Bestellung von Betäubungsmitteln im Internet – ab wann macht man sich nach dem BtMG wegen versuchten Erwerbs strafbar?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 03.06.2022

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich eine Entscheidung des 3. Strafsenats thematisiert, in der es um einen Angeklagten ging, der Betäubungsmittel über einen Online-Shops bestellt hatte. Die Betäubungsmittel erreichten den Käufer jedoch nicht, da sie von der Polizei im Postverteilzentrum sichergestellt wurden. Da der Angeklagte versucht hatte, die Bestellung zu stornieren, lag nach Auffassung des Senats wegen Rücktritts gem. § 24 Abs. 1 S. 2 StGB kein versuchter Erwerb von Betäubungsmitteln vor, soweit die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum bestimmt waren (s. hier). Es blieb nur ein (unproblematisches) Handeltreiben mit Betäubungsmittel hinsichtlich der Betäubungsmittel, die der Angeklagte gewinnbringend weiterverkaufen wollte.

Hier soll der in der Entscheidung nicht angesprochenen Frage nachgegangen werden, ab wann bei Bestellungen von Betäubungsmitteln zum Zwecke des Eigenkonsum im Internet überhaupt der Bereich der straflosen Vorbereitung hin zum strafbaren Versuch eines Erwerbs gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, §§ 22, 23 StGB überschritten wird.

Grundsätzlich wird beim Erwerb die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch dann überschritten, wenn nach dem Tatplan der Abschluss des Geschäftes im engeren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu den Verhandlungen unmittelbar in die Übertragung der Verfügungsmacht an den Betäubungsmitteln einmünden soll.

Beispiel aus Patzak/Bohnen, Betäubungsmittelrecht, 5. Auflage, Kap. 2, Rn. 71a, erscheint im Juli: A bestellt bei B 10 g Marihuana für 100 Euro. Die Lieferung ist für den Folgetag geplant. Wegen der Verhaftung des B kommt es jedoch nicht mehr dazu. Es liegt noch kein versuchter Erwerb durch A vor, der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts ohne Erfüllungsgeschäft ist bloße straflose Vorbereitung des Erwerbs und noch kein Versuch.

Im Falle der Bestellung von Betäubungsmitteln bei einem Online-Shop ist umstritten, wann die Grenze der straflosen Vorbereitungshandlung überschritten wird.

Teilweise wird vertreten, dass bereits mit Bestellung und Bezahlung der Betäubungsmittel ein Versuch des Erwerbs vorliegt.

Einige Amtsgerichte dagegen nehmen an, dass das Versuchsstadium erst erreicht wird, wenn die bestellten Betäubungsmittel vom Verkäufer tatsächlich versendet werden (AG Freiburg Beschl. v. 10. 3. 2017 – 28 Ds 620 Js 19369/16, BeckRS 2017, 107249; AG Rudolstadt Urt. v. 6. 12. 2018 – 710 Js 2396/16 1 Ls, BeckRS 2018, 33602).

Das AG Freiburg führt in der genannten Entscheidung aus:

Der unter Ziffern 4, 5 und 6 der Anklage dargestellte Sachverhalt stellt nach Auffassung des Gerichts schon kein strafbares Verhalten dar, sondern - die Nachweisbarkeit vorausgesetzt - eine straflose Vorbereitungshandlung. Beim Erwerb von Betäubungsmitteln ist die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch dann überschritten, wenn nach dem Tatplan der Abschluss des Geschäfts im engeren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu den Verhandlungen unmittelbar in die Übertragung der Verfügungsmacht an den Betäubungsmitteln einmünden soll. Das Verpflichtungsgeschäft eines Konsumenten ohne Erfüllungsgeschäft ist bloße Vorbereitung des Erwerbs und noch kein Versuch (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 8.A. 2016, § 29 Teil 10 Rn. 36f).

 Die bloße Bestellung in den Fällen Ziffern 4., 5. und 6. stellt deshalb kein strafbares Verhalten dar. Weshalb auf die vorgeworfenen Bestellungen keine Auslieferung erfolgte, ist nicht bekannt. Mithin ist unklar bzw. kann nicht aufgeklärt werden, ob der Verkäufer die Bestellung bereits abgesendet hatte und die Grenze der straflosen Vorbereitungshandlung überschritten gewesen sein könnte. Da nach dem Ermittlungsergebnis bei den Ziffern 4., 5. und 6. nicht bekannt ist, welche Personen sich hinter den Verkäufer-Pseudonymen verbergen, bestehen auch keine Ermittlungsansätze zu einer weiteren Aufklärung.

In der Entscheidung des AG Rudolstadt heißt es:

Beim Erwerb von Drogen über Postversand ist das Vorbereitungsstadium überschritten und, weil damit eine unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts einsetzt, bereits ein Versuch gegeben, wenn der Lieferant vereinbarungsgemäß die Sendung mit dem Rauschgift bei der Post im In- oder Ausland zur Weiterleitung an den Käufer aufgegeben hat (vgl. BayObLG, NStE Nr. 89 zu § 29 BtMG). Mit der Einlieferung bei der Post ist nach der Vorstellung beider Vertragspartner alles geschehen, um bei ungestörtem Fortgang, ohne daß es weiterer Handlungen des Täters bedürfte, die Verwirklichung des Tatbestands herbeizuführen (vgl. BGH, StV 1990, 408, 409; BGH, NStZ-RR 2004, 110, 111; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1217). In Fällen, in denen der Erfolg erst zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort eintreten soll, liegt Versuch bereits dann vor, wenn der Täter das Geschehen „aus der Hand gegeben“ hat (S/S-Eser/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 22 Rn. 42).

