Von "No Angels" bis "Kachelmann" - wie soll eine rechtmäßige und sinnvolle Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft aussehen?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vergangene Woche fand in der Deutschen Richter Akademie in Trier eine Tagung statt zum Thema "Medien und Kriminalität". Das Oberthema wurde in vielfältiger Hinsicht von einigen renommierten Referenten beleuchtet. Unter und mit den Tagungsteilnehmern, allesamt Staatsanwälte und Richter aus der gesamten Bundesrepublik, ergaben sich interessante Diskussionen.
Am Freitag Nachmittag ging es auch um das hier schon mehrfach besprochene Thema Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden. Der ehemalige Pressesprecher der Münchener Staatsanwaltschaft, VorsRi LG Winkler und die Redakteurin Link, Gerichtsreporterin vom Münchner Merkur, sprachen über die Anforderungen an eine sinnvolle Pressearbeit der Justizbehörden und die journalistischen Bedürfnisse im Umgang mit Strafprozessen. Mir - als der Praxis fern stehendem - kam eher die Rolle des Provokateurs zu.
Anhand einiger auch hier im Blog diskutierter Begebenheiten ("No Angels", "Tauss", "Ansbach", "Kassandra", "Brunner", "Kachelmann") habe ich Fälle angeführt, in denen staatsanwaltliche Pressearbeit in Ermittlungsverfahren problematisch oder m. E. gar direkt fehlerhaft erscheint, siehe auch schon hier. Über die Bewertung dieser Fälle waren sich die meisten der bei der Tagung Anwesenden einig. Nicht jedoch über die Ursachen und Konsequenzen von Fehlleistungen, die wohl nach Mehrheitsansicht nur "Ausrutscher" sind bei einer insgesamt ordentlichen Arbeit. Nach meiner Auffassung hat die staatsanwaltliche Öffentlichkeitsarbeit in Ermittlungsverfahren keine bzw. nur ganz unzureichende Rechtsgrundlagen. Das Ermittlungsverfahren ist nach dem Konzept unseres Strafprozesses nicht-öffentlich. Die per Richtlinien (etwa Nr. 4a und Nr. 23 RiStBV) gegebenen Regelungen sind nur Verwaltungsvorschriften und werden im Einzelfall offenbar auch nicht hinreichend beachtet.
Die Pressegesetze der Länder regeln nur eine allgemeine (und durch die jew. Aufgabe der Behörde beschränkte) Auskunftspflicht der Behörden, aber keine aktive Öffentlichkeitsarbeit speziell der Ermittlungsbehörden.
Die meisten der anwesenden Staatsanwälte und Richter waren nach meinem Eindruck von meinen Thesen zwar nicht überzeugt, aber ich glaube doch, dass ein gewisses Problembewusstsein hinichtlich einer fehlenden Rechtsgrundlage vorhanden ist bzw. geweckt wurde. Ob eine solche gesetzliche Grundlage eher restriktiv (generelles Verbot mit Ausnahmen) oder umgekehrt pressefreundlich (generelle Auskunft mit Einschränkungen wie Nr. 23 RiStBV) gestaltet werden sollte, müsste Gegenstand einer rechtspolitischen Debatte sein.
In der Runde der Anwesenden schien es jedenfalls eine gewisse Bevorzugung einer Kanalisierung von Auskünften durch die jeweilige Pressestelle zu geben, nicht der einzelne Sachbearbeiter soll mit der Presse sprechen, sondern der Pressesprecher, der weniger "persönlich" involviert ist und der nicht seine eigenen Ermittlungen legitimieren muss. Damit wäre eine Professionalisierung gegeben und der jeweilige Sachbearbeiter brauchte nicht zu befürchten, selbst etwas versehentlich auszuplaudern, was nicht in die Öffentlichkeit gehört.
Aktuell: Am Montagabend bei Beckmann (Gäste: Nadia Benaissa, RA Christian Schertz, ehem. Chefredakteur der BILD Udo Röbel) wurde von Beckmann auch eine Reaktion von Ger Neuber, dem Darmstädter Staatsanwalt verlesen. Er meint auch heute noch, die damalige Information der Öffentlichkeit von der HIV-Infektion der inhaftierten Tatverdächtigen sei richtig gewesen, die Schwere des Tatvorwurfs rechtfertige das Zwangs-Outing (so auch schon hier ). Dies ist m.E. eine kaum nachvollziehbare Argumentation: Mit der Schwere des Tatverdachts steigt keineswegs das Recht, in die Intimsphäre der (als unschuldig geltenden) Tatverdächtigen einzugreifen; es widerspricht auch klar den Richtlinien. Unter seinen Kollegen in der Republik ist StA Neuber damit nach meinem Eindruck auch in der Minderheit: Mit wem auch immer ich über diesen Fall gesprochen habe, fast alle Staatsanwälte und Richter sagen mir, dass sie diese Art der Öffentlichkeitsarbeit als falsch empfinden.
Eine klare gesetzliche Regelung erscheint überfällig.
Was meinen Sie?