Zum Suizid in der Untersuchungshaft
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Aufmerksamkeit erregt hat in den letzten Tagen der Suizid des jungen Mannes, der wegen des Verdachts des Erpressungsversuchs des sozialen Netzwerks SchülerVZ in der JVA Plötzensee/Berlin in Untersuchungshaft einsaß (Spiegel-Online).
In der Internet- und Bloggerszene ist der Fall – wegen des Zusammenhangs mit der Datenausspähung bei SchülerVZ - relativ schnell verbreitet worden und wird seither diskutiert (zum Beispiel hier). Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein sonst eher wenig beachtetes Problem:
Ca. 100 Gefangene wählen jedes Jahr in Deutschland den Tod – die meisten erhängen sich in der Nachtzeit und werden dann am Morgen gefunden (eine gute Quelle ist die Studie von Katharina Bennefeld-Kersten „Ausgeschieden durch Suizid - Selbsttötungen im Gefängnis“ 2009, Online ist eine Teilstudie derselben Autorin hier verfügbar).
Während Suizide in Strafhaft in etwa so häufig sind wie „draußen“, sind Fälle in der Untersuchungshaft, insbesondere in den ersten Tagen und Wochen weitaus zahlreicher.
Es liegt nahe, die „harten“ Haftbedingungen in der Untersuchungshaft verantwortlich zu machen: In der Tat wird hier häufig noch immer der 23-stündige Einschluss in der Zelle ohne Arbeitsmöglichkeiten praktiziert (siehe dazu aber den Einwand von Bothge im Kommentar!). Die Aussicht auf Verlegung in die Strafhaft hat deshalb wohl schon manchen Verurteilten davon abgehalten, Rechtsmittel einzulegen.
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die (erstmalige) Untersuchungshaft, zumal bei jungen Menschen, einen gravierenden Einschnitt bedeutet und in der Regel mit einer schweren Lebenskrise einhergeht. Diese Krise kann schon die Straftat mitbedingt haben (man denke an Straftaten in Beziehungskrisen oder familiären Auseinandersetzungen) oder durch die Aufklärung bzw. Festnahme als Tatverdächtiger ausgelöst werden.
Dass hier oftmals „Krisen“ eine Rolle spielen, ergibt sich auch aus der Häufung der Suizidfälle zu Beginn der Haft, d. h. in den ersten Tagen. Offenbar ist die Gefahr danach weitaus geringer, was auf eine gewisse Akklimatisierung nach längerer Haftdauer hindeutet.
Insofern kann man auch davon ausgehen, dass die Untersuchungshaft auch unabhängig von den konkreten Haftbedingungen eine erhöhte Suizidgefahr mit sich bringt.
Die bisherigen Präventionsbemühungen richten sich darauf, die Inhaftierten zu Beginn der Haft dahingehend einzuschätzen, ob Suizidgefahr vorliegt: Da gemeinschaftliche Unterbringung regelmäßig die Gelegenheit zum Suizid erheblich mindert oder ausschließt, ist die gängige Präventionsmaßnahme die gemeinschaftliche Unterbringung (die allerdings auch andere „Gefährdungen“ mit sich bringen kann). Andere Präventionsmöglichkeiten (Dauerbeobachtung, besonders sichere Zellen) verschärfen zugleich die Haftbedingungen, so dass sie kontraproduktiv sein können.
Da eine sichere Prognostik kaum möglich ist – wie der jetzige Fall auch zeigt -, ist zu überlegen, ob generelle Lösungen geeigneter sind:
1. Strengere Prüfung der Haftgründe, so dass U-Haft seltener angeordnet wird.
2. Ggf. standardisierte Gemeinschaftsunterbringung in den ersten zwei bis vier Wochen der Untersuchungshaft.