Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung auch noch nach 15 Monaten nach der Tat!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.05.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2339 Aufrufe

Einmal wieder ein Fundstück aus letztem Jahr, das ich anlässlich anderer Recherchen ausgegraben habe. 15 Monate waren vergangen. Der Angeklagte war erstinstanzlich verurteilt worden. Auf seine Berufung hin kam es erstmals zu einer vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung nach § 111a StPO. Streng, aber für LG-Rechtsprechung durchaus üblich:

Dem Angeklagten wird die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Art gemäß § 111 a Abs. 1 Satz 1 StPO vorläufig entzogen.

 Gründe: 

 Nach den bisherigen Ermittlungen besteht der dringende Verdacht, dass der Angeklagte am 4. Juni 2020 gegen 22:30 Uhr in … auf dem Parkplatz … in … mit dem Pkw …, amtliches Kennzeichen ... einen Unfall verursachte, wobei an dem geparkten Pkw …, amtliches Kennzeichen …, des Geschädigten … ein Schaden von etwa 3.000,- Euro entstand. Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkte und erkannte bzw. damit rechnete, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war, verließ er die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

 Der Angeklagte wurde daher erstinstanzlich durch Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 25. März 2021 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 80,- Euro verurteilt, zudem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilten. Das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 25. März 2021 ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft jeweils form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

 Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen werden wird. Es läge ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3, § 142 Abs. 1 StGB vor. Hinreichende Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel gebieten würden, sind nicht ersichtlich.

 Zwar wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis bislang nicht vorläufig entzogen, auch sind seit der Tat bereits fast 15 Monate vergangen, jedoch ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Berufungsgericht möglich und vorliegend auch nicht unverhältnismäßig.

 So ist ein Berufungsgericht grundsätzlich nicht gehindert, die gleiche Sperre wie das Gericht erster Instanz anzuordnen, selbst wenn sie ohne Berufungseinlegung schon ihr Ende gefunden hätte. Mit einer gewissen Verlängerung der tatsächlichen Sperre als Folge der Berufungseinlegung muss ein Angeklagter rechnen. Auch fehlt es vorliegend an einer besonders langen Verfahrensdauer bei groben Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot sowie einer erheblichen Verfahrensverzögerung.

 Der Angeklagte hatte nach Zustellung des diesem Verfahren zugrunde liegenden Strafbefehls des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 14. Dezember 2020 an seine jetzige Anschrift und damaligen Nebenwohnung in … am 17. Dezember 2020 mit Schreiben vom 31. Dezember 2020 (verspätet) Einspruch eingelegt, woraufhin er - nach entsprechendem Hinweis durch das Amtsgericht Ludwigsburg - mit Schreiben seines Verteidigers vom 11. Januar 2021 u.a. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, die das Amtsgericht Ludwigsburg mit Beschluss vom 25. Januar 2021 als unzulässig verwarf. Auf seine sofortige Beschwerde hin hob das Landgericht Stuttgart diesen Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg mit Beschluss vom 22. Februar 2021 auf, wobei es ausführte, dass die Zustellung vom 17. Dezember 2020 an der damaligen Nebenwohnung des Angeklagten („Zweitwohnsitz“) nicht wirksam erfolgt sei. Das Amtsgericht Ludwigsburg verfügte daraufhin am 5. März 2021 die Ladung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin am 23. März 2021. Wegen Verhinderung des Verteidigers wurde dieser Termin mit Verfügung vom 10. März 2021 auf den 25. März 2021 verlegt. Nach Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 25. März 2021 wurden die Akten dem Landgericht Stuttgart gemäß § 321 Satz 2 StPO als Berufungsgericht vorgelegt, wo sie am 5. Mai 2021 eingingen. Bereits am 10. Mai 2021 wurde von der Vorsitzenden ein Termin zur Berufungshauptverhandlung mit dem Verteidiger und dem Sachverständigen für den 26. Juli 2021 abgesprochen. Im Hinblick auf diesen zeitnah anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung unterblieb zunächst eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten. Die Berufungshauptverhandlung konnte am 26. Juli 2021 nicht durchgeführt werden. Ein neuer Termin zur Berufungshauptverhandlung steht noch nicht fest.

 Der Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer gebietet nunmehr die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten.

 Der Angeklagte wird darauf hingewiesen, dass er nach Zustellung dieses Beschlusses keine fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeuge mehr führen darf; auch dann nicht, wenn Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt ist, da diese keine aufschiebende Wirkung hat. Sollte er trotzdem ein Kraftfahrzeug führen, macht er sich wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG schuldig. Dies gilt auch dann, wenn er noch im Besitz seines Führerscheins ist.

 Der Führerschein muss unverzüglich hier abgegeben werden. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins (§ 111 a Abs. 3 Satz 1 StPO).

LG Stuttgart Beschl. v. 30.8.2021 – 32 Ns 64 Js 63131/20, BeckRS 2021, 33752

 

 

Ich selbst vertrete ja seit meinem Aufsatz zur langen Verfahrensdauer bei Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung in der NJW 2004, 1627 die Ansicht, dass es auf die Dauer eines normal geführten Strafverfahrens ankommt. Wäre die im Normalfall bei frühzeitiger Entziehung erfolgte Sperre abgelaufen, soll eine erstmalige Entziehung zu einem deutlich danach liegenden Zeitpunkt nicht mehr möglich sein. Damit bin ich aber scheinbar immer noch Mindermeinung!

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