Vollstreckungsausspruch: gendern?

von Dr. Oliver Elzer, veröffentlicht am 05.11.2021
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Ich habe gerade in einem Urteil aus Essen (AG Essen, Urteil v. 2.11.2021, 196 C 50/21) folgenden Tenor gelesen:

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner*innen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger*innen zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leisten.

§ 711 Satz 1 ZPO schreibt "Schuldner" und "Gläubiger". Ist es dennoch besser - oder jedenfalls vertretbar - "Vollstreckungsschuldner*innen" und "Vollstreckungsgläubiger*innen" zu schreiben? Gibt es in anderen Bezirken ähliche Erfahrungen?

 

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16 Kommentare

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Das ist das erste Urteil, das mir so unterkommt. Es ist weder besser noch vertretbar, in Urteilen zu gendern, wenn das Gesetz es aus guten Gründen eben gerade nicht tut. Gesetze brauchen Eindeutigkeit und keine subjektive Willkür. Daran haben sich die Richter zu halten, darüber hinaus auch an die Gesellschaft für deutsche Sprache, die das Gendern ebenso nicht vorsieht. Das Sternchen tut nichts anderes, als ein generisches Maskulinum durch ein generisches Femininum zu ersetzen, vgl. Prof. Tonio Walter am 9.10.2021.

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Ich kann in der Formulierung keine "subjektive" Willkür (gibt es auch eine "objektive" Willkür?) erkennen. Können Sie das etwas ausführen? Dann erschiene Ihr Urteil auch etwas weniger "subjektiv" willkürlich.

Im Übrigen ersetzt das Sternchen gerade nicht das generische Maskulinum durch ein generisches Femininum. Andernfalls hieße es ja "Vollstreckungsgläubigerinnen" und nicht "Vollstreckungsgläubiger*innen".

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"Subjektiv willkürlich" heißt, dass dieser Richter subjektiv ganz genau weiß, dass er willkürlich nach ganz eigenem Gusto gesetzwidrig handelt. Keiner kann mehr ganz sicher sein, was gemeint ist. Das Gendern ist ein Sprachkonstrukt zur Durchsetzung einer politischen Weltsicht, also das Gegenteil richterlichen Handeln,  und keine Urteilssprache.

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"Gesetzwidrig handelt" - das müssen Sie schon ein wenig genauer erklären. Gegen welchen Rechtssatz zuwider handelt das Gericht hier denn genau?

"Keiner kann mehr ganz sicher, was gemeint ist" - das kann niemand, denn jeder Gedanke muss sich sprachlich artikulieren und dessen Aussagegehalt von einem anderen kognitiven System rekonstruiert werden, im Rechtssystem auch "Auslegung" genannt.

"zur Durchsetzung einer politischen Weltsicht, also das Gegenteil richterlichen Handeln" - mit Verlaub: richterliches Handeln ist genau das, was Sie diesen absprechen - die Durchsetzung einer politischen Weltsicht mit den Mitteln des Rechts. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich um eine demokratisch legitimierte Weltsicht handelt.

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"Gesetzwidrig handelt"

Die Gerichtssprache ist deutsch (§ 184 Abs. 1 GVG) und nicht irgendein von tausend bekannten und ebenso oft umstrittenen verschiedenen Arten von Genderlatein.

"Keiner kann mehr ganz sicher sein, was gemeint ist"

Früher wußte man, dass mit "Vollstreckungsschuldner" im Rahmen des generischen Maskulinums alle Geschlechter gemeint sind. Heute ist wegen der verschiedenen Genderschreibweisen unklar, ob auch Frauen "mitgemeint" sind, was Genderideologen bestreiten und insbesondere, ob auch Transpersonen gemeint sind, die sich bekanntlich auch gegen das feministische Genderlatein wehren. Alles ist unklar, und nur weil einige tausend ungebildete egoistische Aktivisten meinen, jeweils ungebremst ihr eigenes Gift-Süppchen kochen zu müssen.

"zur Durchsetzung einer politischen Weltsicht, also das Gegenteil richterlichen Handeln"

Die Gendersprache ist, wie dargelegt, keine "Durchsetzung einer politischen Weltsicht mit den Mitteln des Rechts", sondern eine pure solipsistische feministische Ideologie gegen alle Grundüberzeugungen und gegen die Sprache unseres Volkes.

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Dass die Gerichtssprache deutsch ist, dürfte bekannt sein. Nun aber ist Sprache einmal dem Wandel unterworfen und die Grenzen des Deutschen unterliegen nicht der hoheitlichen Festlegung.

