12 Jahre sowie 13 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe für die Einfuhr von 43 kg Heroin: Nicht mit dem BGH!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 22.01.2022

Das Landgericht Traunstein hat zwei Drogenkuriere, die im Auftrag eines anderen 43.906 Gramm Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 23.859,9 Gramm Heroinhydrochlorid in einem Hohlraum in einem PKW versteckt mit dem Endziel Niederlande nach Deutschland einschmuggelten, wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von zwölf Jahren und 13 Jahren sechs Monaten verurteilt.

Damit zeigte sich der 1. Strafsenat des BGH nicht einverstanden. Er hob das Urteil mit ausführlichen Erwägungen zur Strafzumessung auf, weil die außergewöhnlich hohen Strafen nicht rechtsfehlerfrei begründet worden seien (BGH Urt. v. 20.10.2021 – 1 StR 136/21, BeckRS 2021, 42992):

Indes hält die Strafzumessung (im engeren Sinne) innerhalb des hier wegen Menge und Art des eingeführten Rauschgifts allein in Betracht kommenden Ausgangsstrafrahmens des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG der - freilich eingeschränkten - sachlichrechtlichen Nachprüfung letztlich nicht stand. Die Erwägungen des Landgerichts, das insbesondere bezüglich des Angeklagten Y. in Richtung der Ausschöpfung des eröffneten Strafrahmens (§ 38 Abs. 2 StGB) geht, lassen besorgen, dass es sich nahezu ausschließlich an Art, Menge und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel orientiert hat; die außergewöhnlich hohen Strafen sind damit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Im Einzelnen:

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, gleichwohl Rechtsanwendung und unterliegt insoweit der revisionsgerichtlichen Überprüfung.

aa) Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB hat das Tatgericht bei der Strafzumessung die Umstände gegeneinander abzuwägen, die für oder gegen den Täter sprechen. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des eingeräumten Spielraums liegt. Das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. Dabei ist dieses lediglich verpflichtet, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20 Rn. 7 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Die Begründung des Urteils muss erkennen lassen, dass die wesentlichen Gesichtspunkte gesehen und in ihrer Bedeutung sowie ihrem Zusammenwirken vertretbar gewürdigt wurden; nur in diesem Rahmen kann das Gesetz verletzt sein (§ 337 Abs. 1 StPO; BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 - 1 StR 265/16 Rn. 40 mwN).

bb) Bei Betäubungsmitteldelikten prägen Art und Menge des Rauschgifts den Unrechtsgehalt der Tat; sie sind deshalb nicht nur „bestimmende Umstände“ (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), sondern regelmäßig vorrangig in die Abwägung einzustellen. Gleichwohl verlieren die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung nach den §§ 46 ff. StGB im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht ihre Bedeutung. Danach ist auch bei Rauschgiftgeschäften die Strafe nach dem Maß der individuellen Schuld zuzumessen. Eine reine „Mengenrechtsprechung“ wäre mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 242/19 Rn. 6; Beschlüsse vom 9. Dezember 2012 - 2 StR 455/11, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 38 Rn. 5 und vom 1. März 2011 - 3 StR 28/11 Rn. 8; vgl. aber auch BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2011 - 3 StR 154/11 Rn. 5 und vom 25. Oktober 2016 - 5 StR 408/16).

cc) Auf gleicher Linie liegen die vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen an den Begründungsumfang, wenn die verhängten Strafen auffällig hoch sind (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. März 2019 - 1 StR 632/18 Rn. 8 mwN). Dies gilt erst recht, wenn sie sich gar der oberen Strafrahmengrenze nähern (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Juni 2009 - 3 StR 171/09 Rn. 8; vom 29. Juni 2005 - 1 StR 149/05 Rn. 5; vom 20. September 2000 - 2 StR 186/00 Rn. 17; vom 22. März 1995 - 3 StR 625/94 Rn. 6 und vom 20. März 1985 - 2 StR 44/85 Rn. 14; Beschlüsse vom 11. November 2014 - 3 StR 455/14 Rn. 5; vom 8. Februar 2005 - 3 StR 500/04 Rn. 2; vom 12. April 1994 - 4 StR 74/94, BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8 und vom 30. August 1983 - 5 StR 587/83 Rn. 4), also den eröffneten Strafrahmen ausschöpfen. Außergewöhnlich hohe Strafen bedürfen einer Rechtfertigung in den Urteilsgründen, die das Abweichen vom Üblichen vor dem Hintergrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles verständlich macht (BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2020 - 1 StR 445/20 Rn. 5; vom 20. September 2010 - 4 StR 278/10 Rn. 5; vom 11. Oktober 1985 - 2 StR 518/85 Rn. 4 und vom 19. März 1982 - 2 StR 30/82 Rn. 3).

