Rotlichtverstoß: Frühstarter und fehlende abstrakte Gefährdung
Gespeichert von Carsten Krumm am
Der "Frühstarter" ist eine feste Kategorie der qualifizierten (1-Sekunden-) Rotlichtverstöße. Die Rechtsprechung ist aber offenbar immer weniger bereit, hier vom (Regel-)Fahrverbot abzusehen. Hierzu hat mir Herr RiOLG Dr. Gieg (Vielen Dank an dieser Stelle!) eine Entscheidung des OLG Bamberg (Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 29. 06. 2009 - 2 Ss OWi 573/09) zugemailt. Der Betroffene hatte echtes Glück, weil eine fehlende abstrakte Gefährdung angenommen wurde:
"...Das AG hat den Betr. wegen einer am 19.08.2008 innerorts fahrlässig begangenen Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotphase (sog. qualifizierter Rotlichtverstoß) zu einer Geldbuße von 125 € verurteilt sowie gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Der Betr. befuhr gegen 10.34 Uhr mit seinem Pkw die K.-Straße in südlicher Richtung, wobei er beabsichtigte, an der Kreuzung zur L.-Straße rechts in Richtung Bad L. abzubiegen. Hierzu ordnete er sich auf der Rechtsabbiegerspur ein und kam als erstes Fahrzeug an der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, die sowohl für den Geradeausverkehr als auch für den Rechtsabbiegeverkehr Rotlicht anzeigte, zum Stehen. Als die Ampel für den Geradeausverkehr auf grün wechselte, bog der Betr. nach rechts in die L.-Straße ab, obwohl die für Rechtsabbieger geltende Lichtzeichenanlage mit Rotpfeil für Rechtsabbieger bereits seit 42 Sekunden Rotlicht anzeigte. Das Rechtsabbiegerrotlicht dient an dieser Stelle dem Anhalten des Verkehrs, der ansonsten unmittelbar nach dem Rechtsabbiegen vor einem Bahnübergang zum Stehen kommen würde. Ein Fußgängerübergang entlang der K.-Straße über die L.-Straße ist an der betreffenden Stelle nicht vorgesehen. Querverkehr der L.-Straße wird, wenn wie vorliegend der Geradeausverkehr auf der K.-Straße durch Grünlicht freigegeben ist, durch Rotlicht angehalten. Gleiches gilt für Linksabbieger aus dem Gegenverkehr der K.-Straße. Die Rechtsbeschwerde des Betr. führte zum Wegfall des Fahrverbots.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch richtet, hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III OWiG). Hingegen rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer i.S.d. § 25 I 1 StVG im konkreten Fall nicht, weil aufgrund der Besonderheiten hier kein Regelfall gemäß Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs (§ 4 I 1 Nr. 4 BKatV) gegeben ist. 1. Der Verordnungsgeber hat die in § 4 I 1 BKatV bestimmten Pflichtverletzungen als besonders grob gekennzeichnet. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 4 I 1 Nrn. 1 bis 4 BKatV indiziert deshalb das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 I 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGHSt 38, 125/134). Von der Anwendung der Bußgeldkatalog-Verordnung kann nur in solchen Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betr. so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist, wie dies etwa in Fällen mit denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert oder bei möglichen Ausnahmeumständen persönlicher Art der Fall sein kann (BayObLGSt 1994, 56; 100/101; 1996, 3/4 f.). 2. Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalles entgegenstehen und insbesondere die Verhängung eines Fahrverbots als unangemessen erscheinen lassen. Gerade beim sog. ‚qualifizierten’ Rotlichtverstoß gemäß Nr. 132.2 BKat sind Fallgestaltungen denkbar, die kein besonders verantwortungsloses Verhalten im Sinne einer groben Pflichtverletzung gemäß § 25 I 1 StVG erkennen lassen (BayObLG DAR 1994, 370 m.w.N.). 