Strafbarkeit von Schwarzfahren im ÖPNV - das Strafrecht stößt an seine Grenzen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Seit gestern findet drüben im lawblog eine Debatte über diesen Artikel im Berliner Tagesspiegel statt.
Danach sitzen 155 der 480 Gefangenen in der JVA Plötzensee eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, die auf eine Verurteilung nach § 265 a StGB zurückgeht – d.h. es handelt sich um Personen, die (meist notorisch) in Bussen und U-Bahnen schwarz fahren, die ergangene Geldstrafe nicht zahlen, das Programm „Schwitzen satt Sitzen (Ersatzarbeitsstunden) nicht nutzen (wollen oder können) und nun im Vollzug der Freiheitsstrafe den Steuerzahler ca. 80 Euro am Tag kosten. Sicherlich ist das zunächst ein lokales Problem, mit dem Berlin und andere Großstädte sehr viel stärker zu kämpfen haben als die meisten Regionen Deutschlands, und sicher ist die Quote in Plötzensee nicht auf andere Anstalten oder gar auf die gesamte Gefangenenpopulation hochzurechnen, aber 155 an einem Stichtag in Berlin bedeutet vermutlich eine vierstellige Zahl im Jahr .
Es ist ein Problem, das die Grenzen des Strafrechts plastisch zeigt und das dringend einer Lösung bedarf.
Ein erster Ansatzpunkt ist die m.E. fragwürdige, allerdings vom BVerfG (BVerfG 2 BvR 1907/97 = NJW 1998, 1135) für verfassungsgemäß gehaltene Subsumtion des „Erschleichens“ auf Verhaltensweisen, die sich, bei fehlenden Zugangskontrollen im ÖPNV einfach dadurch äußern, dass der Betreffende schlicht „nicht zahlt“, sich aber sonst „ganz normal“ verhält. Worin dann das „Erschleichen“ bestehen soll, erscheint mir trotz der Wertung des BVerfG und der herrschenden Rechtsprechung in er Tat fraglich. Wo liegt hier die Betrugsähnlichkeit? Wird hier nicht bloßes vertragswidriges Verhalten, ein Nichthandeln, bestraft? (edit: siehe dazu auch schon diesen Beitrag hier im Blog)
Sicher ist aber, dass das Delikt am untersten Rand der Unrechtsbewertung liegt.
Jede erhebliche Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit durch Kraftfahrer verwirklicht m. E. größeres Unrecht, wird aber nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt.
Hier zeigt sich doch, dass Strafrecht mit seiner härtesten Sanktion, der Freiheitsstrafe, einfach nicht mehr seine Funktion erfüllen kann; die dort Einsitzenden wurden und werden nicht abgeschreckt und werden auch keineswegs gebessert. Ich vermute, schon die erste Fahrt von Plötzensee nach Hause (wenn es denn ein Zuhause gibt), erfolgt ohne Bezahlung. Und: Wer nur eine Woche sitzt, dem könnte der Staat für dasselbe Geld eine Jahreskarte finanzieren.
Ließe sich das Problem weitgehend ähnlich lösen wie etwa die Gebührenbefreiung der GEZ unter bestimmten sozialen Aspekten: Ist die Freifahrt für Hartz IV-Empfänger wirklich so undenkbar? In Zürich soll so ein Modell gelten.