JMStV gekippt – Sach-, Lach- oder Mach(t)geschichten aus NRW?
Gespeichert von Prof. Dr. Marc Liesching am
In einer parlamentarischen Demokratie ist es notwendig und wichtig, dass es Leute gibt, die Politiker sein wollen. Bürgerinnen und Bürger können froh sein, wenn Menschen diesen Job übernehmen. Im Grunde gilt insoweit das Gleiche wie bei der Straßenreinigung, dem Schneeräumungsdienst und der Müllabfuhr. Auch die allgemeine Erwartungshaltung an alle genannten Berufsgruppen ist eigentlich gleichgerichtet. Man darf ebenso enttäuscht sein, wenn die Leerung der Mülltonnen angekündigt und dann tatsächlich nicht geleert wird, wie wenn ein Staatsvertrag von allen Ministerpräsidenten bereits im Juni 2010 als „notwendiger Schritt für einen effektiven Jugendschutz“ beschlossen und von fast allen Landesparlamenten bestätigt wird, um dann im Landtag von Nordrhein-Westfalen von allen (!) Fraktionen abgelehnt zu werden.
Dass es sich dabei ausgerechnet um ein Bundesland handelt, dass derzeit von einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen geführt wird, ist nur aus naiver Sicht ein Zufall. Entsprechend ging es meines Erachtens bei der gestrigen Debatte auch nur vordergründig um Sachfragen. Viel näherliegend ist, dass die CDU-Fraktion – darum wissend, dass FDP und Linke dem neuen JMStV ihre Zustimmung verweigern würden – eine Chance witterte, Rot-Grün bei der Abstimmung erstmals im Parlament zu blamieren und in den bösen Schein der „Regierungsunfähigkeit“ zu stellen. Wenig verwunderlich ist freilich, dass Rot-Grün in der Folge eine „Kampfabstimmung“ wie der Teufel das Weihwasser scheute.
Sehr gelegen kamen da die „Horrorszenarien“, welche manche Beteiligte schon vor Monaten in Anhörungen für den Fall an die Wand gemalt hatten, dass der neue JMStV in Kraft treten würde. Die von selbsternannten Zensurgegnern seit jeher parolenhaft vorgetragene Besorgnis einer „de facto“-Alterskennzeichnungspflicht für „private Internetanbieter“ ließ bei verständigen Beobachtern ebenso den Eindruck entstehen, die Postulierenden hätten noch nie den Entwurfstext und die aktuell schon seit 2003 geltende JMStV-Fassung gelesen, wie die wahlweise vorgetragene Prophezeiung, der geänderte JMStV würde zu neuen „Abmahnwellen“ (v.a. aufgrund der geplanten Pflicht zur Angabe des Jugendschutzbeauftragten) führen.
Mühsam versuchten daher im Rahmen der gestrigen parlamentarischen Debatte alle Redner von Schwarz, Rot und Grün, sich auf diese längst gehörten Argumentationen zu berufen, wobei diese teils in nebulös und nachgerade bedrohlich wirkende, indes unbelegte Worthülsen wie die der „verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit“ gekleidet wurden. Die Zwischenfrage, warum der am Rednerpult stehende Politiker der vormaligen Rüttgers-Regierung von einer solchen nun ausgehe, im Rahmen der vormaligen Sitzungen zum JMStV ausweislich der Protokolle indes nicht eine einzige (kritische oder sonstige) Frage gestellt hatte, wurde ernsthaft mit der Antwort quittiert, er habe sich damals nicht in den Vordergrund drängen wollen.
Wenn nun alle Fraktionen der Schwarzen, (Hell-)Roten und Grünen in NRW behaupten, ihr Abstimmungsverhalten habe nichts mit den derzeitigen Machtverhältnissen in NRW, sondern lediglich mit Sachfragen zu tun, so muss folgende Gegenfrage erlaubt sein: „Heißt dies, dass auch künftig bereits von den Ministerpräsidenten nach zahllosen Anhörungen ausgehandelte und beschlossene Staatsverträge zum Jugendmedienschutz noch von einzelnen Landtagsfraktionen eines Bundeslandes in letzter Sekunde aufgrund einer „abweichenden Einschätzung von Sachfragen“ gekippt werden könnten?“. Bejahendenfalls könnte man dies achselzuckend mit der Plattitüde der „gelebten Demokratie“ zur Kenntnis nehmen.
Ebenso gut ließe sich aber auch der Schluss ziehen, das – vorgeblich an Sachargumenten orientierte – Gezänk um den Jugendmedienschutz in den Länderparlamenten könne künftig zu einer Handlungsunfähigkeit auf dieser Entscheidungsebene führen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unangebracht, sich daran zu erinnern, dass die Regulierungsmaterie des Jugendschutzes nach herrschender Meinung eine solche der konkurrierenden Gesetzgebung ist. Wollen SPD und Grüne in NRW den JMStV nun ernsthaft „auf den Prüfstand“ stellen, nachdem bereit hunderttausende Euro von Steuergeldern für eine entsprechende Überprüfung durch das Hans-Bredow-Institut ausgegeben worden sind und die Untersuchungsergebnisse sich gerade im gestern abgelehnten Staatsvertrag-Entwurf zum Teil wiederfanden, so gehört aus meiner Sicht ebenso auf den Prüfstand, ob die Regelung des Jugendmedienschutzes für alle Medien (nicht nur für Kinofilme und Trägermedien) nicht im Rahmen einer einheitlichen Bundesregelung besser aufgehoben wäre.