Ich halte die in den amtsgerichtlichen Entscheidungen vertretene Auffassung für richtig. In Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Auflage, 2022, § 29 Rn. 921 begründe ich dies wie folgt:

Da es beim Erwerb maßgeblich auf die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft ankommt, tritt Versuchsbeginn erst mit dem Tätigwerden des Verkäufers und dessen Versand der Betäubungsmittel ein, weil erst damit – auch nach der Vorstellung des Täters – das deliktische Geschehen so weit fortgeschritten ist, dass es bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmündet und eine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts des Erwerbers eintritt (vgl. BGHSt. 43, 177 = NJW 1997, 3453; Kühl in Lackner/Kühl StGB § 22 Rn. 8; Cornelius in BeckOK StGB § 22 Rn. 35)

Ich bin gespannt, was die obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage dazu sagen wird…

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

5 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Spannende Frage. 

Wäre das aufgrund der am Tatplan zu orientierenden Feststellung des unmittelbaren Ansetzens anders zu bewerten, wenn der Täter aufgrund vorangegangener Erfahrungen mit dem Verkäufer begründet davon ausgehen würde, dass dieser (wie früher auch) unmittelbar nach Eingang der Bestellung tätig würde, dies tatsächlich aber nicht tut?

Geht nicht jeder bei einer Bestellung davon aus, dass er die bestellte Lieferung auch tatsächlich erhält? Ansonsten würde wohl kaum einer den Kaufpreis bezahlen. Daher wäre meine Antwort: Nein, bei jeder Bestellung rechnet der Käufer grundsätzlich mit einem Versenden der Ware.

Es gibt Stimmen, die den Versuchsbeginn mit Zahlung des Kaufpreises beginnen lassen. Ich denke aber, dass es mit Blick auf die Rechtsgutsgefährung weiterhin auf das Tätigwerden des Verkäufers in Form des Versendens ankommt. 

Meiner Ansicht nach lässt sich diese Frage auf der Grundlage dem Urt. BGH v. 7.7.1994, Az.  1 StR 313/94 mit dem in die BGHSt-Sammlung gelangten Ls."...wenn der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt vom Vorbesitzer ansetzt..." negativ beantworten.

Dort heißt es zur Begründung:

 

Dem Angeklagten war bewußt, daß das Kokain erst noch aus dem Ausland beschafft werden mußte und daß dieser Vorgang mit dem Risiko des Mißlingens behaftet war. Wenn auch der Angeklagte verabredungsgemäß mit dem vereinbarten Kaufpreis in der Wohnung des Verkäufers erschien und sich dort zur Übergabe des Geldes und zur Entgegennahme des Kokains bereit hielt, so hätte es doch nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des tatbestandlichen Erwerbs auch dessen bedurft, daß der Verkäufer den Beschaffungsvorgang plangemäß bewältigt und mit der Droge am Übergabeort erscheint. Ein Stadium, in dem die Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt durch den Vorbesitzer unmittelbar bevorstand, ist bei dem vorliegenden Tatgeschehen nicht erreicht worden (vgl. auch Ruß in LK 10. Aufl. § 259 StGB Rdn. 40 für den Versuch des Verschaffens; BGHR WaffG § 53 Abs. 1 Nr. 1 b Vermitteln 1 für das versuchte Vermitteln des Erwerbs einer Schußwaffe). Das plangemäße Erscheinen nur des Angeklagten am verabredeten Übergabeort stellt unter den vorliegenden Umständen lediglich eine - straflose - Vorbereitungshandlung, aber keinen strafbaren Versuch dar. Der Schuldspruch wegen versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln kann daher nicht bestehen bleiben.

Das ist bei der Bestellung im Internet nicht anders. Die Erlangung der Verfügungsgewalt beginnt frühestens mit der Benachrichtigung über die Versendung der Drogen, spätestens mit der Benachrichtigung, dass diese abholbereit bereit lägen bzw. in den Briefkasten bzw. den Ablageort gelangen.

 

Versuchte Erwerbshandlung ab dem Zeitpunkt des Versendens ist schlüssig, aufgrund der "Stornier" Option. Somit wird der garantierte straffreie Rücktritt berücksichtigt.

Allerdings gibt es keine Verfügungsgewalt während des Versendens. Ein möglicher Rücktritt besteht theoretisch bis zum Erhalt der Ware. (Vernichtung)

Eine Verfolgung wegen "in sonstiger Weise verschaffen" könnte ich mir vostellen als "Bestellstraftat", mit Abschluss der Bezahlung.

Eine Verfolgung wegen versuchten Handel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Aufgrund der Rücktrittsgarantie aus §24 StGB - sollte der versuchte Erwerb tatsächlich erst ab Versand gelten. Eine Stornierung wäre dann noch möglich. Ein Versuch liegt erst vor nach dem Versand.

Ab Versand ist ein Rücktritt trotzdem noch möglich. Vernichtung der Ware nach Erhalt. Rechtsstaatlich wäre eine "kontrollierte" Zustellung mit Bedenkwartezeit mit anschließender Durchsuchung.

Die allgemeine Bestellung könnte als "in sonstiger Weise verschaffen" bestraft werden.

Wenn die gültigen bestehenden Gesetze angewendet werden. Dürfte der Versuch erst dann verwirklicht sein, wenn der Empfänger versucht das Päkchen in die Hand zu nehmen (danach greift). Also Verfügungsgewalt auszuüben.

Kommentar hinzufügen