Einfache Trunkenheitsfahrt und noch weiteres gesamtstrafenfähiges Verfahren wegen gef. KV => Pflichti-Bestellung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.10.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1679 Aufrufe

Der Betroffene war besoffen gefahren. Eine Pflichtverteidigerbestellung allein deshalb hätte es aber nicht gegeben. Es war aber noch ein weiteres Verfahren gegen ihn anhängig. Tatvorwurf: § 224 StGB. Das LG meinte, eine Pflichtverteidigerbestellung sei deshalb notwendig, weil ja eine Gesamtstrafenmöglichkeit bestehe. 

 

Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten werden der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 12.02.2021 (Az. 5 Gs 772 Js 48733/20 (305/21)) aufgehoben und dem Beschuldigten Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.   Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Landeskasse zu Last.   Gründe:   I.   Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt gegen den Beschuldigten wegen Trunkenheit im Verkehr. Der Beschuldigte soll im Rahmen einer polizeilichen Fahrzeugkontrolle am 04.11.2020 um 03:35 Uhr auf dem Fahrersitz eines mit laufendem Motor auf einem Tankstellengelände in der Neuendorfer Straße in 39418 Staßfurt haltenden Kraftfahrzeugs sitzend angetroffen worden sein. Nach dem Sachverhalt zur Strafanzeige soll der Beschuldigte dabei gegenüber den aufnehmenden Polizeibeamten angegeben haben, dass er selbst auf das Tankstellengelände gefahren sei. Ebenfalls am 04.11.2020 ist dem Beschuldigten um 04:30 Uhr eine Blutprobe entnommen worden, deren Untersuchung eine mittlere Blutalkoholkonzentration zu diesem Zeitpunkt von 1,31 %o ergab.   Der Beschuldigte stand zu diesem Zeitpunkt unter laufender Bewährung. Er ist vom Amtsgericht Aschersleben am 08.05.2019 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.   Mit Schreiben vom 02.12.2020 an die Polizei Bernburg hat sich Rechtsanwalt pp. für den Beschuldigten gemeldet und beantragt, ihm gemäß § 140 Abs. 2 i.V.m. §§ 141 Abs. 1 S. 1, 142 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO beigeordnet zu werden. Für den Fall seiner Beiordnung hat er die Niederlegung des Wahlmandats erklärt.   Diesen Antrag hat das Amtsgericht Magdeburg mit Beschluss vom 12.02.2021 (Az.: 5 Gs 772 Js 48733/20 (305/21)) abgelehnt.   Hiergegen richtet sich die durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 17.02.2021 eingelegte und am gleichen Tag beim Amtsgericht Magdeburg eingegangene sofortige Beschwerde des Beschuldigten. Mit ihr hat der Beschuldigte darauf hingewiesen, dass bei der Polizei Bernburg ein weiteres Verfahren gegen ihn unter dem Aktenzeichen SLK RED 1/9795/2020 wegen gefährlicher Körperverletzung anhängig sei. Deswegen sei das vorliegende Verfahren nicht isoliert zu betrachten.   Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses als unbegründet zu verwerfen.   In dem weiteren bei der Statsanwaltschaft Magdeburg, Az. 162 Js 38880/20, (Polizei Bern-burg, Az. SLK RED 1/ 7 5/2020) geführten Verfahren wird gegen den Beschuldigten wegen einer gefährlichen Körperverletzung, die er in der Nacht vom 28.07.2020 auf den 29.07.2020 begangen haben soll, ermittelt.   Zur Vermeidung-von Wiederholungen wird im Übrigen auf die angeführten Entscheidungen und Schriftsätze verwiesen.   II.   Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässig und begründet.   Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor.   Die Schwere der Tat und die zu erwartenden Rechtsfolgen gebieten die Mitwirkung eines Verteidigers.   Allein die zu erwartende unmittelbare Rechtsfolge ist zwar noch nicht geeignet, eine Verteidigung notwendig erscheinen zu lassen. Gemessen an der im Falle einer Anklage und anschließenden Verurteilung zu erwartenden Strafe, dürfte diese für die angezeigte Tat deutlich unter einem Jahr Freiheitsstrafe liegen, deren Erwartung die Grenze bildet, ab der eine notwendige Verteidigung regelmäßig anzunehmen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 140 Rn. 23a m.w.N.). Der für die angezeigte Handlung in Betracht kommende Tatbestand des § 316 StGB ordnet eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe an. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der obere Bereich dieses Strafrahmens im Falle einer Anklage und anschließenden Verurteilung ausgeschöpft würde. Vielmehr ist von einer Geldstrafe oder allenfalls einer ganz geringen Freiheitsstrafe auszugehen, weil der Beschuldigte zwar wegen einer im Jahr 2015 begangenen Körperverletzung und im Jahr 2018 begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft ist, diese Vorstrafen jedoch gegen andere Rechtsgüter als die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs gerichtet waren und deswegen nicht erheblich bei der Strafzumessung ins Gewicht fallen dürften.   Gleichwohl war dem Beschuldigten ein notwendiger Verteidiger zu bestellen, weil gegen ihn ein weiteres Ermittlungsverfahren anhängig ist, das voraussichtlich eine gesamtstrafenfähige Tat betrifft. Drohen einem Beschuldigten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der „Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig (OLG Naumburg, Urteil vom 22.05.2013, Az. 2 Ss 65/13).   Unter Beachtung des weiteren Verfahrens, in dem wegen einer in der Nacht vom 28.07.2020 auf den 29.07.2020 begangenen gefährlichen Körperverletzung gegen den Beschuldigten ermittelt wird, ist eine Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr im Falle einer Verurteilung wegen beider Taten zu erwarten. Insbesondere unter Berücksichtigung der in jenem Verfahren vorgeworfenen Tat ist nach derzeitigem Aktenstand im Falle einer Verurteilung aufgrund der beigebrachten Verletzungen in Gestalt einer Nasenbeinfraktur, drei Rippenfrakturen, einem Milz- und einem Leberabriss unter Beachtung der einschlägigen Vorstrafe wegen einer am 30.11.2015 begangenen Vortat von einer Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr auszugehen. Dass es in diesem Parallelverfahren zu einer Anklage kommen wird, ist dabei hinreichend wahrscheinlich. Neben dem Geschädigten, der den Beschuldigten identifizieren könnte, gibt es in jenem Verfahren noch einen weiteren Zeugen, der die Verletzungshandlung selbst zwar nicht wahrgenommen habe, aber den Geschädigten zum Wohngrundstück des Beschuldigten begleitet und davor auf den Geschädigten gewartet habe. Anstelle des Geschädigten sei dann eine Person zu ihm gekommen und habe gefragt, warum er dort warte. Nachdem der Zeuge angegeben habe, dass er mit dem späteren Geschädigten gekommen sei und auf die-sen warte, habe die Person ihn aufgefordert zu gehen und sei wieder außer Sichtweite in den Innenhof des Gebäudes gegangen, vor dem der Zeuge gewartet habe. Nach einigen Minuten habe er aus dem Durchgang, durch den zuvor der Beschuldigte gegangen sei, ein Stöhnen gehört. Als er daraufhin in diesem Durchgang nachgesehen habe, habe er dort den Geschädigten auf Händen und Knien kriechend und mit Blut an Nase und Mund gesehen. Im Nachgang habe der Geschädigte dem Zeugen den Beschuldigten beschrieben. Diese Beschreibung habe auf die Person, die mit dem Zeugen gesprochen habe, gepasst.   Weiter erscheint die hier gegenständliche Tat nicht derart geringfügig, dass dessen zu erwartende Einzelstrafe die später zu bildende Gesamtstrafe nicht erheblich erhöhen würde (in diesem Sinne OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012, Az. 2 Ws 37/12 ). So wird im Parallelverfahren nur wegen einer Tat ermittelt, die im Verhältnis zur hier gegenständlichen Tat zwar ein deutlich schwereres Delikt betrifft. Diese unterschiedliche Qualität erscheint hier allerdings nicht derart weit auseinanderliegend, dass von einer nur unerheblichen Erhöhung der Gesamtstrafe ausgegangen werden kann. Weiterhin handelt es sich nicht um tatähnlich oder gleichgelagerte Strafvorwürfe, sondern um solche, die jeweils unterschiedliche Rechtsgüter betreffen. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass dem Beschuldigten wegen der vorgeworfenen Trunkenheit im Verkehr im Falle einer Verurteilung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen werden wird, was den Beschuldigten als weitere Rechtsfolge treffen würde.   Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
     

LG Magdeburg, Beschl. v. 21.04.2021 - 21 Qs 10/21, BeckRS 2021, 12626

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