Armes AG Bremervörde: Urteil fast überall falsch....

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.01.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1893 Aufrufe

Der Angeklagte wurde verurteilt. Wohl er soll es gewesen sein, der auf einem Radweg mit seinem PKW unterwegs war, mit einer zeugin in Konflikt geriet, auf diese Zufuhr, einen Sachschaden geringer Höhe anrichtete und dann abhaute. Das OLG fand aber, dass das AG zu viel falsch gemacht hatte: Beweiswürdigung zum Tatgeschehen und auch zur Täteridentifizierung waren falsch; dazu war auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft. 

 

   

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bremervörde vom 14. Juni 2021 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

 Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bremervörde zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Mit der angefochtenen Entscheidung verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 Euro und gewährte ihm Ratenzahlung. Zugleich entzog es ihm die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und wies die Verwaltungsbehörde an, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

 Nach den zugrundeliegenden Feststellungen befuhr der Angeklagte, um sich einen Umweg zu ersparen, mit seinem Pkw, amtliches Kennzeichen …, den Radweg an der B74, der anlässlich von Bauarbeiten auf der B 74 vom Eigentümer des anliegenden Grundstücks freigegeben worden war. Die Zeugin … bemerkte dies und sprach den Angeklagten auf sein Fehlverhalten an. Darauf setzte der Angeklagte sein Fahrzeug zurück, wobei er mit einer dort aufgestellten Baustellenbake kollidierte und diese beschädigte. Anschließend entschloss sich der Angeklagte, sich den Weg über die vor ihm liegende Brücke zu erzwingen, und fuhr auf die in 25 Meter Entfernung den Weg versperrende Zeugin … sowie eine am Brückenende aufgestellte weitere Bake zu. Dabei nahm er eine Verletzung der Zeugin, die eine Kollision mit dem Fahrzeug nur durch einen Sprung zur Seite im letzten Moment vermeiden konnte, billigend in Kauf. Er erfasste die Bake, schleifte sie noch mehrere Meter mit sich und verließ die Örtlichkeit. Durch das Fahrverhalten entstand an der Bake und dem Schotter jeweils ein Schaden von 100 €, zudem an dem Brückenbelag ein solcher in Höhe von 200 €.

 Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 II.

 Die Revision ist zulässig und hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Schon die erhobene allgemeine Sachrüge deckt durchgreifende Rechtsfehler im angefochtenen Urteil auf, sodass es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.

 1. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Zwar ist Gegenstand des ursprünglichen Strafbefehls, soweit dem Angeklagten ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vorgeworfen wird, das Verhalten nach der ersten Kollision des Fahrzeugs mit einer Bake, während die Verurteilung auf das Entfernen des Angeklagten nach der Kollision mit der Bake, die am Brückenende aufgestellt war, abstellt. Da es sich aber insoweit um einen einheitlichen Lebenssachverhalt und damit eine einzige Tat im prozessualen Sinn handelt, unterlag auch das abgeurteilte Geschehen der amtsgerichtlichen Kognitionspflicht. Eine Verfahrensrüge wegen Verletzung von § 265 StPO hat der Angeklagte nicht erhoben.

 2. Der Schuldspruch wird von den getroffenen Feststellungen auch getragen. Das Verhalten des mit Schädigungsvorsatz auf die Zeugin … zufahrenden Angeklagten stellt einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB dar. Die anschließende Weiterfahrt erfüllt wegen des Schadens an der überfahrenen Bake auch ein tatmehrheitlich dazu stehendes unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 StGB. Soweit das Amtsgericht auf weitere Schäden am Schotter und Brückenbelag abgestellt hat, genügen die getroffenen Feststellungen für das Vorliegen eines unfallbedingten Schadens zwar nicht. Mit dem an der Bake eingetretenen Schaden in Höhe von 100 € ist aber die von der Rechtsprechung gezogene Wertgrenze von 25 €, bei der ein nicht nur belangloser Schaden vorliegt, bereits überschritten. Dass das Gericht bei seiner Verurteilung die naheliegenden Tatbestände der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224, 22, 23 StGB) nicht im Blick hatte, stellt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten dar.

 3. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung ist indessen nicht rechtsfehlerfrei. Auch wenn die Beweiswürdigung vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen ist, da sie Sache des Tatgerichts ist (§ 261 StPO), liegt ein revisionsrechtlich beachtlicher Rechtsfehler vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung; vgl. BGH NStZ-RR 2015, 148; NStZ 2011, 302 (303); BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Dies ist vorliegend sowohl hinsichtlich des Tatgeschehens an sich als auch hinsichtlich der Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Angeklagten der Fall.

 a. Zum äußeren Tatgeschehen fehlt es im angegriffenen Urteil jedenfalls an Darlegungen dazu, auf welcher tatsächlichen Grundlage die „näherungsweise Schätzung“ des Amtsgerichts zu der gefahrenen Geschwindigkeit und den Abständen beruht. Der Verweis auf die Aussagen der Zeugen … und das in Augenschein genommene Video genügen insoweit nicht, weil die exakten Aussageinhalte und der Inhalt des Videos insoweit nicht mitgeteilt werden. Die Schätzung des Amtsgerichts ist deshalb für den Senat nicht nachvollziehbar.

