Richter am OLG zeigt BKA-Chef Ziercke wegen Beihilfe zum Mord durch US-Drohnenanschläge an
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
An der kürzlich bekannt gewordenen Strafanzeige gegen BKA-Chef Ziercke (Süddeutsche, Taz, SpOn, Dank auch an einen Blogleser für den Hinweis) ist eines ungewöhnlich: Der Anzeigeerstatter ist Richter am OLG Karlsruhe. Man wird die Strafanzeige also nicht ignorieren oder einfach abtun können. Die Sache ist heikel: Im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ergab sich in den letzten zehn Jahren eine weitreichende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der USA und Deutschlands, auf polizeilicher wie geheimdienstlicher Ebene. Etwas jüngeren Datums ist die Praxis der USA (Militär und CIA), terroristischer Aktivitäten oder Absichten Verdächtige v.a. in Pakistan mit unbemannten Flugkörpern (Drohnen) gezielt zu töten. Mittlerweile sind hunderte von Personen aus der Luft getötet worden. Die Weitergabe einer Information durch deutsche Sicherheitsbehörden, die die Reise einer als "Gefährder" eingestuften Person nach Pakistan betrifft, kann also ein wesentlicher Beitrag dazu sein, dass die USA einen Anschlag ausführen können. Wer diesen Zusammenhang kennt, muss sich über die möglichen Folgen einer solchen Information bewusst sein. Am 4. Oktober 2010 wurde der deutsche Staatsangehörige Bünyamin Erdogan aus Wuppertal offenbar durch einen Drohnenangriff in Pakistan getötet (Quelle) Gegen ihn war in Karlsruhe ein Ermittlungsverfahren wegen § 89b StGB anhängig. (Ergänzung: Weitere Hintergründe in diesem schon früheren Artikel auf welt-online)
RiOLG Schulte-Kellinghaus begründet seine Strafanzeige gegen Ziercke so:
(Er) "begründet seinen Verdacht gegen BKA-Chef Jörg Ziercke mit Äußerungen bei einer Veranstaltung vor vier Jahren in Karlsruhe, bei der auch Schulte-Kellinghaus anwesend war. Dabei habe Ziercke die Praxis der Informationsweitergabe des BKA an ausländische Behörden geschildert, wenn sogenannte Gefährder aus dem islamistischen Spektrum Deutschland verlassen - und zwar "nicht als mögliche Maßnahme im Einzelfall, sondern eine generelle Praxis", heißt es in der Anzeige des Richters." (Quelle)
Die US-Drohnenanschläge sind völkerrechtlich umstritten. Philip Alston hat im Auftrag des UN Human Rights Council Ende Mai 2010 über die Drohnenangriffe Bericht erstattet (pdf-Dokument, engl. Sprache) und sich skeptisch geäußert (Bericht der NYT). Im Fazit seines Berichts werden die Drohnenangriffe zwar nicht generell verdammt, aber außerhalb von Kampfzonen als rechtlich fragwürdig angesehen. Insbesondere könne kaum ausgeschlossen werden, dass Unbeteiligte oder falsch Beschuldigte ohne rechtliches Verfahren quasi hingerichtet werden.
Die US-Regierung steht auf dem Standpunkt, man befinde sich im Krieg mit Al Quaida, und im Krieg sei es aus nationaler Notwehr gerechtfertigt, Terroristen in dieser Weise zu attackieren; so äußert sich jedenfalls Koh, ein Rechtsberater des Außenministeriums:
"Recently, a number of legal objections have been raised against U.S. targeting practices. While today is obviously not the occasion for a detailed legal opinion responding to each of these objections, let me briefly address four:
First, some have suggested that the very act of targeting a particular leader of an enemy force in an armed conflict must violate the laws of war. But individuals who are part of such an armed group are belligerents and, therefore, lawful targets under international law. During World War II, for example, American aviators tracked and shot down the airplane carrying the architect of the Japanese attack on Pearl Harbor, who was also the leader of enemy forces in the Battle of Midway. This was a lawful operation then, and would be if conducted today. Indeed, targeting particular individuals serves to narrow the focus when force is employed and to avoid broader harm to civilians and civilian objects.
Second, some have challenged the very use of advanced weapons systems, such as unmanned aerial vehicles, for lethal operations. But the rules that govern targeting do not turn on the type of weapon system used, and there is no prohibition under the laws of war on the use of technologically advanced weapons systems in armed conflict-- such as pilotless aircraft or so-called smart bombs-- so long as they are employed in conformity with applicable laws of war. Indeed, using such advanced technologies can ensure both that the best intelligence is available for planning operations, and that civilian casualties are minimized in carrying out such operations.
Third, some have argued that the use of lethal force against specific individuals fails to provide adequate process and thus constitutes unlawful extrajudicial killing. But a state that is engaged in an armed conflict or in legitimate self-defense is not required to provide targets with legal process before the state may use lethal force. Our procedures and practices for identifying lawful targets are extremely robust, and advanced technologies have helped to make our targeting even more precise. In my experience, the principles of distinction and proportionality that the United States applies are not just recited at meetings. They are implemented rigorously throughout the planning and execution of lethal operations to ensure that such operations are conducted in accordance with all applicable law.Fourth and finally, some have argued that our targeting practices violate domestic law, in particular, the long-standing domestic ban on assassinations. But under domestic law, the use of lawful weapons systems—consistent with the applicable laws of war—for precision targeting of specific high-level belligerent leaders when acting in self-defense or during an armed conflict is not unlawful, and hence does not constitute “assassination.” (Quelle)
Auf einen entscheidenden Einwand, nämlich den nach Alston zweifelhaften Gebrauch der Drohnen außerhalb von Kampfzonen, geht Koh allerdings nicht ein.
Sicherlich wird man genau prüfen müssen, ob in diesem speziellen Fall tatsächlich das BKA (mit Wissen Zierckes) eine solche Information weitergegeben hat und mit dem Angriff durch Drohnen rechnete. Betroffen sein könnten auch andere Behörden, insb. der Verfassungsschutz. Aber auch die Frage der völkerrechtlichen Legitimation der Drohnentötungen wird im Brennpunkt der juristischen Prüfung stehen, wenn die tatsächlichen Hintergründe einmal aufgeklärt sind. Dabei sind natürlich auch die Beziehungen zur USA betroffen. Man kann sich deshalb vorstellen, dass auch die US-Diplomatie Einfluss nehmen wird, wie es bereits bei der strafrechtlichen Aufbereitung der CIA-Entführungen geschehen ist.