Erhöhtes Mindestmaß der Sperre fälschlicherweise angenommen: Aufhebung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.05.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|961 Aufrufe

Das LG hatte einen Angeklagten, der möglicherweise unterzubringen war - die Unterbringung hat es rechtsfehlerhaft geprüft. Aus Sicht des verkehrsrechtlichen Blogbereichs aber interessanter ist die Aufhebung im Bereich des Maßregelausspruchs "Sperre nach § 69a StGB" - das Gericht hatte nämlich fälschlicherweise eine erhöhte Minestsperrfrist von einem Jahr angenommen:

 

 

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 28. März 2022 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im
Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit
mit „Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag“ sowie wegen Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, „unerlaubten“ Veräußerns von Betäubungsmitteln und wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Außerdem hat es die
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und die
Vollstreckung von Gesamtfreiheitsstrafe und Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem
Jahr und zehn Monaten angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2
StPO).

I.
Das Landgericht hat – soweit hier von Relevanz – folgende Feststellungen
und Wertungen getroffen:
Der zum Urteilszeitpunkt 40-jährige Angeklagte konsumierte seit seiner
Jugendzeit Alkohol, Cannabis und Crystal. Ein stationärer Therapieversuch Ende
2019 wurde nach wenigen Tagen abgebrochen und der Angeklagte setzte den
Cannabis- und Crystalkonsum fort. Seit April 2021 „hat der Angeklagte nach seinen Angaben nicht mehr konsumiert, weil er dies seiner Lebensgefährtin versprochen habe“. Zum Zeitpunkt der Taten (Tatzeitraum November 2017 bis November 2019) ist das Landgericht – der psychiatrischen Sachverständigen folgend –
von einem „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol, Methamphetamin und Cannabis“
ausgegangen. Die Maßregelanordnung hat es u.a. damit begründet, dass bei
dem Angeklagten eine „Suchtmittelabhängigkeit“ und damit ein Hang i.S.d. § 64
StGB vorliege. Zur Begründung der Erfolgsaussicht der Maßregel hat es (lediglich) ausgeführt, dass die konkrete Aussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB bestehe, den Angeklagten zumindest über einen erheblichen Zeitraum vor suchtbedingtem Alkoholkonsum zu bewahren und damit das Ausmaß der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit deutlich herabzusetzen.
Darüber hinaus hat die Kammer den Angeklagten unter Heranziehung der
Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen angesehen. Zur Begründung der Bemessung der verhängten
Sperrfrist von einem Jahr und zehn Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hat das Landgericht u.a. einschlägige Vorstrafen und die – neben der Verwirklichung von § 316 StGB festgestellte – tateinheitliche Begehung weiterer
Verkehrsdelikte herangezogen. Außerdem hat es ausgeführt, dass „unter weiterer Berücksichtigung der Mindestsperrfrist von einem Jahr gem. § 69a Abs. 3 StGB“ die festgesetzte Frist auch erforderlich sei, damit es dem Angeklagten gelinge, seine charakterliche Reife zurückzugewinnen.

II.
Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann nicht
bestehen bleiben. Die Voraussetzungen des Hanges und der Erfolgsaussicht
sind nicht hinreichend belegt.
1. Zum Vorliegen eines Hanges i.S.d. § 64 StGB hat die Strafkammer lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine „Suchtmittelabhängigkeit“ und
damit eine ihn treibende Neigung, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu
nehmen, vorliege. Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
Während sich die Frage der Schuldfähigkeit auf den Tatzeitpunkt bezieht,
muss der Hang i.S.d. § 64 StGB zum Urteilszeitpunkt bestehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2019 – 2 StR 599/18, juris Rn. 15 und vom 1. März
2001 – 4 StR 36/01, juris Rn. 8). Sein Vorliegen zu diesem Zeitpunkt muss sicher
festgestellt sein. Zweifel wirken sich zugunsten des Angeklagten aus und stehen
einer Maßregelanordnung entgegen (Cirener in LK-StGB, 13. Aufl., § 64 Rn. 53).
Zwar ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen,
dass das Landgericht – der psychiatrischen Sachverständigen folgend – zum
Zeitpunkt der Taten (Tatzeitraum November 2017 bis November 2019) von einem
„Abhängigkeitssyndrom von Alkohol, Methamphetamin und Cannabis“ ausgegangen ist. Dagegen ist eine die Voraussetzungen eines Hanges zum Urteilszeitpunkt am 28. März 2022 tragende Überzeugungsbildung der Strafkammer nicht
dargetan. Vielmehr hat sich das Landgericht nach den getroffenen Feststellungen auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten davon überzeugt, dass
dieser seit April 2021 keinen Cannabis- und Crystalkonsum mehr betrieben hat.
Zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen eines Hanges im Bezug auf etwaigen Alkoholkonsum zum Urteilszeitpunkt verhalten sich die Urteilsgründe
nicht.

2. Die lediglich Teile des Gesetzeswortlauts wiedergebenden Ausführungen zur Erfolgsaussicht der Maßregel sind unzureichend. Denn sie lassen eine Benennung der durch das Tatgericht als prognostisch bedeutsam bewerteten
Umstände ebenso wie deren eigenverantwortliche Würdigung vollständig vermissen. Dies ist rechtsfehlerhaft.
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 64 Satz 2 StGB
nur angeordnet werden, wenn die hinreichend konkrete Aussicht besteht, den
Verurteilten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1
oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den
Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für
die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete
Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren und unbedingten
Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung genügt hierfür nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2022 – 5 StR 130/22, juris Rn. 10). Damit das Revisionsgericht prüfen kann,
ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht,
bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch den Tatrichter als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober
2015 – 5 StR 422/15, juris Rn. 3 und vom 4. November 2014 – 4 StR 467/14, juris Rn. 7 mwN) in den Urteilsgründen. Dieser Anforderung wird das angefochtene
Urteil auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht gerecht. Angesichts dessen fehlt es folglich auch vollständig an einer eigenen Würdigung der für prognostisch relevant bewerteten Umstände
durch das Landgericht.
Der Senat hebt das Urteil im Maßregelauspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf, um der zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufenen
Strafkammer widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

III.
1. Der Maßregelausspruch über die Verhängung einer Sperrfrist für die
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis war ebenfalls aufzuheben. Bei der Bemessung der Sperrfrist ist die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem Mindestmaß
von einem Jahr gemäß § 69a Abs. 3 StGB ausgegangen.
Die Strafkammer hat den Angeklagten unter Heranziehung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB – insoweit rechtsfehlerfrei – als ungeeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen. Jedoch ergeben sich die von der
Strafkammer angenommenen Voraussetzungen des § 69a Abs. 3 StGB nicht
aus den Urteilsgründen, da die Anordnung einer Sperre in den letzten drei Jahren
vor der Tat nicht ersichtlich ist. Angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf
das rechtsfehlerhaft angenommene erhöhte Mindestmaß der Sperre kann der
Senat nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, und hebt
deshalb auch insoweit das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen auf.

2. Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung im Übrigen keine Rechtsfehler zu seinem
Nachteil ergeben hat.

3. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs seiner Revision ist es nicht
unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO)

BGH, Beschl. v. 1.3.2023 - 4 StR 349/22

 

 

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