EuGH stärkt bei Verfall und Verjährung – erster Teil „Verjährung“

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 28.09.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2378 Aufrufe

Der EuGH hat in mehreren Urteilen, allesamt ergangen auf Vorlage des BAG, die urlaubsrechtliche Stellung derjenigen Arbeitnehmer gestärkt, denen gegenüber der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist. Zum einen geht es um den möglichen Verfall und zum anderen um die Verjährung. Hier soll zunächst das die Verjährung betreffende Urteil (EuGH 22.9.2022 -C‑120/21) vorstellt werden.

In diesem Verfahren ging es um Frau TO, die vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei LB beschäftigt war. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte TO von LB für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs eine finanzielle Vergütung. LB lehnte es ab, TO den Jahresurlaub abzugelten und berief sich auf Verjährung. Das BAG ist der Ansicht, nach § 7 Abs. 3 BUrlG seien die Ansprüche von TO für die Jahre 2013 bis 2016 nicht erloschen, weil LB TO nicht in die Lage versetzt habe, ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen. Unter Heranziehung des Urteils vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, NZA 2018, 1474), wonach der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu auffordern müsse, seinen Urlaub zu nehmen, und ihn über das mögliche Erlöschen seines Anspruchs informieren müsse, sei dem Abgeltungsbegehren von TO daher grundsätzlich stattzugeben. Das BAG weist jedoch darauf hin, dass LB eine Einrede der Verjährung nach § 194 BGB erhoben hat. Der EuGH hält indes den Verjährungseinwand für unbeachtlich und formuliert wie folgt:

„Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.“

Zur Begründung führt er u.a. aus:

„Die Gewährleistung der Rechtssicherheit darf jedoch nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben, beruft, um daraus im Rahmen der auf diesen Anspruch gestützten Klage des Arbeitnehmers einen Vorteil zu ziehen, indem er einredeweise die Anspruchsverjährung geltend macht. Zum einen könnte sich der Arbeitgeber nämlich in einem solchen Fall seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten entziehen. Dies erschiene umso weniger hinnehmbar, als es bedeuten würde, dass der Arbeitgeber, der sich somit wirksam auf die Verjährung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Jahresurlaub berufen könnte, während dreier aufeinanderfolgender Jahre davon abgesehen hätte, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, diesen Anspruch tatsächlich wahrzunehmen.“

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