Mutterschutz: BAG hält an 280-Tage-Rückrechnung fest

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 07.02.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1694 Aufrufe

§ 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG untersagt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Frau während ihrer Schwangerschaft. Schon unter der Geltung des § 9 MuSchG (bis Ende 2017) entsprach es ständiger Rechtsprechung des BAG, dass der Beginn der Schwangerschaft rechnerisch zu ermitteln sei, indem vom ärztlich attestierten voraussichtlichen Geburtstermin 280 Tage (10 Lunarmonate) zurückzurechnen sei (BAG 12.12.1985 – 2 AZR 82/85, NZA 1986, 613; 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049; 26.3.2015 - 2 AZR 237/14, NZA 2015, 734). Diese Auffassung ist im Schrifttum (prominent vor allem KR/Gallner § 17 MuSchG Rn. 96), zuletzt aber auch beim LAG Baden-Württemberg auf Widerspruch gestoßen. Sie lasse unberücksichtigt, dass eine Schwangerschaft typischerweise lediglich 266 Tage dauere und erstrecke den Mutterschutz damit auch auf Frauen, die bei Zugang der Kündigung noch gar nicht schwanger gewesen seien (LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 1.12.2021 - 4 Sa 32/21, NZA-RR 2022, 78).

Das BAG hält aber an seiner bisherigen Auffassung fest:

Der Senat verzichtet bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann (vgl. zu § 9 Abs. 1 MuSchG aF BAG 26. März 2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 17, BAGE 151, 189). Da sich – sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption zweifelsfrei feststeht – Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist es geboten, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Dabei werden zwar auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich, aber eben nicht generell ausgeschlossen ist. Nur diese Betrachtungsweise erstreckt den Beginn des Kündigungsverbots auf den „frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft“, während die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, wonach die „durchschnittliche“ Dauer einer Schwangerschaft von 266 Tagen maßgeblich sein soll, in Kauf nimmt, dass Arbeitsverhältnisse von schwangeren Arbeitnehmerinnen, bei denen die Konzeption bereits zu einem vor dem 266. Tag liegenden Zeitpunkt erfolgt ist, nicht vom Kündigungsverbot erfasst würden. Das wäre mit dem von der Mutterschutzrichtlinie gewollten und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gebotenen umfassenden Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen nicht zu vereinbaren.

BAG, Urt. vom 24.11.2022 - 2 AZR 11/22, BeckRS 2022, 40817

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