LAG Mecklenburg-Vorpommern: Widerlegung eines Benachteiligungsindizes

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.10.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht2|1710 Aufrufe

Die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bzw. einer Schwangerschaft ist widerlegt, wenn ausschließlich andere Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben. Gegen eine Diskriminierung spricht es, wenn jeder andere in dieser Situation - unabhängig von seinem Geschlecht oder einer Schwangerschaft - ebenso behandelt worden wäre.

Das hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschieden.

Die Klägerin war als angestellte Rechtsanwältin bei dem Beklagten beschäftigt. Im Zusammenhang mit Umstrukturierungen der Kanzlei fiel auf, dass einige elektronische Akten gelöscht worden waren. Es konnte rekonstruiert werden, dass die gelöschten Verfahren den Ehemann und die Schwiegermutter der Klägerin betrafen, diese jedoch keine Rechnungen gestellt hatte. Daraus resultierte der Verdacht, es sei die Klägerin gewesen, die die Verfahrensdaten gelöscht habe. Der Beklagte kündigte der schwangeren Klägerin fristlos, ohne eine Zustimmung nach § 17 MuSchG auch nur beantragt zu haben. Das Arbeitsverhältnis wurde später durch Eigenkündigung der Klägerin wirksam beendet. Wegen der unwirksamen Kündigung begehrt sie Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, der Verstoß gegen § 17 MuSchG indiziere iSv. § 22 AGG ihre Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb ohne Erfolg:

Die Kündigung der Klägerin hat ihre Ursache nicht in der Schwangerschaft. Die Schwangerschaft hatte keinerlei Einfluss auf den Kündigungsentschluss. Sie ist auch nicht einer von mehreren Beweggründen für den Ausspruch der Kündigung. Ausschließlicher Beweggrund für die Kündigung war die der Klägerin zugeschriebene Löschung von Verfahrensdaten in dem elektronischen Mandatsverwaltungssystem. Es bestand ein durchaus begründeter Verdacht, dass die Löschungen auf die Klägerin zurückgehen. Die Äußerungen der Klägerin hierzu waren nicht geeignet, den Verdacht auszuräumen. Weder hat sie sich aktiv um eine Aufklärung der Vorgänge in ihrem bisherigen Zuständigkeitsbereich bemüht noch hat sie sich zu den Rechtsstreitigkeiten ihres Ehemanns bzw. der Schwiegermutter konkret geäußert und zu den Vorwürfen Stellung bezogen. Ob die Vorwürfe eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätten, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung. Der Beklagte durfte jedenfalls von einer erheblichen Belastung des Vertrauensverhältnisses zur Klägerin ausgehen und eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht ziehen. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe, die ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin betreffen, war die Schwangerschaft nicht mehr von Bedeutung. Der Beklagte hätte in dieser Situation - unabhängig von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität - auch bei jeder anderen Mitarbeiterin oder jedem anderen Mitarbeiter eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. vom 16.8.2022 - 5 Sa 6/22, BeckRS 2022, 24768

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2 Kommentare

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Welches Indiz der Benachteiligung sollte denn überhaupt im Raume stehen? Die Nichteinholung der Zustimmung kann ja wohl kein Indiz sein, denn die wird ja auch bei nichtschwangeren Frauen und Männern nicht eingeholt. Oder ist auch eine Gleichbehandlung eine Benachteiligung?

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Die Dame hat, wie es sich auch der Tenorierung entnehmen lässt, geltend gemacht wegen des Geschlechts (hier wegen der Schwangerschaft) gekündigt worden zu sein. Wobei die Klägerin die Auffassung vertreten hat, dass die Mitursächlichkeit für die Kündigung in ihrer Schwangerschaft liege und sie deshalb benachteiligt wurde.

Um auf Ihre Frage zu antworten: Die Dame hat die Gleichbehandlung als Benachteiligung betrachtet, dem ist das Gericht entgegen getreten.

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