Kündigung wegen geringfügiger Verfehlungen - Gedanken zweier Psychologen
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Frikadellen, Maultaschen, Brotaufstrich, Handy im Büro aufladen - derzeit scheint kein Vorfall zu geringfügig, um Arbeitgebern einen Grund zu liefern, sich von oftmals langjährig bei ihnen beschäftigten Mitarbeitern zu trennen. Interessant ist neben der juristischen Bewertung solcher Fälle die psychologische Erklärung solcher Verhaltensmuster. In einem Gastbeitrag für den "Management-Blog" des Handelsblatts befassen sich die Psychologen Volker Kitz und Manuel Tusch mit dieser Thematik. Die Kernaussagen lauten auszugsweise wie folgt: "Der so genannte `psychologische Arbeitsvertrag´ erklärt das Verhalten beider Seiten. Er bezeichnet die ungeschriebenen Erwartungen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer aneinander haben und die das Arbeitsleben für sie gerecht machen. Der Mitarbeiter erwartet etwa von seinem Arbeitgeber mehr, als dass er nur jeden Monat pünktlich das Gehalt überweist, das im schriftlichen Arbeitsvertrag vereinbart ist – zum Beispiel: dass die Höhe dieses Gehalts in einem gerechten Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht. Dass er Anerkennung erhält, dass er höflich und menschlich behandelt wird. Wenn die unausgesprochenen Hoffnungen enttäuscht werden, wenn eine Seite meint, dass dieses Gleichgewicht des psychologischen Arbeitsvertrags nicht mehr stimmt – dann passt diese Seite die Situation an. Eine solche Anpassung kann für den Mitarbeiter darin bestehen, dass er seine Leistung reduziert – oder eben das Gleichgewicht dadurch wieder herzustellen versucht, dass er sich sein Gehalt durch „persönliche Gewinnmitnahmen“ eigenmächtig aufbessert. Obwohl jeder weiß, was Diebstahl ist und dass er sogar strafbar ist, wird dieses Wissen dann durch einen Robin-Hood-Impuls überlagert: Eine an sich unrechte Handlung scheint nötig, um der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen. Umgekehrt kann sich dann das Gleiche abspielen: Wer einen langjährigen Mitarbeiter per Bagatellkündigung entlässt, will einen tiefer liegenden Missstand beheben. Denn auch aus Sicht des Chefs kann der psychologische Arbeitsvertrag verletzt sein: Er erwartet seinerseits vom Mitarbeiter mehr, als dass der nur die im Arbeitsvertrag vereinbarte Zeit auf seinem Bürostuhl absitzt. Er erwartet, dass er engagiert arbeitet, sich in die Hierarchien einfügt, das Unternehmenswohl im Blick hat und nicht nur an sich selbst denkt. Wenn der Mitarbeiter diese Erwartungen nicht erfüllt, ist aus Sicht des Chefs ein Ungleichgewicht eingetreten. Er nimmt dann auch ein kleines Geschehnis zum Anlass, um diesen störenden Zustand mit der Kündigung zu beenden." Die Autoren gehen sodann auch auf die Frage ein, wie solchen Entwicklungen vorgebeugt werden kann. Kurz gesagt: indem man darauf achtet, dass auch die ungeschriebenen gegenseitigen Erwartungen erfüllt werden. Hierzu eigneten sich vor allem Personalgespräche und das "Sichhineinversetzen" in den jeweils anderen, in den Worten der Psychologen: ein "in den Schuhen des anderen gehen". Näher ausgeführt wird dies im dem o.g. Blogbeitrag und im übrigen in einem instruktiven Buch: Kitz/Tusch, Ohne Chef ist auch keine Lösung. Wie Sie endlich mit ihm klarkommen, Campus Verlag 2009, 19,90 Euro.