ein englischsprachiger Kommentar so lange gedauert hat, hat aber vermutlich auch noch einen anderen Grund. 

Nämlich? 

Schulze: Das Modell einer Paragraf-für-Paragraf-Kommentierung ist in Deutschland stark etabliert und wir alle nutzen und kennen die Vorzüge. Im Ausland hingegen wird dieses Modell wenig genutzt. Eine Zusatzfunktion dieses Werks könnte es also sein, dass das Modell des Kommentars als Vermittlung juristischen Wissens, als Brücke zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtslehre, im Ausland ein bisschen besser eingeführt wird. Dadurch könnte das methodische Interesse am deutschen Recht gestärkt werden. 

Was ist Ihr größter Wunsch? 

Schulze: Es wäre großartig, wenn wir – neben dem unmittelbaren Nutzen in der Praxis – dazu beitragen können, dass in der weltweiten Diskussion von rechtlichen Grundfragen das deutsche Recht stärker diskutiert wird. Wir könnten Denkanstöße bei Juristen provozieren, die nicht im deutschen Recht ausgebildet sind und so einen Beitrag zur Internationalisierung des Rechts leisten. 

Ist Dannemann/Schulze – German Civil Code so etwas wie ein englischsprachiger Palandt? 

Dannemann: Nein, das sind wir keineswegs. Wir schreiben für ein Publikum, von dem wir ausgehen, dass es nicht weiß, wie das deutsche Zivilrecht funktioniert. Das ist neu. Ich kenne keinen Kommentar, der das gemacht hat. Wir setzen lediglich ein Grundverständnis für juristische Themenstellungen, Fragen und Methoden voraus. Auch deutsche Juristinnen und Juristen haben im Übrigen etwas davon: Denken wir an diejenigen Juristen, die mit einem englischsprachigen Publikum zu tun haben, etwa einen englischsprachigen Mandaten vertreten und für diesen einen Vertrag schreiben müssen. 

Schulze: Ganz genau. Wenn deutsche Juristen über deutsches Recht auf Englisch kommunizieren müssen, wollen wir dafür ein Reservoir an englischer Rechtsterminologie für deutsches Recht entwickeln. 

Die Info, dass Ihr Werk erschienen ist, war 2020 mit Abstand unser erfolgreichster LinkedIn-Post. Hatten Sie mit dieser Welle der Begeisterung gerechnet? 

Schulze: Ich habe auf eine positive Resonanz nicht nur gehofft, sondern auch damit gerechnet – im Ausland bei Rechtswissenschaftlern und im In- und Ausland bei allen juristischen Praktikern, die mit deutschem Recht im grenzüberschreitenden Verkehr zu tun haben. Dass das Echo jetzt doch noch so viel breiter ist, freut mich umso mehr. 

Was waren die größten Schwierigkeiten bei diesem Projekt? 

Dannemann: Es dauert seine Zeit, bis wir überhaupt ein so großes und großartiges Team an Autorinnen und Autoren gewinnen konnten. Denn selbst jemand, der sehr gut Englisch spricht, kann nicht unbedingt einen deutschen juristischen Sachverhalt in englischer Sprache erklären.  Wir haben uns deshalb ganz vorrangig um erfahrene Rechtsvergleicherinnen und Rechtsvergleicher bemüht.
 
Schulze: In der Tat. Das war und ist alles nur möglich durch ein großartiges Teamwork. In seiner Funktion als „Assistant Editor“ hat Dr. Jonathon Watson sämtliche Beiträge überprüft. Er ist ein in Deutschland lebender englischer Jurist. Ohne ihn hätten wir das Werk sicher nicht schaffen können. 

Sie haben auch mit der BGB-Übersetzung gehadert. Weshalb? 

Dannemann: Haben Sie schon mal aus den Literaturwissenschaften gehört, dass es so etwas wie unübersetzbare Bücher gibt? Der „Ulysses“ des irischen Schriftstellers James Joyce galt lange als unübersetzbar, oder auch das Werk „Finnegans Wake“ desselben Autors. Ich sage immer: „Finnegans Wake“ ist nicht schwieriger zu übersetzen als das Bürgerliche Gesetzbuch.

Warum nicht? 

Dannemann: Sie können niemals ausweichen! Klar, Sie können mal ein Substantiv mit einem Verb umschreiben, aber Sie müssen sehr wörtlich und vor allem konsistent übersetzen. Sie  dürfen also nicht etwa beim Kaufrecht „Sachen“ mit „goods“ übersetzen,  weil  damit der implizite Verweis auf alle Vorschriften des BGB zu Sachen, einschließlich deren Definition in § 90 verloren ginge.  Das Ergebnis einer terminologisch konsistenten Übersetzung klingt in englischen Ohren zwangsläufig hart und ungewohnt. Oder nehmen Sie „false friends“, falsche Freunde. Das Wort Gegenleistung kann ich nicht einfach mit consideration übersetzen, das ist im Englischen etwas völlig anderes. Bei einem Kommentar kann man die notwendige Starrheit der Übersetzung zum Glück ganz gut auffangen, nämlich indem man diese Bezüge und Bedeutungen erläutert.

Auf welche Übersetzung haben Sie sich eigentlich gestützt?

Dannemann: Wir haben mit der BGB-Übersetzung des Bundesjustizministeriums gearbeitet, die auf gesetze-im-internet.de veröffentlicht ist. Die Übersetzung hat erwartungsgemäß einige Schwächen, aber unsere Bemühungen, das Justizministerium dazu zu bewegen, dass wir in die Übersetzung eingreifen dürfen – was ein urheberrechtlich relevanter Vorgang gewesen wäre – waren leider aus verschiedenen Gründen nicht erfolgreich. Wir haben mit den gewissen Imperfektionen dieser Übersetzung arbeiten müssen. Unseren Autorinnen und Autoren haben wir vorgeschlagen, dass sie Schwächen der Übersetzung für die Leserinnen und Leser offenlegen sollen. 

Wie geht es jetzt weiter? 

Dannemann: Wir arbeiten an Band zwei, uns fehlen schließlich noch das Familien- und Erbrecht. Ende 2021 soll die Fortsetzung erscheinen.
Schulze: Wir hoffen, dass wir – nachdem das Gesamtwerk steht – in einer zweiten Auflage auch die Übersetzung des BGB noch schärfen und die Anmerkungen, die wir uns von den Nutzern des Kommentars erhoffen, sowie Anregungen aus der Sicht von Praktikern einarbeiten können. 

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