Verletzung der Menschenwürde durch RTL Nachrichtensendungen?
Gespeichert von Prof. Dr. Marc Liesching am
Bereits durch Urteil vom 6.2.2007 (Az.: 7 A 5470/06) hatte das VG Hannover eine Beanstandungsverfügung der zuständigen Landesmedienanstalt gegen den Sender RTL wegen Verletzung der Menschenwürde bestätigt. Der Sender hatte im Rahmen der Nachrichten- bzw. Nachrichtenmagazinsendungen „Punkt 12", „RTL-aktuell" und „explosiv" am 30.11.2004 sowie „RTL Nachtjournal" am 01.12.2004 inhaltlich ähnliche Beiträge ausgestrahlt, welche die Misshandlung eines pflegebedürftigen 91-jährigen Mannes durch die Tochter seiner verstorbenen Lebensgefährtin, der seine Pflege und Betreuung übertragen war, zeigen.
Nunmehr hat das OVG Lüneburg die Berufungzulassung hiergegen durch Beschluss vom Beschluss vom 20.10.2008 (Az.: 10 LA 101/07) zurückgewiesen. Dabei wird nicht nur auf die Berechtigung von entsprechenden Ausstrahlungen aufgrund des Berichterstattungsinteresses eingegangen sondern auch auf Verfahrensfragen der Beschlussfindung durch das Organ der Kommissio für Jugendmedienschutz. Wie wesentlichen Entscheidungsinhalte können wie folgt zusammengefasst werden:
1. Der Bescheid einer Landesmedienanstalt ist formell nicht schon deshalb unrechtmäßig, weil der Prüfausschuss der KJM im Rahmen des Umlaufverfahrens entschieden hat und eine Präsenzprüfung nicht stattgefunden hat. Eine Präsenzprüfung ist im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 VwVfG immer dann nötig, wenn einer gemeinsamen Beratung nach dem Zwecke oder Zusammenhang einer Regelung besondere Bedeutung zukommt. Bei der vorliegenden von der KJM geprüften Fall ist eine solche besondere Bedeutung nicht anzunehmen.
2. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV sind unbeschadet strafrechtlicher Verantwortung Angebote unzulässig, die gegen die Menschenwürde verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt.
3. Werden Bilder, in denen ein alter, hilfsloser Mann Misshandlungen und Beleidigungen durch seine Altenpflegerin ausgesetzt war, in ausgedehnter Länge im Rahmen von Nachrichten- und Magazinsendungen ausgestrahlt, sind sie auch dann unzulässig, wenn sie das Ziel vor Augen haben, bestehende Missstände im Altenpflegebereich aufzuzeigen und zu kritisieren.
Die ausführlichen Entscheidungsgründe zu
OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.10.2008; Az.: 10 LA 101/07
VG Hannover, Urteil vom 6.2.2007 (Az.: 7 A 5470/06)
Die schwierige Frage, wann Berichterstattungsinteresse und Informationsbedürfnis auch menschenwürdeverletzende Darstellungen erlauben, stellt sich im Übrigen aufgrund § 5 Abs. 6 JMStV auch bei entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten im Hinblick auf deren Sendeplatzierungen. Ungeachtet der stets notwendigen Einzelfallbewertung bedarf es meines Erachtens für die Zukunft verstärkter Kriterienbildung, um dem Spannungsverhältnis zwischen Jugendschutz und Medienfreiheit rechtssicherer als bislang Rechnung tragen zu können.