BayObLG zum Beginn der Strafbarkeit bei der Bestellung von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum im Internet

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 26.03.2023
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht2|3502 Aufrufe

Die Frage, ab wann man sich bei der Bestellung von Betäubungsmitteln im Internet zum Zwecke des Eigenkonsums nach dem BtMG wegen versuchten Erwerbs strafbar macht, habe ich bereits im Juni 2022 im Blog thematisiert. Meine Meinung: Versuchsbeginn tritt erst mit dem Tätigwerden des Verkäufers und dessen Versand der Betäubungsmittel ein (s. meinen Blog-Beitrag vom 3.6.2022).

Diese Auffassung hat nun auch das BayObLG vertreten (BayObLG Beschl. v. 5.12.2022 – 207 StRR 335/22, BeckRS 2022, 37871). Es hob das Urteil eines Amtsgerichts auf, das den Angeklagten u.a. wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt hatte. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, auf einer „Darknet-Plattform“ in drei Fällen jeweils 2 Gramm Kokain und in einem Fall 5 Gramm Haschisch bestellt und zugleich per Mausklick bezahlt zu haben. Dass die Betäubungsmittel zur Post gegeben worden waren oder beim Angeklagten ankamen, ist nicht festgestellt.

In den Entscheidungsgründen heißt es:

Die Urteilsgründe tragen den Schuldspruch im vorstehenden Umfang nicht, da danach nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Erwerb der Rauschmittel durch den Angeklagten jeweils im Vorbereitungsstadium steckengeblieben ist.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll; dies kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 - 5 StR 15/20 - NJW 2020, 2570, mwN).

Das von dem Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene muss zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht es im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines neuen Willensimpulses bedarf. Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2021 - 6 StR 28/21 -, juris, mwN).

Vorliegend strebte der Angeklagte den Erwerb von Betäubungsmitteln an. Der Erwerb i.S.v. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 9 BtMG ist ein Erfolgsdelikt. Der Erfolg ist eingetreten, wenn der Erwerber die tatsächliche Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, d.h. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer erlangt hat und die Verfügungsmacht ausüben kann (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 StR 416/21 -, juris; Weber, Kornprobst, Maier, Komm. z. BtMG, 6. Aufl., Rn. 1195 ff, jeweils m.w.N.).

Eine unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts in diesem Sinne setzt ein, wenn der Drogenverkäufer vereinbarungsgemäß die Ware bei der Post aufgibt. In diesem Augenblick ist nach der Vorstellung beider Vertragspartner alles geschehen, um die Tatbestandsverwirklichung herbeizuführen. Die Aufgabe der Sendung bei der Post mündet unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung ein. Zwar muss die Sendung noch vom Postzusteller dem Besteller ausgehändigt bzw. in seinen Briefkasten eingeworfen werden. Diese Maßnahme stellt aber keinen wesentlichen Zwischenschritt mehr dar, da bei ungestörtem Fortgang der Eingang der Sendung beim Adressaten eine - hier auch der Vorstellung der Vertragspartner entsprechende - regelmäßige Folge von deren Aufgabe bei der Post ist. Schließlich wäre mit einer natürlichen Betrachtungsweise des Posttransportvorgangs nicht vereinbar, die zahlreichen verschiedenen Stufen der Behandlung einer Sendung aufzugliedern und als selbständige Zwischenschritte anzusehen (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25. April 1994, 4 StRR 48/94 - juris; so auch BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 StR 416/21 -, juris).

An einer Aufgabe der bestellten Rauschmittel zur Post - oder einer vergleichbaren Situation - fehlt es jedoch bei den unter Ziff II 1 bis 4 des angegriffenen Urteils bezeichneten Fällen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu den vorgenannten Zeitpunkten auf einer „Darknet-Plattform“ jeweils 2 Gramm Kokain (Ziff. II 1 - 3) bzw. 5 Gramm Haschisch (Ziff. II. 4) bestellte und zugleich per Mausklick bezahlte, woraufhin der anderweitig Verfolgte A. die anderweitig Verfolgten B. und C. mittels E-Mail mit der Versendung des jeweiligen Rauschmittels beauftragte. Dass dieses jeweils zur Post gegeben wurde oder beim Angeklagten ankam, ist in den vorgenannten Fällen nicht festgestellt worden.