Im Übrigen ist im Rahmen des hier besprochenen Tenors vollkommen irrelevant, ob es Ihnen und anderen unklar ist, ob etwa auch Frauen "mitgemeint" sind, denn allein von Belang ist es, den Entscheidungsinhalt eindeutig den Prozessbeteiligten zuordnen zu können, und dies ist hier ganz unzweifelhaft möglich. Aber auch darüber hinaus kann Ihr Einwand nicht überzeugen, denn was oder wer im Einzelnen gemeint ist, entscheidet sich - wie immer bei Rechtsfragen - immer erst in der Auslegung, unabhängig davon, welche Semantiken aus politischen Gründen von der einen oder anderen Gruppe gepflegt werden.

Und schließlich bauen sie im letzten Punkt einen Strohmann auf, denn meine Qualifikation Ihrer vorgängigen Aussage, das Gendern diene der "Durchsetzung einer politischen Weltsicht" und sei daher das Gegenteil richterlichen Handelns, ist kein notwendiger Teil meines Gegenargumentes, sondern dient allein der Verdeutlichung, dass unter Grundlegung Ihrer Charakterisierung des Genderns insofern jedenfalls kein Widerspruch zu richterlichem Handeln besteht.

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Das habe ich so auch noch nie gesehen, halte es aber rechtlich für unerheblich. Der Tenor hat allein die Funktion, einen vollstreckungsfähigen Entscheidungsinhalt zu formulieren. Diese Funktion ist durch die in dem Urteil gewählte Bezeichnung nicht beeinträchtigt, zumal ein Tenor ja der Auslegung zugänglich ist. Die Formulierung in § 711 S. 1 ZPO ist keinesfalls verbindlich für diejenige in der Urteilsformel; üblich ist ja zB auch die Bezeichnung in der prozessualen Rolle als "Kläger" oder "Beklagte".

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§ 211 I StGB: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft."

Kann eine Frau - nicht zuletzt im Hinblick auf das im Strafrecht geltenden Analogieverbots - überhaupt wegen Mordes  verurteilt werden?

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Das Problem ist nicht, dass der Tenor selbst unklar wäre. Aber er sabotiert die Klarheit der künftigen nicht-gegenderten Formulierungen. Demnächst müssen sich Gerichtsvollzieher immer fragen, ob nun Schuldner nur mit oder auch ohne Penis gemeint sind.

Das müssen sie bisher nicht, weil klar ist, dass die generische Formulierung keine Penisse meint, sondern Schuldner. Gendern schafft erst das Problem, das es zu lösen behauptet.

Lesetipp:

 Gendersprech: Wider die sprachliche Apartheid der Geschlechter / Dagmar LorenzEnthalten in: Die Teufelin steckt im Detail : zur Debatte um Gender und Sprache . - Berlin : Kulturverlag Kadmos, [2017], ISBN 3-86599-287-0. - 2017, S. 230-239

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 Das halte ich schon aus pragmatischen Gründen für falsch, denn die Rollenbezeichnung der Prozessbeteiligten referenziert ausschließlich auf das Rubrum für die Zwecke der Identifikation über die bürgerliche Identität der Beteiligten. Schon alleine deshalb können die von Ihnen angeführten Probleme nicht auftreten.
Ich kann im Übrigen nicht nachvollziehen, welche Rolle die jeweiligen primären Geschlechtsorgane eines Menschen dabei spielen sollten. Zur Erinnerung: die Idee des Genderns beruht auf der Trennung von Sex und Gender, dem biologischen und sozialen Geschlecht, und postuliert die relative Unabhängigkeit beider Kategorien. Zu Penisprüfungen kann es schon allein deshalb nicht kommen.

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Schon, schon Frau Kriesel, 11-16   21:34 Uhr - aber wo steht, dass der Genderwahn Bestandteil deutschen Rechts sei? Fragen Sie doch mal gedanklich die "Väter und Mütter" des Grundgesetzes, was die sich bei Art. 3 II GG gedacht haben? Und den dortigen Begriffen?!! 

Sie haben Recht. Vollstreckungsschuldnerin kann auch eine Frau sein, von der nur irrig angenommen wird, sie sei ein Mann, weil sie einen Penis hat.

Auch diese Gedanken muss man sich nicht machen, wenn man einfach ohne Angabe von Geschlechtern formuliert, also nicht gendert...

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Wie oben dargelegt sind derartige Gedanken nach jeder denkbaren Variante überflüssig. Offenbar fechten Sie hier aber auch nur Ihre kleine Privatfehde aus, ohne ernsthaftes Interesse an der Sache zu haben.

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