EuGH zur A1-Bescheinigung bei Leiharbeit

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.06.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht2|22755 Aufrufe

Bislang entsprach es gängiger Praxis bei grenzüberschreitender Leiharbeit (vor allem aus Osteuropa), dass die Arbeitnehmer im Sitzstaat des Verleihers sozialversichert werden, zu den dort meist wesentlich geringeren Abgabensätzen als in Westeuropa. An die im Entsendestaat ausgestellte A1-Bescheinigung ist der Staat, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird, gebunden, kann also keine Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zu seinen entsprechenden Trägern (Kranken-, Rentenversicherung etc.) beanspruchen.

Diese Praxis hat der EuGH jetzt deutlich erschwert. Im Urteil Team Power Europe hat er erkannt, dass eine Zeitarbeitsfirma nur dann in ihrem Sitzstaat iSv. Art. 12 Abs. 1 VO 883/2004 "gewöhnlich tätig" ist, wenn sie in nennenswertem Umfang Arbeitnehmerüberlassung (auch) im Inland ausübt. Demgegenüber kann sich ein Leiharbeitsunternehmen, das seine Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern ausschließlich oder hauptsächlich an entleihende Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem es ansässig ist, ausübt, zwar auf die vom AEUV verbürgte Dienstleistungsfreiheit berufen. Es kommt aber nicht in den Genuss des Vorteils, den Art. 12 Abs. 1 VO 883/2004 im Bereich der sozialen Sicherheit dadurch gewährt, dass die Arbeitnehmer weiterhin dem System des Mitgliedstaats zugehörig bleiben, in dem das Unternehmen ansässig ist. Anderenfalls nämlich könnte für diese Unternehmen ein Anreiz bestehen, sich nur deshalb in einem bestimmten Mitgliedstaat niederzulassen, um die für sie Bereich der sozialen Sicherheit günstigsten Rechtsvorschriften in Anspruch nehmen zu können. Wohl wahr.

EuGH, Urt. vom 3.6.2021 - C-784/19, ECLI:EU:C:2021:427 = BeckRS 2021, 12872 - Team Power Europe

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2 Kommentare

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So viel zur vielgepriesenenen Niederlassungsfreiheit in der EU! Gilt gleiches auch für das Abgreifen  von Sozialleistungen durch sog, "Arbeitnehmer", die im Herkunftsland NICHTS gearbeitet haben?

@Dr. Egon Peus:

Der sachliche Schutzbereich des Art. 45 Abs. 3a-d AEUV wird durch das Urteil nicht tangiert.

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