Das Amtsgericht hat zwar festgestellt, dass die Auftragserteilung „nach dem vom Zeugen D. geschilderten üblichen und ungestörten Fortgang der Dinge nach der Vorstellung beider Vertragspartner zur Verpackung des bereits vorhandenen Betäubungsmittels und Einlieferung bei der Post“ führte (UA S. 9).

Nach den gesamten Urteilsfeststellungen kann die Beauftragung der „Versandabteilung“, nämlich der anderweitig Verfolgten B. und C. durch den Haupttäter A., mit der Aufgabe der vom Angeklagten bestellten Betäubungsmittel zur Post - welche wie ausgeführt regelmäßig den Beginn des versuchten Erwerbs darstellt - jedoch gerade nicht gleichgesetzt werden. Dies würde nämlich jedenfalls voraussetzen, dass die jeweiligen Sendungen mit einer der Post vergleichbaren Sicherheit ohne weitere Zwischenschritte den Empfänger erreichten. Eben daran fehlt es: Wie sich den Urteilsfeststellungen entnehmen lässt, konnte gerade nicht festgestellt werden, dass die vier gegenständlichen Sendungen den Angeklagten erreicht haben. Das urteilsgegenständliche Geschehen (Erwerb von Betäubungsmitteln durch „Internet-Bestellungen“ des Angeklagten) setzte sich danach noch bis in den März 2021 - also über ein weiteres Jahr - fort, ohne dass der Zugang der vom Oktober 2019 bis Februar 2020 bestellten Rauschmittel beim Angeklagten feststellbar gewesen wäre. Auch wurden die Rauschmittel - anders als in den anderen entschiedenen Fällen - nicht bei der Post polizeilich sichergestellt. Damit kann auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die „Versandabteilung“ eben nicht „zuverlässig wie die Post“ arbeitete, sondern - aus welchem Grund auch immer - Sendungen zurückhielt, und dies - wie die vier Fälle beweisen - nicht nur in vereinzelten Ausnahmefällen.

Überdies bedurfte es noch der Dosierung und Portionierung der Rauschmittel, ihrer - naturgemäß den Inhalt verschleiernden - Verpackung und schließlich der Aufgabe zur Post, also weiterer Zwischenschritte in der Sphäre des Versenders. Solange aber die Rauschmittel dessen alleinigen Einflussbereich nicht verlassen haben, liegt der Beginn des Versuchs, der zur tatsächlichen Verfügungsmacht des Käufers führen soll, nicht vor. Dies gilt auch, wenn der Versender arbeitsteilig mit Anderen zusammenarbeitet.

Das Urteil war daher hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 9, Abs. 2 BtMG, 22, 23 StGB) hinsichtlich der Taten vom 10. Oktober 2019 (Urteilsgründe Ziff. II, 1.), 18. Februar 2020 (Ziff. II, 2), 03. Februar 2020 (Ziff. II, 3) und 06. Februar 2020 (Ziff. II, 4) einschließlich der diesbezüglichen Feststellungen aufzuheben und die Sache an einen anderen Amtsrichter des Amtsgerichts Freising zurückzuverweisen.

Ein diesbezüglicher Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Feststellungen, insbesondere betreffend die Aufgabe der bestellten Rauschmittel zur Post z.B. durch die Einvernahme der anderweitig Verfolgten A., B. und C., doch eine Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten belegen. Allerdings liegt eine Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO nach Auffassung des Senats nicht fern.

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2 Kommentare

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Kommt aber erst einmal auf die Vorstellung des Täters an. Wenn er meint, dass die Versendungzwingend auf den Eingang der Bestellung folgt, ist der Versuch mit Absenden beendet. Das Gericht versäumt mE die Vorstellung des Täters zu untersuchen. Vielleicht hat er ja auch daran gezweifelt, dass alles "klappr". Dann kein Versuch oder?

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Bei keiner Bestellung im Online-Handel dürfte der Käufer davon ausgehen, dass die bestellte Ware sofort nach der Bestellung versandt wird. Selbst bei einem großen, gut organisierten und weltweit legal agierenden Online-Händler weiß jeder, dass zwischen Bestellung und Versand einige Zeit (teilweise mehrere Tage) vergeht. Dies gilt umso mehr beim eher undurchsichtigen Geschäftsgebahren von Online-Shops im Darknet.

Selbst wenn es so wäre, wäre es eher unklug, solch eine Einlassung abzugeben...

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