München ist laut polizeilicher Kriminalstatistik relativ sicher. Aber woran liegt´s?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Auf Spiegel Online ist heute die Sicherheit in München Thema. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik ist die Häufigkeitszahl (also die Anzahl der von der Polizei in München registrierten Delikte je 100.000 Personen der Wohnbevölkerung ab 8 Jahren) in M seit Jahren im Vergleich zu anderen Großstädten tatsächlich auffallend niedrig, sie liegt bei ca. 8500.
Frankfurt mit 16000, Hamburg mit 13500, Berlin mit 14500 und Köln mit 14000 (alles gerundete Zahlen, Quelle: BKA) haben alle eine weit höhere Häufigkeitszahl.
Der von Spiegel Online befragte Konrad Gigler, Leitender Kriminaldirektor im Polizeipräsidium München nennt auch einige der möglichen Gründe:
München habe (im Stadtgebiet) keinen Flughafen und keinen Hafen, München gebe viel für Soziales aus, die Arbeitslosenquote sei vergleichsweise niedrig. Als entscheidend werden aber zwei weitere Punkte angeführt: Erstens die Polizeiorganisation, die dazu führe, dass in M wesentlich mehr Streifenpolizisten auf der Straße präsent seien und zweitens die Sozialkontrolle der Münchner, die sich etwa darin zeige, dass Jugendlichen, die ihre Füße auf die Sitzbank legten, auch einmal entgegengetreten würde - im Unterschied zu den nördlichen Bundesländern, bei denen dies aus falsch verstandener Liberalität nicht geschehe.
Der blog criminologia aus Hamburg lästerte sogleich zurück:
„Haben wir im Norden jetzt nur die Falsche Polizeistrategie, oder brauchen wir Nachhilfe in Sachen Toleranz und Offenheit? Denn in München weiss man anscheinend was Freiheit bedeutet, nämlich Sicherheit. Ich weiss nicht wie es anderen geht, aber ich fühle mich durch starke Polizeipräsenz weder frei noch sicher."
Dieser Kommentar ist allerdings zweischneidig, denn immerhin ist man in Hamburg - wenn man die Statistik zum Ausgangspunkt nimmt - einem weit höheren Risiko strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, und Strafrecht ist schließlich auch „Kontrolle".
Ich möchte den Artikel auf andere Weise kommentieren: Die Statistik zeigt nur das Hellfeld, das in ca. 80 bis 90 % der Fälle durch die Anzeigenerstattung der Bürger bestimmt wird. Dass München eine niedrige Anzeigequote hat, kann aber an zweierlei liegen, nämlich einerseits daran, dass tatsächlich weniger Delikte begangen werden („Sicherheit") und andererseits daran, dass die Münchener aus bayerischer „Liberalität" gerade keine Strafanzeige erstatten bzw. die Münchener Polizei nicht anzeigeaufnahmefreudig ist. Es besteht keine Möglichkeit, aus der Kriminalstatistik selbst zu erfahren, ob die niedrigen Hellfeldzahlen auch ein entsprechend niedriges Dunkelfeld bedeuten oder ob nur das bestehende Dunkelfeld weniger ausgeschöpft wird.
Es gilt noch mehr Fragezeichen an die im Spiegel-Artikel geäußerten Vermutungen und Deutungen anzubringen: Das subjektive Sicherheitsgefühl hat mit der Kriminalstatistik wenig zu tun, deshalb sollte man nicht Maßnahmen, die dem „Sicherheitsgefühl" dienen sollen, mit der Statistik in Zusammenhang bringen. Vermehrte Streifentätigkeit müsste eigentlich eine stärkere Ausschöpfung des Dunkelfelds mit sich bringen, also höhere, nicht unbedingt niedrigere polizeistatistische Zahlen. Gerade dass die Polizei schnell da ist, wird ja regelmäßig dazu führen, dass auch eine Strafanzeige aufgenommen wird. Ich würde - neben den genannten Unterschieden in der Anzeigetätigkeit - vermuten, dass für die niedrige Häufigkeitszahl in München insbesondere strukturelle Gründe vorliegen: Solche sozioökonomischer Art, wie sie ja auch im Artikel erwähnt werden und solche der Alters- und Beschäftigungsstruktur der Bevölkerung. Aber vielleicht haben die Blog-Leser ja noch eine Idee oder Vermutung?