BVerfG: NS-Verherrlichung darf bestraft werden
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Das Bundesverfassungsgericht (1. Senat) hat - auf die Verfassungsbeschwerde des jüngst verstorbenen NPD-Funktionärs Rieger - entschieden, dass § 130 Abs.4 StGB mit Art. 5 GG vereinbar ist (kompl. Entscheidung). Das geht auch aus der gestern veröffentlichten Pressemitteilung hervor (Quelle).
§ 130 Abs.4 StGB droht demjenigen Strafe an, der öffentlich die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt und zwar öffentlich und in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise, die den öffentlichen Frieden stört.
In der Pressemitteilung wird ganz deutlich herausgestellt, dass es sich bei § 130 Abs.4 StGB nicht um ein allgemeines Gesetz handelt, was nach Art. 5 Abs.2 GG Voraussetzung der Beschränkung der Meinungsfreiheit ist. Das BVerfG in der Pressemitteilung:
"Zwar ist die Vorschrift des § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG, weil sie nicht dem Schutz von Gewalt- und Willküropfern allgemein dient und bewusst nicht auf die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der Gewalt und Willkürherrschaft totalitärer Regime insgesamt abstellt, sondern auf positive Äußerungen allein in Bezug auf den Nationalsozialismus begrenzt ist. § 130 Abs. 4 StGB ist aber auch als nichtallgemeines Gesetz ausnahmsweise mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar. Angesichts des
Unrechts und Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft verursacht hat, ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts immanent."
Der "öffentliche Friede" als Schutzgut des § 130 Abs.4 StGB sei legitim und dies führe insgesamt zur Verhältnismäßigkeit der Beschränkung der Meinungsfreiheit.
Inhaltlich stimme ich natürlich dem BVerfG zu - die Aufmärsche der Neonazis sind aus meiner Sicht kaum erträglich. Und auch die Argumentation, das ganze Grundgesetz stelle in der Konzeption eine Reaktion auf den Nationalsozialismus dar, weshalb derartige Meinungsäußerungen sich weniger auf das Grundrecht berufen können, ist gut nachvollziehbar. Dennoch - gewisse Bauchschmerzen kann ich nicht leugnen. Die hat auch Christian Rath in der heutigen taz:
"Diese Lösung hätte überzeugt, wenn die Richter sie bereits vor sechzig Jahren präsentiert hätten - als direkte Reaktion auf die Gräuel des Nationalsozialismus. Nach sechs Jahrzehnten gefestigter Demokratie kommt ein Sonderrecht gegen Rechtsradikale aber nicht mehr als machtvolle Geste des Neuanfangs daher, sondern als fadenscheinige Bemäntelung eines eigentlich verfassungswidrigen Gesetzes."(hier der vollständige Kommentar).
Kritisch auch der ehemalige Richter des 1. Senats Hoffmann-Riem in NJW 2004, 2777 (2782) gegen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit:
"In über 50 Jahren ist der Rechtsstaat des Grundgesetzes stark genug geworden, um sich auch gegenwärtig zuzutrauen und zutrauen zu dürfen, seine Garantien unparteiisch auf alle zu erstrecken. Die Grundrechtskultur einer Gesellschaft zeigt sich auch daran, wie sie politische, auch radikale, Minderheiten behandelt. Die Zeiten können sich ändern und niemand kann sicher sein, in der Zukunft nicht selbst auf den Grundrechtsschutz angewiesen zu sein, den er jetzt vielleicht gerne anderen verwehren würde. Grundrechtsschutz für die Gegner von Freiheit ist auch Grundrechtsschutz für die Verfechter der Freiheit." (beck-online)