NRW: Mal wieder keine einstweilige Anordnung wegen Fahrverbots durch das Landsverfassungsgericht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.08.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2058 Aufrufe

Immer wieder versuchen es Anwält*innen mit verfassungsrechtlichem Rechtsschutz auch in OWi-Sachen. Meist erfolglos. So auch hier: Erstrebt wurde nach Fahrverbotsanordnung nämlich eine einstweilige Anordnung. Die ergeht aber neben der eingelegten Verfassungsbeschwerde nur ganz ausnahmsweise, wenn vom Antragssteller genügend intensiv dargelegt wird. Dem VerfGH reichten die Darlegungen nicht. 

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 Gründe: 

 I.

 Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen eine Verurteilung zu einer Geldbuße von 140 Euro nebst einmonatigem Fahrverbot.

 1. Der Kreis L setzte gegen den Beschwerdeführer und Antragsteller mit Bußgeldbescheid vom 18. August 2020 eine Geldbuße in Höhe von 120 Euro fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an. Er habe, so der Vorwurf, am 11. Juni 2020 auf der A 46 in Fahrtrichtung Neuss als Führer eines Personenkraftwagens die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Toleranzabzug um 37 km/h überschritten. Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid ein von einem mobilen Geschwindigkeitsmessgerät des Typs „PoliScan Speed M1 HP“ erstelltes Lichtbild aufgeführt.

 Der Beschwerdeführer, der nicht bestreitet, den Wagen gefahren zu haben, legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. Sein Bevollmächtigter beantragte nach Einsichtnahme in die Bußgeldakte beim Kreis die Übersendung der Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung. Er erhielt eine CD oder DVD, auf der die Daten verschlüsselt waren, so dass er sie nicht auslesen konnte. Deshalb reichte er den Datenträger zurück und verlangte im Verfahren vor dem Amtsgericht Mettmann, an das der Vorgang inzwischen abgegeben worden war, die Übersendung lesbarer Rohmessdaten. Das Amtsgericht kam diesem Wunsch nicht nach. In der Hauptverhandlung vom 27. Juli 2021 lehnte es mehrere Beweisanträge des Beschwerdeführers ab und verurteilte ihn wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 140 Euro. Zudem verbot es ihm für die Dauer von einem Monat, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot sollte mit Abgabe des Führerscheins in amtliche Verwahrung wirksam werden, jedoch spätestens mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

 Die vom Beschwerdeführer gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 24. Januar 2022 als unbegründet.

 2. Nach Zustellung des Beschlusses des Oberlandesgerichts am 31. Januar 2022 hat der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Februar 2022 Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erhoben, die am selben Tag dort eingegangen ist. Er sieht sich durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Amtsgerichts in seinen Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Zu Unrecht sei sein Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten im Verfahren nicht erfüllt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Daten unverschlüsselt zur Verfügung zu stellen. Auch in der Zurückweisung seiner weiteren Beweisanträge liege ein Verstoß gegen seinen Anspruch auf ein faires Verfahren sowie, wegen der Nichtanwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ein Verstoß gegen das Willkürverbot.

 Nach polizeilicher Beschlagnahme seines Führerscheins am 17. Juni 2022 hat der Beschwerdeführer am 20. Juni 2022 beim Verfassungsgerichtshof beantragt, das gegen ihn erlassene Fahrverbot im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig auszusetzen. Eine solche Entscheidung sei zur Vermeidung unwiederbringlicher Nachteile gerechtfertigt.

 II.

 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Nach § 27 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof zwar eine einstweilige Anordnung treffen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Diese Voraussetzungen hat der Beschwerdeführer und Antragsteller aber nicht dargetan.

 1. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 VerfGHG ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache verfolgte oder zu verfolgende Begehren wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 12. März 2020 - VerfGH 26/20.VB-1, juris, Rn. 2, vom 11. August 2020 - VerfGH 112/20.VB-1, juris, Rn. 3, und vom 10. November 2020 - VerfGH 129/20.VB-3, juris, Rn. 10). Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss der Verfassungsgerichtshof die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die angegriffene Maßnahme im Hauptsacheverfahren jedoch später für verfassungswidrig erklärt wird, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 - VerfGH 76/20, juris, Rn. 39, vom 7. Juli 2020 - VerfGH 88/20, juris, Rn. 47, und vom 10. November 2020 - VerfGH 129/20.VB-3, juris, Rn. 10).