 b. Hinsichtlich der festgestellten Fahrereigenschaft des Angeklagten ist die Darstellung in der Beweiswürdigung des Urteils teilweise lückenhaft. Es wird nämlich schon nicht ausreichend deutlich, ob die Zeugin … trotz einer sequentiellen Lichtbildvorlage bzw. Videowahlgegenüberstellung den Angeklagten als Fahrer nicht erkannt hat, was eine vertiefte Würdigung des Wiedererkennens des Angeklagten auf einem Einzellichtbild bzw. in der Hauptverhandlung notwendig gemacht hätte, oder ob solche Maßnahmen gar nicht durchgeführt worden sind. Zudem findet die Bewertung, die Zeugin … habe den Angeklagten bei einer Einzellichtbildvorlage als Fahrer sicher identifiziert, keine Grundlage in ihren Angaben. Aussagekräftige Merkmale, die die Zeugin sowohl beim Fahrer des Fahrzeugs vor Ort als auch auf dem Lichtbild oder in der Hauptverhandlung erkannt hat, werden nicht mitgeteilt. Dass der Fahrer wie der Angeklagte eine Brille getragen und kaum Haare gehabt habe, vermag aufgrund der Pauschalität der Angaben kein individualisiertes Wiedererkennen zu begründen. Soweit das Gericht darüber hinaus ausführt, dass es nicht feststellen konnte, dass „gerade diese Merkmale auf eine größere Anzahl von Personen insbesondere auch aus dem Umfeld des Angeklagten zutreffen könnten“, wird nicht dargelegt, woraus sich dieses ergibt. Soweit das Amtsgericht mit seiner Überlegung zum Ausdruck bringen will, dass aus dem sozialen Umfeld des Angeklagten für diese Beschreibung keine Person in Frage kommt, die das Fahrzeug statt des Angeklagten führen könnte, wäre vorab darzulegen gewesen, ob der Angeklagte auch Halter des betreffenden Fahrzeugs ist und wer sonst Zugriff auf das Fahrzeug gehabt haben könnte. Hieran fehlt es.

 4. Die Revision deckt zudem Rechtsfehler auch bei der Strafzumessung auf. Soweit das Gericht straferschwerend den Umstand, dass der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten sei, berücksichtigt hat, liegt ein Verstoß gegen das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG vor, da die Voreintragung im Bundeszentralregister bereits getilgt worden ist. Zudem stößt die strafschärfende Berücksichtigung des nur mäßigen Gesamtschadens auf Bedenken. Im Übrigen erscheint fraglich, ob der Schaden in seiner Gesamtheit straferschwerend berücksichtigt werden kann. Die strafschärfende Berücksichtigung des Motivs, sich den Konsequenzen seines Fehlverhaltens zu entziehen, dürfte jedenfalls bezüglich des Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.

 III.

 Für die nunmehr nach Aufhebung und Zurückverweisung neu durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

 1. Stellt sich heraus, dass durch das Zurücksetzen des Fahrzeugs auch an der davon betroffenen Bake ein nicht nur belangloser Schaden entstanden ist, würde sich auch insoweit das Wegfahren als ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort darstellen. Aufgrund der räumlichen Nähe dürfte diese Tat bei Kollision mit der Bake am Ende der Behelfsbrücke noch nicht vollendet gewesen sein, weil der Fahrer den Unfallort in diesem Moment noch gar nicht verlassen hat, sodass sich das Weiterfahren nach der ersten und zweiten Kollision als tateinheitlich begangenes Vergehen nach § 142 Abs. 1 StGB darstellen dürfte, was zur Folge hätte, dass auch der im Moment des Entfernens nach der ersten Kollision verwirklichte gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr und die gegebenenfalls weiter vorliegenden Tatbestände allesamt tateinheitlich verwirklicht worden wären.

 Ließe sich das Geschehen bezüglich der ersten Bake nach den insoweit zu treffenden Feststellungen indessen nicht unter einen Straftatbestand subsumieren, bedürfte es insoweit eines Teilfreispruchs (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl., § 260 StPO, Rn. 13). Insoweit verbliebe es im Übrigen für den Fall, dass das nunmehr zuständige Gericht zu denselben Feststellungen gelangt wie im angefochtenen Urteil, bei einem zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und ggf. weiteren Delikten (vgl. u. III. 2) in Tatmehrheit stehenden unerlaubten Entfernen vom Unfallort.

 2. Sollte sich das Gericht aufgrund der neuen Beweisaufnahme von einem zumindest bedingten Schädigungsvorsatz erneut überzeugen können, wird auch zu prüfen sein, ob die neuen Feststellungen einen Schuldspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 StGB tragen. Daneben wäre das Verhalten auch auf das Vorliegen einer vollendeter Nötigung nach § 240 StGB zu prüfen. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO steht einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht entgegen, da sich das Verbot nur auf die Art und Höhe der Rechtsfolgen bezieht.

OLG Celle Beschl. v. 23.11.2021 – 1 Ss 4/21, BeckRS 2021, 36734 

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