dd) Nur vereinzelt hat der Bundesgerichtshof in - hier einschlägigen - Kurierfällen allein aufgrund der Art sowie der Menge und der Wirkstoffmenge des gehandelten Rauschgifts in die den Tatgerichten zugewiesene Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt des nicht mehr gerechten Schuldausgleichs eingegriffen, sei es, dass die Strafe unvertretbar milde war (BGH, Urteile vom 1. September 1993 - 2 StR 263/93 Rn. 3, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 25 und vom 14. Juni 2007 - 3 StR 176/07 Rn. 4; siehe aber auch, BGH, Urteil vom 4. September 1996 - 2 StR 299/96 Rn. 3, 15) oder unvertretbar hoch (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 - 5 StR 548/09 Rn. 13; siehe aber auch BGH, Urteil vom 25. Februar 1993 - 1 StR 808/92 Rn. 3, 8).

b) Nach diesen Maßstäben begegnen die unzulänglichen Strafzumessungserwägungen des Landgerichts durchgreifenden Bedenken.

aa) Das Landgericht benennt allein als straferschwerend, dass die Schwelle zur nicht geringen Menge um das 15.906fache überschritten ist und es sich bei Heroin um eine gefährliche Droge handelt. Nur dies lässt die verhängten Strafen nicht ohne Weiteres als nachvollziehbar erscheinen, auch nicht unter Beachtung der - auch gegenüber etwa Kokain - gefährlicheren Wirkung von Heroin. An den besonderen objektiven Umständen, die nicht vom - allein der Autonomie des Tatgerichts unterliegenden - persönlichen Eindruck von den Angeklagten aus der Hauptverhandlung abhängen, gemessen, namentlich an der sich über rund sechs Wochen erstreckenden Dauer der Kurierhin- und -rückfahrt, begleitet von Geldüberweisungen, der durchaus auffällig langen Gesamtfahrtstrecke von rund 8.800 Kilometern und des besonders präparierten, zuvor offensichtlich von einer anderen internationalen Gruppierung benutzten Schmuggelfahrzeugs, erscheint der verfahrensgegenständliche Fall nicht - jedenfalls nicht ohne weitere Begründung - als derart außergewöhnlich, als dass die Einordnung in die Kategorie der denkbar schwersten Fälle gerechtfertigt wäre. Hinzu kommt, dass auch Milderungsgründe wie die Sicherstellung des Rauschgifts und das bisherige (nahezu) unbescholtene Vorleben der Angeklagten sich erheblich zu ihren Gunsten auswirken mussten.

Grundsätzlich erfordert die individuelle Strafzumessung eine Wertung der für die Strafzumessung maßgeblichen Umstände, weil die gesetzliche Vorgabe eines Strafrahmens grundsätzlich bedeutet, dass innerhalb des Rahmens nur für die denkbar schwersten Fälle die Höchststrafe verhängt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 56). Dies schließt, um eine Wertung innerhalb des Strafrahmens vornehmen zu können, den Vergleich mit eher „durchschnittlichen“ Fällen notwendigerweise mit ein. Dabei haben freilich bei der individuellen Strafzumessung fremde hypothetische Sachverhalte ebenso außer Betracht zu bleiben wie von anderen Gerichten verhängte Strafen. Maßstab sind das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut und der Grad seiner schuldhaften Beeinträchtigung.

bb) Vor allem darf bei Einfuhrfällen das Strafengefüge der §§ 30, 30a BtMG nicht außer Blick geraten. Nach der gesetzlichen Konzeption kommt Qualifikationsmerkmalen wie etwa der Bandenmitgliedschaft (§ 30a Abs. 1 Variante 4 BtMG) oder des Beisichführens einer Waffe (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 BtMG) erheblich straferschwerendes Gewicht zu; dies zeigt sich an der gegenüber der in § 30 Abs. 1 BtMG normierten Strafrahmenuntergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe signifikant höheren des § 30a Abs. 1, 2 BtMG mit einer solchen von fünf Jahren Freiheitsstrafe. Demnach wären - etwa neben einem Sachverhalt, in dem das Rauschgift nicht sichergestellt wird oder der Täter mehrere Einfuhrtaten begeht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB; vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 1 StR 146/03) - solche Konstellationen als schwerer zu gewichten, in denen der Kurier Bandenmitglied ist (vgl. auch dazu BGH aaO) oder bei der Einfuhr eine Waffe bei sich führt.

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