Pflegezeitgesetz tritt in Kraft
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Am 1. Juli 2008 tritt die Reform der sozialen Pflegeversicherung in Kraft. Damit steigen die Beiträge von 1,7% auf 1,95% bzw. für kinderlose Versicherte ab Vollendung des 23. Lebensjahres von 1,95% auf 2,2%. In arbeitsrechtlicher Hinsicht von Interesse ist v.a. das neue Pflegezeitgesetz: Es eröffnet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern. Dazu verschafft das Gesetz den Beschäftigten zwei verschiedene Ansprüche auf Freistellung von der Arbeit: Erstens haben sie („kurzzeitige Arbeitsverhinderung“, § 2 PflegeZG) das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Zweitens können sie, wenn sie in einem Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten tätig sind, für die Dauer von bis zu sechs Monaten Freistellung von der Arbeit verlangen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen („Pflegezeit“, § 3 PflegeZG). Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht während der Freistellung nicht, es sei denn, dass dies anderweitig (etwa tarifvertraglich) geregelt wäre. Sowohl während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung als auch während der Pflegezeit besteht ein an § 9 MuSchG, § 18 BEEG angelehnter Sonderkündigungsschutz (§ 5 PflegeZG).
Die große Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe lässt arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen schon jetzt erahnen, z.B.
- Was ist eine „akut auftretende Pflegesituation“ (§ 2 Abs. 1 PflegeZG)?
- Wann ist die kurzzeitige Arbeitsverhinderung i.S. von § 2 PflegeZG „erforderlich“? Ist die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub ein milderes und daher vorrangiges Mittel?
- Was ist ein „wichtiger Grund“ i.S. von § 4 Abs. 1 PflegeZG?
- Wann ist die häusliche Pflege dem Beschäftigten „unmöglich“ oder „unzumutbar“ (§ 4 Abs. 2 PflegeZG)?
Wegen der jeweils nur kurzen Zeiträume (10 Tage bzw. sechs Monate) ist effektiver Rechtsschutz jeweils nur im Wege der einstweiligen Verfügung zu erlangen. Dies ist schon im arbeitsgerichtlichen, mehr aber noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren um den Sonderkündigungsschutz nach § 5 PflegeZG problematisch und kann praktisch eine Verweigerung des Rechtsschutzes zur Folge haben.
Literatur: Preis/Weber, Der Regierungsentwurf eines Pflegezeitgesetzes, NZA 2008, S. 82 ff.; Müller, Das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und seine Folgen für die arbeitsrechtliche Praxis, BB 2008, S. 1058 ff.; Freihube/Sasse, Was bringt das neue Pflegezeitgesetz!?, DB 2008, S. 1320 ff.