 Ein Antrag nach § 27 Abs. 1 VerfGHG ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 VerfGHG ordnungsgemäß zu begründen (vgl. VerfGH NRW, Beschlüsse vom 12. März 2020 - VerfGH 26/20.VB-1, juris, Rn. 3, und vom 11. August 2020 - VerfGH 112/20.VB-1, juris, Rn. 4). Die Antragsbegründung muss unter anderem darlegen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben sind. Dafür muss sie in nachvollziehbarer und hinreichend substantiierter Weise Aufschluss darüber geben, aus welchen Gründen die begehrte einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sein soll (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 12. März 2020 - VerfGH 26/20.VB-1, juris, Rn. 3, vom 11. August 2020 - VerfGH 112/20.VB-1, juris, Rn. 4, und vom 10. November 2020 - VerfGH 129/20.VB-3, juris, Rn. 11). Dazu gehört nicht nur die Darlegung eines Eilfalles, der eine einstweilige Anordnung gebietet, sondern auch die Darlegung von Umständen, aus denen sich ergibt, dass die vom Verfassungsgerichtshof vorzunehmende Folgenabwägung zugunsten der antragstellenden Person ausgehen könnte (VerfGH NRW, Beschluss vom 10. November 2020 - VerfGH 129/20.VB-3, juris, Rn. 11 m. w. N.).

 b) Ausgehend hiervon kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, weil der darauf gerichtete Antrag nicht in einer den Anforderungen des § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 VerfGHG entsprechenden Weise ausreichend begründet worden ist. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist, gibt die Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung weder hinreichend Aufschluss darüber, warum die begehrte einstweilige Anordnung vor der Entscheidung in der Hauptsache zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde dringend geboten sein soll, noch, ob die vorzunehmende Folgenabwägung zugunsten des Beschwerdeführers und Antragstellers ausgehen könnte. Aus der Antragsbegründung vom 20. Juni 2022 wird nicht erkennbar, dass schwere Nachteile im Sinne von § 27 Abs. 1 VerfGHG drohen, wenn der Führerschein des Beschwerdeführers nunmehr für einen Monat in amtlicher Verwahrung bleibt und er für einen Monat kein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen darf. Sein schlichter Hinweis darauf, die vorläufige Entscheidung sei zur Vermeidung „unwiederbringlicher Nachteile“ gerechtfertigt, genügt den Anforderungen an die substantiierte Darlegung schwerer Nachteile nicht. Er erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass die Belastung des Beschwerdeführers über vorübergehende Unannehmlichkeiten hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1995 - 2 BvR 2139/94, NJW 1995, 1541 = juris, Rn. 2 f.; siehe auch VerfGH RP, Beschluss vom 21. Juni 2021 - VGH A 39/21, NZV 2021, 481 = juris, Rn. 35, wonach bei einem zweimonatigen Fahrverbot auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist).

 2. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 VerfGHG).

VerfGH NRW Beschl. v. 21.6.2022 – VerfGH 21/22.VB-3, BeckRS 2022, 15479

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1 Kommentar

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Großen Respekt an VerfGH NRW, so etwas habe ich noch nicht erlebt und ich kann mich auch nicht erinnern, Ähnliches jemals gelesen oder gehört zu haben. Am 20. Juni 2022 beantragt der Beschwerdeführer die Aussetzung des Fahrverbots im Eilrechtsschutz und schon am nächsten Tag (Beschl. v. 21.6.2022) entscheidet der Verfassungsgerichtshof (VerfGH NRW) über den Eilantrag. An so eine Blitz-Entscheidung hätte man im Regelfall nicht einmal im Traum zu hoffen gewagt. Zumal der VerfGH NRW sich dieser ausführlich begründeten Entscheidung und deren Abwägung hätte unauffällig entziehen können, wenn er sie bis zum 1.07.2022 hinausgeschoben hätte. Dann wäre nämlich das Fahrverbot zeitlich abgelaufen und damit auch das Rechtsschutzinteresse an der Eilentscheidung. Bei der Abwägung in der Entscheidung ging es meinen Berechnungen zufolge genaugenommen nicht einmal um den ganzen Monat Fahrverbot, sondern nur um die noch verbliebenen Tage des Fahrverbots (bis Ende Juni).

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