Ausblick 2011 (I): Reicht eine Statistik als Indiz für Diskriminierung?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Innerhalb des LAG Berlin-Brandenburg ist umstritten, ob Indizien für eine Diskriminierung (§ 22 AGG) durch bloße Statistiken - etwa bezüglich der Anzahl von Frauen und Männer auf einer bestimmten Hierarchieebene des Unternehmens - geführt werden können. Während die 15. Kammer des Gerichts am 26.11.2008 (15 Sa 517/08, NZA 2009, 43) der Klage einer Arbeitnehmerin stattgegeben hatte, die allein mit Hilfe von Zahlenverhältnissen ihre geschlechtsspezifische Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung geltend gemacht hatte, ist die 2. Kammer desselben Gerichts in einem Urteil vom 12.2.2009 (2 Sa 2070/08, NZA-RR 2009, 537) - trotz weiterer Indiztatsachen - zum gegenteiligen Ergebnis gelangt.
Die erstgenannte Entscheidung ist inzwischen vom BAG kassiert worden. Der Achte Senat hat mit Urteil vom 22.07.2010 (8 AZR 1012/08, BeckRS 2010, 75924) das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. In den Urteilsgründen heißt es:
Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze berücksichtigt. Es hat aus der Besetzung der Positionen auf der Ebene oberhalb der Abteilungsdirektoren mit Männern und Frauen im Verhältnis zum Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft darauf geschlossen, dass der unstreitig weit unterdurchschnittliche Frauenanteil in den oberen Führungsebenen des Beklagten auf einer „gläsernen Decke“ beruhe. Daraus hat das Berufungsgericht auf eine regelhafte Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts in der Vergangenheit geschlossen. Allein das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil der Gesamtbelegschaft und dem in oberen Führungspositionen lässt allerdings einen Rückschluss auf die Ungleichbehandlung von Frauen beim beruflichen Aufstieg in bestimmte Hierarchieebenen eines Unternehmens nicht zu. Der Schluss auf eine regelhafte Nichtberücksichtigung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen macht zwar nicht erforderlich, dass vom Bewerber im Rahmen der Darlegung von Indizien (§ 22 Halbs. 1 AGG) oder vom Arbeitgeber im Rahmen der Vermutungswiderlegung (§ 22 Halbs. 2 AGG) alle konkreten Bewerbersituationen bei den bisherigen Beförderungsentscheidungen dargelegt werden. Eine Benachteiligung kann nämlich auch gerade in der Gestaltung des dem Bewerbungsverfahren zeitlich vorgelagerten Verfahrens liegen (vgl. BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276). Um beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen, bedarf es allerdings der Feststellung, wie viele Frauen überhaupt unterhalb dieser angekommen sind. Darüber gibt der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft keinen Aufschluss.
Das zweitgenannte Urteil des LAG Berlin-Brandenburg steht im Januar 2011 zur revisionsrechtlichen Überprüfung an. Der Achte Senat hat Termin auf den 27.01.2011 bestimmt (8 AZR 483/09).