Kappungsgrenze im Sozialplan darf Schwerbehinderte nicht benachteiligen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.02.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1226 Aufrufe

Es verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Betriebsparteien in einem Sozialplan grundsätzlich die Gewährung eines zusätzlichen Abfindungsbetrags zum Ausgleich der durch eine Schwerbehinderung bedingten wirtschaftlichen Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlusts vorsehen, dessen Zahlung aber wegen einer im Sozialplan vorgesehenen Höchstbetragsregelung bei älteren schwerbehinderten Arbeitnehmern unterbleibt.

Das hat das BAG entschieden.

Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen aus einem Sozialplan zur Werkschließung. Die Abfindung berechnet sich aus einer Multiplikation von Betriebszugehörigkeit, Bruttoarbeitsentgelt und einem altersabhängigen Faktor, für schwerbehinderte Menschen zusätzlich 2.000 Euro. Der Abfindungsbetrag ist auf 75.000 Euro gedeckelt. Unter Zugrundelegung der genannten Faktoren stünden dem Kläger rechnerisch über 90.000 Euro zu. Die Beklagte hat aufgrund des "Deckels" 75.000 Euro gezahlt. Der Kläger meint, 2.000 weitere Euro beanspruchen zu können. Die Sonderzahlung für schwerbehinderte Menschen dürfe nicht durch den "Deckel" erfasst werden. In der Revisionsinstanz hatte er Erfolg:

Die Höchstbetragsregelung ist aber wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG unwirksam, soweit sie sich auf diesen zusätzlichen Abfindungsbetrag erstreckt. … Die Erstreckung der Höchstbetragsregelung auch auf den zusätzlichen Abfindungsbetrag für schwerbehinderte Arbeitnehmer hat allerdings zur Folge, dass gerade diejenigen schwerbehinderten Arbeitnehmer keinen spezifischen Ausgleich für die durch ihre besondere Situation bedingten wirtschaftlichen Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlusts erhalten, bei denen diese – von den Betriebsparteien grundsätzlich als ausgleichsbedürftig angesehenen – Nachteile in besonderem Maß eintreten können. … Die besonderen wirtschaftlichen Nachteile der von der Betriebsschließung betroffenen schwerbehinderten Arbeitnehmer … können jedoch regelmäßig gerade bei den älteren von ihnen entstehen. Ihr Risiko, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes keine Anschlussbeschäftigung zu finden, ist im Allgemeinen größer (…). So ist die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit bei schwerbehinderten Menschen ab 55 Jahren im Schnitt nur halb so hoch wie bei den 25- bis 54-Jährigen in dieser Gruppe (…). Zudem erhöhen sich in der Regel mit zunehmendem Alter auch die unabweisbaren finanziellen Aufwendungen, denen schwerbehinderte Personen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind (…).Angesichts dieser Umstände rechtfertigt der Zweck der Höchstbetragsregelung die Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer bei der Zahlung des zusätzlichen Abfindungsbetrags nach Abschn. III Nr. 1 Buchst. c lit. cc SP nicht. Die – vor dem Hintergrund limitierter Sozialplanmittel – beabsichtigte Gewährleistung einer verteilungsgerechten Überbrückungshilfe für möglichst alle vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer erlaubt es nicht, diejenigen schwerbehinderten Arbeitnehmer von der Gewährung eines für den Ausgleich ihrer spezifischen Nachteile vorgesehenen zusätzlichen Abfindungsbetrags auszuschließen, bei denen diese Nachteile typischerweise eintreten können.

BAG, Urt. vom 11.10.2022 - 1 AZR 129/21, Volltext hier

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