3. Zwar kann nach stRspr. des OLG Bamberg auch der Umstand, dass der Betr. – wie hier - als sog. ‚Frühstarter’ aufgrund einer momentanen Fehlentscheidung seine Fahrt ungeachtet der für seine Fahrtrichtung Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage fortgesetzt hat, einen derartigen Ausnahmefall grundsätzlich nicht begründen. Eine derartige verbotswidrige Fahrweise eines Betr. ist grundsätzlich in gleicher Weise gefährlich wie die eines schlichten Nachzüglers. Darauf, dass ein derartiges fahrlässiges Verhalten mit guten Gründen nicht zugleich als rücksichtslos zu qualifizieren wäre, kommt es nicht an, solange aufgrund der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit im Bereich einer innerstädtischen Kreuzung von einem groben Pflichtenverstoß auszugehen ist, für den es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (OLG Bamberg DAR 2008, 596 f. = OLGSt BKatV § 4 Nr. 7 = VRR 2008, 433 f. m. Anm. Gieg). Hier hat das AG jedoch besondere, über ein bloßes Augenblicksversagen des Betr. hinausgehende Umstände festgestellt, die es rechtfertigen, von der Verhängung eines Fahrverbotes ausnahmsweise abzusehen. a) Nr. 132.2 BKat will vorrangig den Kraftfahrer erfassen, der bewusst das Gelblicht missachtet, weil er hofft, notfalls unter Erhöhung der Geschwindigkeit, noch bei spätem Gelb oder zumindest bei frühem Rot die Haltelinie passieren und die Kreuzung überqueren zu können. Ein solches Verhalten, das zu besonders schwerwiegenden Rotlichtverstößen führen kann, wollte der Verordnungsgeber nicht nur dann schärfer ahnden, wenn eine konkrete Gefährdung oder Sachbeschädigung eintritt (Nr. 132.1 BKat), sondern auch dann, wenn die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauert (Nr. 132.2 BKat), weil in der letzten Fallgruppe eine abstrakte Gefährdung zu unterstellen ist. Der Querverkehr (insbesondere auch Fußgänger) kann sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden (vgl. unter Hinweis auf die amtl. Begründung BayObLG NZV 1994, 370 m. Anm. Scheffler NZV 1995, 214 ff. = DAR 1994, 367 f. = NJW 1994, 2908 = VRS 87, 380 ff. = VerkMitt 1995, Nr. 45).
b) Im vorliegenden Fall dient das Rechtsabbiegerrotlicht allerdings nicht dem Schutz des Querverkehrs, sondern hat ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion dahingehend, dass Rechtsabbieger daran gehindert werden sollen, unmittelbar nach dem Abbiegen an einem geschlossenen Bahnübergang erneut zum Stehen zu kommen, um offensichtlich dadurch einen den Kreuzungsbereich blockierenden Rückstau zu vermeiden. Auch befindet sich in Fahrtrichtung des Rechtsabbiegers kein Fußgängerübergang, und der Querverkehr wie auch der aus Gegenrichtung des Betr. kommende Linksabbiegerverkehr ist durch das für den Geradeausverkehr geschaltete Grünlicht angehalten. Unter diesen Umständen ist eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere des Querverkehrs, durch den vom Betr. begangenen Verkehrsverstoß nahezu auszuschließen. Eine konkrete Gefährdung wurde vom AG nicht festgestellt. Entgegen der Auffassung des AG ist der hier nach den Feststellungen auf Unachtsamkeit des Betr. beruhende Verkehrsverstoß in Form der Verwechslung der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage auch subjektiv als Augenblicksversagen gerade nicht als gravierend im Sinne einer verkehrsfeindlichen, die Verhängung eines Fahrverbots gebietenden Gesinnung einzustufen. Ein der gesetzlichen Vorbewertung entsprechender grober Pflichtenverstoß des Betr. ist den Feststellungen des AG damit nicht zu entnehmen...."
Ich empfehle hierzu (Vorsicht: Werbung!): Das Fahrverbot in Bußgeldsachen, § 5 Rn. 79 - 95 - demnächst 2. Aufl. 2010.