"Mord verjährt nie; dazu muss das Prozessrecht passen" - Nochmals zur Bundesratsinitiative zur Reform des Wiederaufnahmerechts
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Zum Hintergrund
Vor 15 Jahren wurde eine Mutter von drei Kindern in einer Düsseldorfer Videothek mit einem Paketklebeband erstickt. Der Tatverdächtige wurde mangels Beweisen rechtskräftig freigesprochen. Der Witwer hat bis heute die Tat nicht verarbeitet. Im Jahr 2006 konnten allerdings DNA-Spuren auf dem Klebeband den Tatverdächtigen zugeordnet werden (näher Jürgen Dahlkamp im SPIEGEL Nr. 47 vom 17.11.2008 S. 94 ff). Ein Wiederaufnahmegrund zuungunsten des Freigesprochenen nach § 362 StPO bildet dieser Umstand jedoch nicht. Schon einmal wurde auf die Problematik im Blog hingewiesen.
BR-Drs 16/7957
Deshalb brachte die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg: "Mord verjährt nie; dazu muss auch das Prozessrecht passen."
Das Problem
Den Grundsatz der Einmaligkeit des rechtskräftigen Urteils (ne bis in idem) enthält Art. 103 Abs. 2 GG. Die ein grundrechtsgleiches Recht enthaltende Regelung (BVerfGE 9, 89, 96) umfasst aber nur die eine Seite: Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. Der Grundsatz geht aber weiter, weil auch der Freigesprochene nicht noch einmal vor Gericht gestellt werden darf. Durchbrochen wird der Grundsatz allerdings durch § 362 StPO . Die h.M. begründet dies mit immanenten Schranken der verfassungsrechtlichen Regelung als Rechtfertigungsgrund für die Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils zum Nachteil des Angeklagten (BVerfGE 3, 248, 251 ff). Der Begründungsansatz dafür und die Einzelheiten sind bis heute allerdings erstaunlich unklar (näher KMR/Eschelbach StPO § 362 Rn. 46 ff). Weiterhin: Kann das Wiederaufnahmerecht konkret bezogen auf den geschilderten Einzelfall rückwirkend geändert werden? Wenn nicht, bliebe dem Witwer als letzte Möglichkeit eine Schadenersatzklage wegen der erlittenen Folgen gegen den Tatverdächtigen. Der deliktische Anspruch ist zumindest noch nicht verjährt.